Besser als sein Ruf

Forschung Erleben

CO 2 als Quelle sicherer und flexibler Stromerzeugung
[Foto: Universität Stuttgart/ Max Kovalenko]

Kohlenstoffdioxid CO 2 hat als Treibhausgas ein schlechtes Image. Doch unter hohen Druck versetzt, kann es enorme Wärmemengen auf kleinstem Raum aufnehmen. Forscher vom Institut für Kernenergetik und Energiesysteme (IKE) der Universität Stuttgart möchten es daher statt Wasser für kompaktere Wärmeabfuhrsysteme nutzen. Denn damit ließen sich zum Beispiel Kernkraftwerke zum Schutz vor einer Kernschmelze nachrüsten oder Kohlekraftwerke flexibler hoch- und runterfahren.

Fukushima, 11. März 2011: In drei Kernkraftwerks-Reaktoren kommt es nach einem schweren Erdbeben und Tsunami zur Kernschmelze. Die Schnellabschaltung funktioniert zwar, sodass die Kernspaltungsreaktion gestoppt wird. Doch als die Kühlsysteme ausfallen, weil die Stromverbindung gekappt und die Notstromaggregate überflutet sind, kommt es zum Super-GAU. Der Grund: Auch nach einer Reaktorabschaltung ist Kühlung nötig, denn die noch vorhandenen kurzlebigen Spaltprodukte zerfallen über weitere Tage radioaktiv. Dabei entsteht die sogenannte Nachzerfallswärme.

„Mit einem Wärmeabfuhrsystem, das die Nachzerfallswärme zusätzlich nutzt, um Strom zu erzeugen, und noch dazu klein ist, könnten wir ein Kernkraftwerk einfach nachrüsten“, sagt Jörg Starflinger, der Direktor des IKE. Da so ein System in der Regel mehr Strom generiert, als es für den Eigenantrieb braucht, könnten im Falle eines Stromausfalls etwa Notstrombatterien aufgeladen werden. Womöglich hätte das die Reaktorkatastrophe von Fukushima verhindern können. Ob eine solche nachrüstbare Backup-Lösung für Kernreaktoren realisierbar ist, untersuchen die IKE-Ingenieure zurzeit zusammen mit weiteren Partnern in dem EU-Projekts CO 2 - HeRo (Supercritical CO 2 Heat Removal System).

CO 2 statt Wasserdampf

Das von den Projektpartnern entwickelte Notkühl- system funktioniert ähnlich wie der übliche Wasserdampf-Kreislauf, der in Kern- und Kohlekraftwerken eine Turbine antreibt und so Strom erzeugt – nur eben mit CO 2.

Dabei wird CO 2 stark komprimiert und im Wärmetauscher durch den über 200 °C heißen Wasserdampf aus dem Reaktor erhitzt. Der CO 2 -Druck steigt dadurch weiter an und versetzt eine Turbine in Rotation, wodurch der Kompressor und ein Stromgenerator angetrieben werden. Anschließend entspannt sich das CO 2 wieder auf Anfangsdruck und kühlt ab. Die Restwärme wird über einen zweiten Wärmetauscher, den Kondensator, an die Umgebungsluft abgegeben und das CO 2 für einen neuen Kreislauf zurück zum Kompressor gepumpt. Das System läuft bei einem Stromausfall automatisch an. Dabei öffnet sich ein Ventil, das zuvor durch Elektromagente geschlossen gehalten wurde, sodass heißer Wasserdampf aus dem Reaktor zu dem CO 2 -durchflossenen Wärmetauscher strömt.

In der Versuchsanlage SCARLETT am IKE tüftelte das Team um Prof. Jörg Starflinger an der Entwicklung eines Wärmetauschers. Auf Wohnzimmergröße ist dort ein Teil des CO 2 -Kreislaufs aufgebaut.

Kleiner als ein LKW-Container

„Die größte Herausforderung ist der geringe Platz in einem Kernkraftwerk“, erzählt Starflinger. Um es mit einem Wärmeabfuhrsystem nachzurüsten, muss es also möglichst klein sein. Dazu nutzen die Forscher einen Trick. Sie verwenden das CO 2 über seiner kritischen Temperatur von 31 °C und seinem kritischen Druck von 74 bar, der immer noch etwa dreimal niedriger ist als beim Wasserdampf-Kreislauf. Im überkritischen Zustand besteht zwischen gasförmigem und flüssigem Zustand kein Unterschied mehr. Dieses überkritische CO 2 hat nahe dem kritischen Punkt die Dichte einer Flüssigkeit und die Zähigkeit eines Gases.

Das Besondere daran ist, dass es viel Wärme auf kleinem Raum speichert, ohne sich stark zu erwärmen. Es ist also auch materialschonend. Weil zusätzlich der Arbeitsdruck und das Druckgefälle nach der Turbine geringer sind, reichen kompaktere Wärmetauscher, Kompressoren und Turbinen als bei einem Wasserdampfkreislauf – bei vergleichbarem Wirkungsgrad. „Die Anlage lässt sich vielleicht in einen LKW-Container unterbringen, für einen Dampfkreislauf dagegen bräuchte ich eine komplette Halle“, freut sich Starflinger. In der Versuchsanlage SCARLETT am IKE hat sein Team an der Entwicklung eines Wärmetauschers getüftelt, bestehend aus parallelen Platten, die wie bei einem Sandwich abwechselnd mit Wasserdampf oder überkritischem CO 2 durchströmt werden. Dort ist auf Wohnzimmergröße ein Teil des CO 2 -Kreislaufs aufgebaut.

 

Die größte Herausforderung ist der geringe Platz in einem Kernkraftwerk

Prof. Jörg Starflinger, IKE, Universität Stuttgart

Demo-Anlage in kleinem Maßstab

Verglichen mit Wasser brauche ich eine sechsfach kleinere Wärmeübertragungsfläche, um die gleiche Wärmemenge aufzunehmen“, sagt der Fachmann für Reaktorsicherheit. Die Frage ist, wie klein die Wärmetauscherkanäle werden dürfen, ohne dass sich zu viel Druck aufbaut, der an der Turbine feh- len würde. Was wiederum heißt: weniger Strom. Inzwischen haben die Partner die einzelnen Kom- ponenten, die sie getrennt entwickelt haben, an das Simulatorzentrum nach Essen geschickt und zu einer Demo-Anlage in kleinem Maßstab zusammengebaut. Am dortigen Kraftwerksmodell können die Entwickler Störfälle simulieren und so testen, ob das System als Notfall-Lösung taugt. 

Unabhängig von der Wärmequelle

er überkritische CO 2 -Kreislauf ist jedoch nicht auf Kernkraftwerke beschränkt. Im EU-Projekt sCO 2 - Flex, das Anfang des Jahres gestartet ist, wollen zehn europäische Partner, darunter das IKE, in Kohlekraftwerken den Wasserdampf-Kreislauf zur Stromerzeugung ersetzen. Weil das CO 2 -System kompakter ist, könnte das Kohlekraftwerk in wenigen Minuten hoch- und runtergefahren werden und so je nach Bedarf mehr oder weniger Strom produ- zieren. Herkömmliche Kohlekraftwerke brauchen bis zu einer halben Stunde bis sie volle Leistung erreichen. „Die Anlagen müssen zukünftig besser auf die schwankende Einspeisung von Sonnen- und Windstrom reagieren können“, sagt Starflinger. Sie ließen sich zudem kostengünstiger bauen, zumal weniger Material benötigt wird, so die Hoffnung.

Das von den Projektpartnern entwickelte Notkühlsystem funktioniert ähnlich wie der übliche Wasserdampfkreislauf, der in Kern- und Kohlekraftwerken eine Turbine antreibt und so Strom erzeugt – nur eben mit CO 2 . „Die größte Herausforderung ist dabei der geringe Platz in einem Kernkraftwerk“, sagt Prof. Jörg Starfl inger (Mitte).

Keine 1:1-Übertragung

Obwohl der CO 2 -Kreislauf im Prinzip der gleiche sein wird wie beim Kernkraftwerk, sei dennoch ein einfaches 1:1-Übertragen des Systems nicht mög- lich, so Starfl inger. Alle Komponenten müssen neu designt und an die viel höheren Temperaturen von bis zu 600 °C angepasst werden, die durch das Verbrennen von Kohle entstehen, sowie an die größere Druckzunahme, den die aufgenommene Wärme im System erzeugen wird.

Am IKE untersuchen zurzeit zwei Doktoranden in der Versuchsanlage die Kondensation von überkritischem CO 2 , um später zusammen in Kooperation mit einem Unternehmen einen Kondensator zu entwickeln. „Uns interessiert vor allem, wie die Geschwindigkeit und Orientierung der Strömungsrichtung die Wärmeabgabe und den Druckverlust nahe dem kritischen Punkt beeinfl usst“, erläutert Starfl inger. Auf die Frage, wer diese Systeme angesichts der beschlossenen Energiewende überhaupt brauche, wenn sie einmal marktreif sind, kann Starfl inger nur müde lächeln. „Wenn nicht Deutschland, dann andere Länder“, kontert der Ingenieur. So planen etwa Frankreich, Finnland und Großbritannien bereits neue Kern- kraftwerke. Ohnehin sei die Idee, überkritisches CO 2 zu nutzen, um Strom zu gewinnen, unabhängig von der Wärmequelle. „Man kann sich auch überlegen, überall dort, wo in der Industrie viel Abwärme anfällt, Strom zu produzieren, beispielsweise in der Zement- und Papierindustrie, oder auch bei Solar- oder Biomassekraftwerken“, ergänzt Starflinger. Das Treibhausgas CO 2 kann also auch eine nützliche Seite haben.

Helmine Braitmaier

 

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