In Horizon 2020 konnte die Universität Stuttgart 96 Mio. Euro für 179 Projekte einwerben und steht damit bei beiden Kriterien auf Platz 11 von insgesamt 4.000 Einrichtungen in Deutschland. Auch im 9. Rahmenprogramm Horizon Europe konnten bereits mehr als 45 Projekte mit einem Volumen von mehr als 27 Mio. Euro eingeworben werden. Viele Innovationen aus diesen Projekten haben inzwischen den Weg in industrielle Anwendungen gefunden. Daher hat die Europäische Kommission die Universität Stuttgart für ihren Beitrag zu innovativen Entwicklungen als „Key Innovator“ ausgezeichnet, der auf der Plattform „Innovation Radar“ mit mehr als 35 Highlight-Innovationen (Stand März 2023) vertreten ist.
Die ERC-Grants an der Universität Stuttgart
Der Europäische Forschungsrat (European Research Council, ERC) fördert bahnbrechende und visionäre Forschung und richtet sich an exzellente Forschende in verschiedenen Karrierestufen. ERC-Grants haben sich als ein Markenzeichen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit einer Hochschule etabliert. Die Projekte und Zuschüsse des Europäischen Forschungsrats sind in Kategorien aufgeteilt: ERC Starting Grants, ERC Consolidator Grants, ERC Advanced Grants und ERC Synergy Grants.
ERC Starting Grants
ERC Starting Grants fördern Wissenschaftler*innen in einer frühen Karrierephase für innovative Vorhaben in der Grundlagenforschung. Die Förderung beträgt bis zu 2,5 Millionen Euro.
Starting Grant-Empfänger an der Universität Stuttgart:
Wie beeinflussen die Tenside aus Glyphosatformulierungen den mikrobiellen Abbau des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat im Boden? Und wie wirken Tenside auf wichtige Umweltkreisläufe, die mit den Emissionen klimarelevanter Gase (z.B. Kohlendioxid, Methan und Lachgas) zusammenhängen? Für die Erforschung dieser Fragen erhält Prof. Sara Kleindienst einen der renommierten ERC Starting Grants des Europäischen Forschungsrats.
Das übergeordnete Ziel dieser Forschung ist es, Glyphosat-Tenside durch weniger schädliche Alternativen zu ersetzen oder gar biologische Alternativen zu entwickeln, die ganz von Mikroorganismen erzeugt werden. Kleindienst ist überzeugt: „Unsere Forschung wird die Auswirkungen von Tensiden auf Mikroorganismen in der Umwelt ganzheitlich entschlüsseln und hat das Potenzial, Politik, Gesellschaft, Technologie und Wissenschaft nachhaltig zu beeinflussen.“
Preisträgerin: Prof. Dr. Sara Kleindienst
Projekt: MICROSURF
Wie könnten Medikamente in Zukunft zielgerichteter im Körper eingesetzt werden? Eine Antwort darauf könnte die Biomedizin liefern. Dr. Tian Qiu forscht an winzig kleinen Robotern, die gezielt durch den menschlichen Körper reisen. Ihm und seinem Team gelang es bereits, einen Nanoroboter erstmals durch das feste Gewebe eines Augapfels zu steuern - ein erster Schritt, um eines Tages Medikamente dorthin bringen zu können, wo sie gebraucht werden.
Im Projekt “VIBEBOT” entwickelt Qiu und sein Team nun diesen Ansatz weiter und möchten den ersten Roboter in Mikrogröße bauen, der sich aktiv fortbewegen und sogar in einem Körpergewebe drahtlos fühlen kann. Zum Projekt inspirierte Qui die Natur: “Wir wissen, dass beispielsweise Würmer die menschliche Haut durchdringen können, um Menschen zu infizieren. Warum können wir nicht ein ähnlich großes Robotersystem bauen, das in weiches Gewebe eindringt, um Krankheiten zu behandeln?” Die Forschung daran birgt enormes Potential für die künftige minimal-invasive Medizin, “etwa für die gezielte Verabreichung von Medikamenten zur Tumortherapie”, so Qiu.
Preisträger: Dr. Tian Qiu
Projekt: VIBEBOT
Laufzeit: 2023 - 2028
Michael Saliba erforscht in seinem Projekt LOCAL-HEAT (Controlled Local Heating to Crystallize Solution-based Semiconductors for Next-Generation Solar Cells and Optoelectronics) das Nukleations- und Kristallisationsverhalten von Halbleiterfilmen beim Übergang von der flüssigen zur festen Phase mit Licht steuern. Dieses Licht soll lokal Wärmepakete erzeugen, die letztendlich in kontrollierten Körner und damit Dünnschichten resultieren.
Im Mittelpunkt stehen dabei Perowskite, ein vielversprechendes Ausgangsmaterial für Solarzellen, Leuchtdioden oder Detektoren in der Medizintechnik. Dabei können insbesondere Perowskit-Dünnschichten aus einer Lösung heraus hergestellt werden. Allerdings lässt sich mit derzeitigen Kristallisationsmethoden das Schichtwachstum nur schwer kontrollieren. Prof Michael Saliba will genau dieses Wachstum künftig mit Licht steuern.
Preisträger: Prof. Dr. Michael Saliba
Projekt: Controlled Local Heating to Crystallize Solution-based Semiconductors for Next-Generation Solar Cells and Optoelectronics (LOCAL-HEAT)
Laufzeit: 2022-2027
Tim Langen erforscht mit dem ERC Starting Grant neuartige quantenmechanische Überlagerungszustände aus Festkörper und Supraflüssigkeit, sogenannte Suprafestkörper. Theoretisch diskutiert und vorhergesagt wurde der exotische Materiezustand des Suprafestkörpers bereits vor mehr als 60 Jahren. Der Nachweis, dass es den Materiezustand Suprafestkörper tatsächlich gibt, gelang Tim Langen gemeinsam mit Tilman Pfau erstmals 2019 im Experiment mit Hilfe von magnetischen Dysprosium-Atomen. Der experimentelle Nachweis des Suprafestkörpers wirft zahlreiche ungelöste Fragen im Hinblick auf den Entstehungsprozess und die Eigenschaften eines Suprafestkörpers auf und eröffnet damit ein komplett neues Forschungsfeld.
Da die bisher erprobten experimentellen Verfahren auf diese Fragen keine Antwort liefern können, wird Langen in seinem neuen Projekt einen Schritt weitergehen. Statt auf Atome setzt er auf ultrakalte Moleküle, also komplexere Quantenobjekte aus mehreren Atomen, um damit die vielfältigen Vorgänge in einem Suprafestkörper im Experiment zu untersuchen.
Preisträger: Dr. Tim Langen, 5. Physikalisches Institut
Projekt: Supersolids and beyond: Exploring new states of matter with laser-cooled dipolar molecules (NEWMAT)
Laufzeit: 2021-2026
Marcel Pfeiffer erforscht mit seinem Grant Nicht-Gleichgewichtseffekte in der Gas- und Plasmadynamik, ein fundamentales Thema, um die physikalischen Vorgänge vieler Anwendungen und Industriefelder zu verstehen.
Nicht-Gleichgewichtseffekte bei Gasen und Plasmen treten immer dann auf, wenn es zu großen lokalen Unterschieden der Umgebungsbedingungen kommt, zum Beispiel bei großen Temperaturunterschieden. Unter Extrembedingungen spielen dabei sehr viele unterschiedliche Komponenten und Parameter zusammen, sodass die Simulationen komplex und nur auf Höchstleistungsrechnern zu bewältigen sind. Dies braucht Zeit und ist teuer, weshalb Nicht-Gleichgewichtseffekte gerade im industriellen Bereich ein Problem darstellen.
Das Ziel des geförderten Projekts MEDUSA ist vor diesem Hintergrund die Entwicklung von stochastischen, partikelbasierten Multiskalenmethoden zur Simulation von Gasen und Plasmen im thermochemischen Nichtgleichgewicht. Dabei sollen die Betrachtung des Gases von der mikroskopischen auf die mesoskopische Ebene gehoben werden, einen mittleren Sichtbarkeitsbereich, der sich zwischen dem Mikro- und dem Makrokosmos befindet.
Preisträger: Dr. Marcel Pfeiffer, Institut für Raumfahrsysteme
Projekt: Multiscale Fluid and Plasma Dynamics using Particles (MEDUSA)
Laufzeit: 2021-2026
Programmierfehler in Software können teuer werden und im Extremfall Menschenleben kosten. Bisher wurden sie durch Prüfprogramme aufgespürt, doch die Methode hat Lücken. Prof. Michael Pradel am Institut für Softwaretechnologie der Universität Stuttgart setzt mit seinem ERC-Starting Grant bei der Fehlersuche auf Künstliche Intelligenz und Deep Learning.
Bisher basiert Prüfsoftware auf dem Prinzip „Programm 1 analysiert Programm 2“. Die Prüfprogramme spüren jedoch nur bekannte Fehler auf. Um zukünftige Fehler prognostizieren und zu verhindern, wollen Pradel und sein Team neue Methoden entwickeln, mit denen ein Computer das Programm und die dahinterliegende Idee “verstehen” kann.
Ein wichtiger Hinweis auf Fehler sind natürliche Namen im Quellcode. Künstliche Intelligenz betrachtet eine sehr große Zahl an Codezeilen und lernt, wie die Namen üblicherweise verwendet werden. Stößt sie dabei zum Beispiel auf die versehentliche Verknüpfung der Variablen “Länge” und “Farbe”, liegt vermutlich ein Fehler vor. „Das Revolutionäre an diesem Verfahren besteht darin, dass jeder Entwickler seine eigenen Werkzeuge zum Finden von Fehlern lernen kann. Bisher konnten solche Werkzeuge nur von einigen wenigen Spezialisten erstellt werden“, erklärt Pradel.
Preisträger: Prof. Michael Pradel, Institut für Software Engineering
Projekt: "Learning To Find Software Bugs" (LearnBugs)
Laufzeit: 2020-2025
Wie kann die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Computer verbessert werden? Können Computer menschenähnlicher inter- und auf ihre Nutzer reagieren? Kann sich ein Computer proaktiv auf seinen Benutzer einstellen, kann er sich der Persönlichkeit oder Individualität, dem Lernverhalten oder der Aufmerksamkeit seiner Benutzer anpassen, gar zum Assistenten werden? Kann er beispielsweise Lerninhalte an die Aufmerksamkeit des Nutzers anpassen und dem Nutzer helfen, seine Aufmerksamkeit auf bestimmte Dinge zu lenken? Mit diesen Fragen beschäfftigt sich Prof. Andreas Bulling, Inhaber des Lehrstuhls Mensch-Computer Interaktion und Kognitive Systeme am Institut für Visualisierung und Interaktive Systeme, in seinem Projekt "ANTICIPATE: Anticipatory Human-Computer Interaction“.
Das Ziel des Projektes ist die Erforschung einer neuen Generation von Benutzerschnittstellen, die dem Beispiel der zwischenmenschlichen Interaktion folgend die Aufmerksamkeit und Intentionen der Nutzer analysiert, um sich proaktiv an zukünftige Nutzerinteraktionen anzupassen und so die Natürlichkeit, Effizienz und Benutzerfreundlichkeit der Interaktionen signifikant zu verbessern.
- Preisträger: Prof. Andreas Bulling, Institut für Visualisierung und Interaktive Systeme, Lehrstuhl Mensch-Computer Interaktion und Kognitive Systeme
- Projekt: Anticipatory Human-Computer Interaction (ANTICIPATE)
- Laufzeit: 2019-2024
ERC Cosolidator Grants
ERC Consolidator Grants fördern exzellente vielversprechende Wissenschaftler*innen, deren eigene unabhängige Arbeitsgruppe sich in der Konsolidierungsphase befindet. Die Fördersumme beträgt bis zu 3 Millionen Euro.
Consolidator Grant-Empfänger an der Universität Stuttgart:
Das Akronym „Materials 4.0“ ist angelehnt an das Konzept „Industrie 4.0“, mit dem eine neue, durch Datenaustausch vernetzte Ära von industriellen Prozessen bezeichnet wird. So soll auch „Materials 4.0“ eine neue Ära des Materialdesigns einläuten, in der quantenmechanische Simulationen eine qualitativ deutlich verbesserte Vorhersage von thermodynamischen und kinetischen Materialeigenschaften erlauben. Insbesondere sollen hochgenaue Phasendiagramme berechnet werden, welche als fundamentales Werkzeug im Materialdesign gelten.
Schon seit einiger Zeit werden diese sogenannten „ab initio“-Methoden innerhalb der Materialwissenschaft eingesetzt. Bisher waren die Methoden und Anwendungen jedoch stark limitiert, da in den meisten Berechnungen unrealistische Umgebungsbedingen angenommen werden mussten, insbesondere sehr tiefe Temperaturen im Bereich vom absoluten Nullpunkt (-273°C). Innerhalb des ersten ERC Grants konnte Grabowski zeigen, dass verbesserte Methoden, gestützt mit Konzepten aus dem Maschinellen Lernen, eine effiziente und dennoch hochgenaue Berechnung der Materialeigenschaften bei relevanten Umgebungsbedingungen erlauben. Diese Methoden sollen innerhalb von „Materials 4.0“ weiterentwickelt und benutzt werden, um hochwertige Datenbanken von Materialeigenschaften für das zukünftige Materialdesign bereitzustellen.
- Preisträger: Prof. Blazej Grabowski, Institut für Materialwissenschaft
- Projekt: MATERIALS 4.0: Advancing materials design by high-accuracy finite-temperature first principles calculations accelerated by machine learning potentials
- Laufzeit 2021 – 2025
ERC Advanced Grants
ERC Advanced Grants, die zu den renommiertesten Forschungspreisen weltweit zählen, richten sich an etablierte Forschende mit einer herausragenden wissenschaftlichen Leistungsbilanz. Die Förderung beträgt bis zu 3,5 Millionen Euro.
Advanced Grant-Empfänger an der Universität Stuttgart:
Mit seinem ERC Advanced Grant „Designing Democracy on Mars and Earth (DDME)“ fragt Prof. André Bächtiger nach der Zukunft der Demokratie, ihrer Werte und insbesondere ihrer institutionellen Architekturen. Dabei setzt er auf ein experimentelles, ko-kreatives und dialogisches Design: Repräsentativ ausgewählte Bürger*innen aus Deutschland, den USA und Indien diskutieren in einer Mars- und einer Erde-Gruppe online mit Demokratie-Expert*innen über demokratische Werte wie Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit oder auch Effizienz sowie die wünschbare Ausgestaltung demokratischer Institutionen. Der Clou dabei: Die „Mars“-Gruppe wird die Aufgabe haben, Demokratie auf dem roten Planeten zu designen; die „Erde“-Gruppe dagegen wird das Gleiche im Kontext des eigenen Landes tun.
- Preisträger: Prof. André Bächtiger, Institut für Sozialwissenschaften, Abteilung für Politische Theorie und Empirische Demokratieforschung
- Projekt: "Designing Democracy on ´Mars´ and ´Earth´: Exploring Citizens´ Democratic Preferences in a Deliberative and Co-Creative Design" (DDME)
- Laufzeit: 2022 - 2027
Muskeln bringen Lebewesen nicht nur in Bewegung, sie können auch als Schnittstelle zwischen dem Gehirn und der Umwelt dienen. Als solche bieten sie einen Blick in das Gehirn, um zum Beispiel die Ansteuerung von Muskeln zu untersuchen. Könnte man diese neuromuskulären Signale entschlüsseln, würde dies in der Medizin völlig neue Chancen in Diagnose und Behandlung eröffnen, sowie neue Methoden für Training und Rehabilitation ermöglichen. Dies erfordert jedoch gänzlich neue Ansätze. Die Vision von Prof. Oliver Röhrles Grant-Projekt qMOTION besteht darin, die neuronale Aktivierung von Skelettmuskeln mithilfe von Quantensensoren und datengesteuerten Simulationsansätzen präzise und nichtinvasiv zu entschlüsseln.
Erste Studien zeigen, dass die Untersuchung des Magnetfelds hierfür eine vielversprechende Option ist, insbesondere, wenn ein so genanntes High Density-magnetomyographisches (HD-MMG) Messsystem existiert, also ein Messsystem, das aus einer gitterähnlichen Anordnung von bis zu 100 Sensoren besteht. Der Fokus von qMOTION ist der Aufbau eines HD-MMG Messsystems für die Entschlüsselung der neuromuskulären Aktivität während der Bewegung.
- Preisträger: Prof. Oliver Röhrle, Institut für Modellierung und Simulation Biomechanischer Systeme
- Projekt: Simulation-enhanced Highdensity Magneto-myographic Quantum Sensor Systems for Decoding Neuromuscular Control During (qMOTION)
- Laufzeit: 2022 - 2027
Stark wechselwirkende Fermi-Gase kommen in der Natur in Bereichen vom kleinsten bis zum größten Maßstab vor - von Atomkernen bis zu Weißen Zwergen und Neutronensternen. Allerdings war es schon immer schwer, sie zu modellieren und theoretisch zu verstehen. Prof. Pfau und sein Expertenteam werden diese anspruchsvollen Probleme der Grundlagenphysik experimentell angehen. Dazu verwenden sie zwei innovative Quantengasmikroskopie-Methoden, die sich für den Nachweis starker dipolarer Quantenkorrelationen in Gittern und Doppelschichten sowie fermionischer Korrelationen um Verunreinigungen und Ladungen eignen.
Ziel von Prof. Tilman Pfau ist ein tiefgreifendes mikroskopisches Verständnis der zugrundeliegenden Physik stark korrelierter fermionischer Quantenmaterie, deren Wechselwirkungen sich über Distanzen erstrecken, die nur mit neuen Mikroskopiemethoden aufgelöst werden können.
- Preisträger: Prof. Tilmann Pfau, 5. Physikalisches Institut
- Projekt: "LongRangeFermi: A microscopic view of fermionic quantum matter with long-range interactions"
- Laufzeit: 2021 - 2026
ERC Synergy Grants
ERC Synergy Grants fördern Teams von zwei bis vier vielversprechenden Wissenschaftler*innen. Zielgruppe der ERC Synergy Grants sind exzellente Nachwuchswissenschaftler*innen sowie etablierte aktive Forschende mit herausragenden wissenschaftlichen Leistungen, die an den Schnittstellen zwischen etablierten Disziplinen an bahnbrechenden Themen arbeiten. Die Förderung beträgt bis zu 14 Mio. Euro)
Synergy Grant-Empfänger an der Universität Stuttgart:
Prof. Jörn Birkmann, Leiter des Instituts für Raumordnung und Entwicklungsplanung (IREUS) der Universität Stuttgart sowie Koordinierender Leitautor für den 6. Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC) erforscht im Rahmen eines ERC-Synergy Grants zusammen mit Prof. Sue Grimmond (University of Reading, England), Prof. Nektarios Chrysoulakis (Technisches Forschungsinstituts Hellas, Griechenland) und Prof. Andreas Christen (Universität Freiburg)neue Risiken durch Klimawandel und Urbanisierung.
In dem Projekt werden Dynamiken und Wechselwirkungen zwischen Städten bzw. Stadtentwicklung sowie Klima und Klimawandel untersucht. Die Entwicklung eines dynamischen Modells soll dabei helfen, bisher unverbundene Forschungsfelder zu verknüpfen. Dabei geht es unter anderem um die Implikationen von Klimawandel und Extremereignissen auf Verhaltens- und Mobilitätsmuster sowie auf Anpassungsstrategien unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen in Bezug auf zentrale Daseinsfunktionen von Städten wie Wohnen, Arbeiten und Erholung. Ein Ziel des Projekts ist die Ermittlung von unterschiedlichen Dynamiken und sog. „Urban Archetypes“, die sowohl unterschiedliche Siedlungsstrukturtypen (gebaute Umwelt) als auch sozio-demographische Profile und Mobilitätsmuster verschiedener Bevölkerungsgruppen (soziale Umwelt) erfassen und damit Informationen über Emissionen als auch Anpassungskapazitäten geben.
Der Beitrag von Prof. Birkmann bezieht sich insbesondere auf die Entwicklung eines neuen Assessment- und Modellierungsansatzes für Fragen der räumlichen Exposition und Verwundbarkeit von Menschen und Infrastrukturen in Städten gegenüber Klimawandel und Extremereignissen. Dabei wird Birkmann ein Assessment-Modell entwickeln, dass sozio-demographische Dynamiken, Reaktionen auf Klimaextreme sowie Treiber der urbanen Transformation für unterschiedliche Stadtstrukturtypen ermittelt und definiert. Konkret wird er unter anderem untersuchen, wie stark die Anzahl der Personen in Städten zukünftig ansteigt, die extremen Hitzeperioden ausgesetzt sind, und wie verwundbar unterschiedliche Bevölkerungsgruppen und Stadtstrukturtypen gegenüber Hitzestress sind. Zudem geht es um die Analyse und Modellierung aktueller und zukünftiger Anpassungsstrategien von Menschen und Institutionen (Stadtplanung) und die Rückwirkung dieser Anpassungsstrategien auf das lokale Klima.
Preisträger: Prof. Jörn Birkmann, Instituts für Raumordnung und Entwicklungsplanung (IREUS)
Projekt: Coupling dynamic cities and climate (urbisphere)
Laufzeit: 2020 - 2026
Ausgelaufene ERC-Grants
Normalerweise gibt es Wechselwirkungen wie Lichtbrechung oder Spiegelungen nur bei Photonen und Atomen. Prof. Hans Peter Büchler untersucht in seinem Projekt SIRPOL eine Methode, die eine starke Wechselwirkung zwischen einzelnen Photonen (Lichtteilchen) hervorrufen kann. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass Rydberg-Atome (Atome mit spezifischer Elektronen-Ladung) untereinander eine starke Wechselwirkung haben und bei Anwesenheit eines Photons ihre Wellenfunktion ändern.
- Preisträger: Hans Peter Büchler, Institut für Theoretische Physik III
- Projekt: "SIRPOL: Strongly interacting Rydberg slow light polaritons"
- Laufzeit: 2016 - 2021
Die Möglichkeit, Materialien mit ultra-starken Eigenschaften herzustellen, könnte das Materialdesign revolutionieren. Seit 80 Jahren ist bekannt, dass ultrahochfeste Materialien nur theoretisch existieren. Nun zeigen neue Experimente, dass der traditionelle Glaube durch nanostrukturiertes Design überwunden werden kann. Während jedoch ausgewählte Experimente auf diese wissenschaftlich faszinierende und technologisch wichtige Möglichkeit hinweisen (z.B. für Fortschritte bei strukturellen und funktionellen Materialien), beruht der weitere Fortschritt entscheidend auf Erkenntnissen aus theoretischen Simulationen. Das erfolgreichste Simulationswerkzeug ist die Molekulardynamik.
Die jüngsten Fortschritte in der Hardware ermöglichen es, mit Billionen von Atomen zu arbeiten und einen Vergleich mit Nano-Experimenten durchzuführen. Das drängende Problem ist jedoch eine riesige zeitliche Lücke von bis zu zehn Größenordnungen, und keiner der derzeit verfügbaren Ansätze ist in der Lage, diese Diskrepanz zu bewältigen.TIME-BRIDGE zielt auf die Lösung der zeitlichen Skalierung ab.
- Preisträger: Prof. Blazej Grabowski, Institute for Material Science
- Projekt: Time-scale bridging potentials for realistic molecular dynamics simulations (TIME-BRIDGE)
- Laufzeit: 2015 - 2020
Chemische Reaktionen im quantenmechanischen Tunneleffekt
Mit Hilfe von Simulationen untersucht Prof. Johannes Kästner den quantenmechanischen Tunneleffekt von Atomen. Dieser lässt manche chemischen Reaktionen bei niedrigen Temperaturen schneller ablaufen und ermöglicht sogar Reaktionen im eiskalten Weltraum. „Mich fasziniert der Tunneleffekt schon seit Jahren", sagt Kästner. "Dank der Förderung durch die EU kann ich diesen Effekt umfangreich untersuchen und zudem meine Forschungsgruppe deutlich vergrößern.“
- Preisträger: Johannes Käster, Institut für Theoretische Chemie
- Projekt: "TUNNELCHEM: Atom-Tunneling in Chemistry"
- Laufzeit: 2015 - 2020
Die Plasmonik hat in den letzten Jahren die Optik revolutioniert. Dank metallischer Nanostrukturen kann Licht mit Hilfe von Nanoantennen auf kleinste Dimensionen konzentriert werden - viel kleiner als die Lichtwellenlänge. Dies hat zu neuen Effekten bei der Licht-Materie-Wechselwirkung geführt, zum Beispiel bei der Sensorik oder bei der nichtlinearen Optik. Prof. Giessen und seine Gruppe untersuchen die ultimativen Limits dieser Wechselwirkungen. Einzelne Nanoantennen und ihre Wechselwirkung mit einzelnen Objekten, einzelnen Molekülen, einzelnen Proteinen, auch chirale Licht-Materie-Wechselwirkungen. Dies soll eine Brücke bauen zwischen Grundlagenforschung und möglichen Anwendungen sowie zwischen den Disziplinen Physik, Chemie und molekularer Biologie.
- Preisträger: Harald Giessen, 4. Physikalisches Institut
- Projekt: "COMPLEXPLAS: Complex Plasmonics at the Ultimate Limit: Single Particle and Single Molecule Level "
- Laufzeit: 2013 - 2018
Physikalische und chemische Eigenschaften von Molekülen
Prof. Hans-Joachim Werner und sein Team versuchen, die physikalischen und chemischen Eigenschaften von Molekülen möglichst genau zu berechnen und zu verstehen, wie Moleküle miteinander reagieren. „Unser Ziel ist die Entwicklung von Theorien und Computerprogrammen zur Simulation von chemischen Reaktionen. Ausgehend von den grundlegenden physikalischen Gesetzen und Naturkonstanten sollen die Eigenschaften und die Reaktivität von Molekülen vorhergesagt werden, ohne empirische Informationen zu verwenden“, erläutert Werner seine Forschung.
- Preisträger: Hans-Joachim Werner, Institut für Theoretische Chemie
- Projekt: “ASES: Advancing computational chemistry with new accurate, robust and scalable electronic structure methods"
- Laufzeit: 2013 - 2018
Prof. Oliver Röhrle arbeitet an der biomechanischen Simulation des menschlichen Körpers. Die von ihm entwickelten Computermodelle helfen unter anderem, Bewegungsabläufe von beinamputierten Menschen zu simulieren. "So können wir einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung des Zusammenspiels von Stumpf und Schaft leisten“, erklärt Röhrle.
- Preisträger: Oliver Röhrle, Institut für Mechanik, Lehrstuhl für Kontinuumsmechanik
- Projekt: “LEAD: Lower Extremity Amputee Dynamics: Simulating the Motion of an Above-Knee Amputee’s Stump by Means of a Novel EMG-Integrated 3D Musculoskeletal Forward-Dynamics Modelling Approach”
- Laufzeit: 2012 - 2017
Steuerung von Wechselwirkungen mit langer Reichweite in Quantengasen
Quantensysteme mit langreichweitigen Wechselwirkungen bieten neue Möglichkeiten für sichere Datenübertragung und die Quanteninformationsverarbeitung. Prof. Tilman Pfau und sein Team untersuchen die Verwandlung von Lichtteilchen in atomare Gase durch effiziente Absorption, um so eine Wechselwirkung zwischen Lichtteilchen zu ermöglichen. Diese Wechselwirkung ist erforderlich, damit Daten übertragen werden können.
- Preisträger: Tilman Pfau, 5. Physikalisches Institut
- Projekt: "LIQAD: Long-range interacting quantum systems and devices"
- Laufzeit: 2011 - 2016
Die zunehmende Miniaturisierung in Form atomar präzise strukturierter Festkörper sowie die Integration optischer, mechanischer und elektronischer Komponenten führen dazu, dass sich quantenmechanische Phänomene auf neuartige Weise beobachten und nutzen lassen. Dies wurde im Projekt SQUTEC dazu genutzt , Informationen besonders schnell zu verarbeiten beziehungsweise zu übertragen oder Sensoren mit bis dato unerreichter Empfindlichkeit zu konstruieren - mit einem Material, das für seine besondere Härte und optische Transparenz bekannt ist: Diamant.
- Projekt: "SQUTEC: Solid State Technology and Metrology Using Spins"
- Duration: 2011 - 2016
Abbildung elektrischer Felder einzelmolekularer Ladungen mit Quantensensoren
Schon seit einiger Zeit ist bekannt, dass Quantensensoren neue Empfindlichkeitsrekorde aufstellen und man zum Beispiel einzelne Protonen „wiegen“ kann. Bisher war dies jedoch nur unter sehr speziellen Umgebungsbedingungen möglich, zum Beispiel im Ultrahochvakuum und bei sehr tiefen Temperaturen. Als ein Ergebnis eines vorausgegangenn ERC Grants aus dem Jahr 2011, der die Nutzung atomarer Defekte in Diamanten für die Quantentechnologie zum Inhalt hatte, ist es Wrachtrup und seinem Team gelungen, diese Methoden auch unter Umgebungsbedingungen anzuwenden. Damit wurde eine Vielzahl von Anwendungsgebieten vor allem in der Materialwissenschaft und biomedizinischen Diagnostik erschlossen.
Einige dieser Erkenntnisse werden im Rahmen des neuen ERC-Grants nun weitergeführt und vertieft. „Mit dem Grant möchte ich zeigen, wie man mit Hilfe von Quantensensoren elektrische Felder mit bisher unerreichter Empfindlichkeit und räumlicher Auflösung und damit zum Beispiel einzelne elektrische Ladungen verfolgen kann“, betont der Wissenschaftler. Dabei will Wrachtrup zwei Anwendungsrichtungen verfolgen. „Einerseits werden wir chemische beziehungsweise biochemische Reaktionen auf der Nanometerskala, auch in sehr komplexen Umgebungen, wie zum Beispiel in Zellen untersuchen. Damit wollen unter anderem verstehen, wie Nervenzellen zum Beispiel im Gehirn zusammenarbeiten. Andererseits werden wir Präzisionsmessungen zur Wechselwirkung elektrischer Ladungen und uns auf die Suche nach ‚neuen Wechselwirkungen‘ machen, die zum Beispiel für die Erklärung der dunklen Materie im Universum verantwortlich sein könnten."
- Preisträger: Prof. Jörg Wrachtrup, 3. Physikalisches Institut
- Projekt: „Electric field imaging of single molecular charges by a quantum sensor” (SMEL)
- Laufzeit: 2017 - 2022
EU-Projekte mit Konsortialführerschaft der Universität Stuttgart
EU-Projekte bündeln die Fachexpertise von zahlreichen europäischen und außereuropäischen Forschungs- und Industriepartnern und werden von der Europäischen Union mit vielen Millionen Euro gefördert. Folgende Projekte werden an der Universität Stuttgart koordiniert:
Vielversprechende Innovationen in der Biotechnologie enden trotz fortschrittlicher Methoden oft im Nichts, etwa weil die Zelllinienentwicklung mit zu vielen möglichen Modifikationen zu komplex ist. Das Projekt BIOS, zielt darauf ab, den herkömmlichen „Design-Build-Test-Learn"-Zyklus (DBTL) biointelligent zu optimieren und die Geschwindigkeit und Erfolgsquoten im Bioengineering zu erhöhen.
Koordination: Prof. Ralf Takors, IBVT
Für den Luftfahrtsektor ist heute die globale Minimierung schädlicher Umwelteinflüsse eine enorme Herausforderung, und die EU-Kommission hat das Ziel gesetzt, die Luftfahrt bis 2050 klimaneutral zu gestalten. Um dies zu erreichen, arbeiten Forschende im Rahmen des Projekts FutPrInt50 (Future Propulsion and Integration towards a hybrid-electric 50-seat regional aircraft) an einem hybrid-elektrischen Flugzeug mit bis zu 50 Sitzen.
Koordination: Prof. Andreas Strohmayer
Die Europäische Union ist weitgehend abhängig von Importen von weißem Phosphor (P4), einem strategischen Rohstoff für die Lebensmittel- und Pharmaindustrie. Um dieser Herausforderung zu begegnen, wird das EU-Projekt FlashPhos unter der Leitung der Universität Stuttgart mit Hilfe eines thermochemischen Verfahrens hochwertigen weißen Phosphor und andere Rohstoffe unter Verwendung von Klärschlamm als Ausgangsmaterial in großem Maßstab zurückgewinnen. Die Rohstoffe finden strategische Anwendung in der europäischen Chemie-, Metall- und Zementindustrie.
Koordination: Matthias Rapf
EuroCC2 führt die Arbeit des EuroCC-Projekts fort, in dessen Rahmen die teilnehmenden Länder ein nationales Kompetenzzentrum (NCC) im Bereich des Hochleistungsrechnens (HPC) in ihrem jeweiligen Land errichteten. EuroCC2 finanziert die nationalen Kompetenzzentren für Höchstleistungsrechnen (NCCs for HPC). Die Zentren dienen als erste Anlaufstelle für Nutzer von und Interessenten an Höchstleistungsrechnen und unterhalten ein Netzwerk an Anbietern und Dienstleistern aus dem Sektor. Weiterhin bieten die NCCs selbst ein breites Serviceportfolio mit Trainings, Dienst- und Beratungsleistungen sowie Zugang zu Rechnersystemen an, das sich an Nutzer aller Zielgruppen richtet.
Koordination: Höchstleitungsrechenzentrum Universität Stuttgart (HLRS)
CASTIEL2 ist die Fortführung der Koordinierungs- und Unterstützungsaktion (CSA) CASTIEL und koordiniert die Nationalen Kompetenzzentren für Höchstleistungsrechnen (NCCs for HPC). Schwerpunkte sind die Bereiche Ausbildung, industrielle Interaktion und Kooperation, Geschäftsentwicklung, Sensibilisierung für HPC-bezogene Technologien und Fachwissen. In CASTIEL2 sind neu auch einige Centres of Excellence (CoEs) hinzugekommen. Während die NCCs Kompetenzen auf regionaler Ebene bündeln (pro Land), bündeln CoEs Kompetenzen pro Sektor (z.B. Engineering). Um diesen Infrastrukturen koordinierten Austausch und zielgerichtete Zusammenarbeit zu ermöglichen, wurde CASTIEL2 ins Leben gerufen.
Koordination: Höchstleistungsrechenzentrum Universität Stuttgart (HLRS)
FF4EuroHPC ist eine europäische Initiative, die dazu beiträgt, KMU den Zugang zu allen Technologien des Hochleistungsrechnens zu erleichtern und so das Innovationspotenzial der europäischen Industrie zu erhöhen. Ob es um hochauflösende Simulationen, umfangreiche Datenanalysen oder die Integration von KI-Anwendungen in die Arbeitsabläufe von KMU geht, FF4EuroHPC bringt Unternehmen mit Spitzentechnologien zusammen, indem es Pilotversuche finanziert und Erfolgsgeschichten produziert.
Koordination: Höchstleistungsrechenzentrum Universität Stuttgart (HLRS)
Das übergeordnete Forschungsziel von SECRET besteht darin, die wechselseitige Regulierung des sekretorischen Weges und der Signalübertragung bei Brust- und Darmkrebs zu verstehen. Dies wird als Plattform für die Identifizierung und Untersuchung neuartiger diagnostischer und therapeutischer Strategien dienen. Beteiligt sind 18 Partner aus neun Ländern.
Koordination: Dr. Angelika Hausser
Im Fokus des Projekts GREAT stehen Gitterwellenleiterstrukturen, die es ermöglichen, Laserstrahlen durch Anpassung ihrer zeitlichen, spektralen und räumlichen Eigenschaften zu verbessern und damit ihre Anwendungsmöglichkeiten in Industrie und Wissenschaft zu erhöhen.
Koordination: Dr. Marwan Abdou-Ahmed
EXCELLERAT P2 setzt die fruchtbare Partnerschaft zwischen Europas führenden HPC-Zentren, Anwendungsspezialisten und weiteren unterstützenden Partnern fort, in dem auch die zweite Projektphase vom HLRS koordiniert wird. Das Centre of Excellence ist für die Skalierung wichtiger Codes für Ingenieuranwendungen auf größere Rechnerarchitekturen verantwortlich. Zusätzlich unterstützt EXCELLERAT den Technologietransfer, sodass diese Codes auch von der Industrie übernommen werden können. EXCELLERAT P2 konzentriert seine Entwicklung auf sechs ausgewählte Anwendungsfälle, die das gesamte Spektrum an HPC-Nutzungsprofilen abdecken.
Koordination: Höchstleitungsrechenzentrum Universität Stuttgart (HLRS)
Kontakt
Saskia Zocher
Kommissarische Abteilungsleitung