Programmiertes Glück

Der Südtiroler Daniel Graziotin und sein Team suchen nach den Happinessfaktoren für Software-Entwickler

Glückliche Mitarbeiter sind motivierter, leistungsfähiger und finden häufiger Problemlösungen als unzufriedene Mitarbeiter - dies trifft unter anderem auch auf Software-Entwickler zu, wie Wissenschaftler der Universität Stuttgart herausgefunden haben.
[Foto: Universität Stuttgart/Max Kovalenko]

Wenn sich ein Software-Entwickler rundum wohlfühlt, nimmt seine Fähigkeit, analytisch Probleme zu lösen, um fünf bis zehn Prozent zu. Das hat Dr. Daniel Graziotin vom Institut für Softwaretechnologie (ISTE) der Universität Stuttgart zusammen mit Kollegen herausgefunden. In einer großen Studie geht das Team in Stuttgart, Bozen, Trondheim und Helsinki nun der Frage nach, was Entwickler in ihrem (Berufs-)Leben glücklich oder unglücklich macht. Die Erkenntnis: Unternehmen können mehr beeinflussen als vermutet.

Masseur und Fitnessstudio bei Google, ein Wellness- Center in der Apple-Zentrale: Immer wieder machen IT-Konzerne mit Extras für ihre Angestellten Schlagzeilen. Dass sie damit nicht ganz falsch liegen, um die Produktivität ihrer Mitarbeiter zu steigern, zeigen die Studien des 30 Jahre alten Softwaretechnik-Forschers Daniel Graziotin. Sie belegen: Glückliche Programmentwickler schreiben bessere Software. Doch welchen Einfluss haben die Unternehmen auf das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter? Um das herauszufinden, befragte Graziotin gemeinsam mit den ehemaligen Betreuern seiner Dissertation an der Freien Universität Bozen Bolzano Xiaofeng Wang und Pekka Abrahamsson (jetzt Trondheim/Norwegen) sowie Fabian Fagerholm von der Universität Helsinki mehr als 2.000 Software-Entwickler aus 88 Ländern. Die lieferten über alle Ländergrenzen hinweg so viele Antworten, dass das vierköpfige Team die Daten nur Stück für Stück auswerten kann. Die ersten Studienergebnisse zeigen: Egal welche Nationalität die Software-Entwickler haben oder in welchem Teil der Welt sie leben, selten sind es private Probleme, die das Glück bei der Arbeit beeinträchtigen, fast nie die Gehälter. Vorgesetzte, Kollegen und die Arbeitsmittel nehmen hingegen zentralen Einfluss auf die Gefühlslage der Entwickler.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten einen zweiteiligen Online-Fragebogen entwickelt. Der erste Teil enthielt den in der Psychologie anerkannten SPANE-Test, wobei SPANE für „Scale of Positive And Negative Experience“ steht. Mithilfe dieses Tests lässt sich ermitteln, auf welchem Grad persönlichen Wohlbefindens sich die jeweilige Person befindet. „Wenn man sich Texte von Entwicklern im Internet anschaut, dann finden wir viele Klagen und Beschwerden über Vorgesetzte, Kollegen und das Arbeitsumfeld“, berichtet Graziotin. „Das lässt vermuten, dass Entwickler eher unglückliche Menschen sind. Wir fanden aber überraschenderweise heraus, dass sie eine vergleichsweise glückliche Bevölkerungsgruppe sind.“ Auf der Skala von -24 (sehr unglücklich) bis +24 (sehr glücklich) des SPANE-Tests lagen die Entwickler bei +9. Der generelle Durchschnitt liegt etwa zwischen +3 und +6. „Wir wissen noch nicht, was es bedeutet, dass Software-Entwickler glücklicher sind als andere Berufsgruppen. Aber wir wissen jetzt, dass es so ist.“

Vier zentrale Forschungsfragen will das Team mithilfe des zweiten Teils ihrer Befragung beantworten: Was sind die Ursachen dafür, dass ein Software-Entwickler glücklich ist? Was macht ihn unglücklich? Welche Folgen entstehen daraus, wenn er glücklich ist? Und welche aus seinem Unglück? Da die Teilnehmer diese Fragen in offenen Textfeldern beantworteten, sitzen die Forscher nun auf einem Berg von Daten. „Wir haben die Dimensionen Glück und Unglück und wir haben dafür jeweils die Gründe und die Folgen. Bis jetzt haben wir die Konsequenzen der beiden Gemütszustände analysiert und die Gründe fürs Unglücklichsein. Aber wir wissen noch nicht, was Entwickler glücklich macht. Daran arbeiten wir noch“, sagt Graziotin.

Privatleben meist nicht entscheidend

Doch schon die bisherigen Ergebnisse brachten Erstaunliches ans Licht. Das Team unterschied interne Einflussfaktoren, die also bei der Person des Entwicklers lagen, und externe, die von außen auf dessen Arbeit einwirken. „Was uns ebenfalls überraschte war, dass für das Unglücklichsein die externen Faktoren viermal so oft wirkten, wie die internen. Das bedeutet, hier können Vorgesetzte noch sehr viel tun“, so Graziotin. „Wir hatten erwartet, dass persönliche Probleme und Ereignisse in der Privatsphäre in den meisten Fällen eine negative Stimmung hervorrufen. Unsere Studie zeigte jedoch, dass meistens technische Probleme mit den Werkzeugen sowie die Arbeitsprozesse zu einem Gefühl des Unglücklichseins beitragen.“ Die 219 genannten Faktoren der Umfrageteilnehmer teilten die Wissenschaftler in 18 Kategorien ein. Die meistgenannte war „beim Lösen von Problemen nicht weitergekommen“. Das zählt methodisch zu den internen Faktoren, sagt jedoch laut Graziotin alleine wenig aus. „Manche gaben zusätzlich an, dass ihnen die richtigen Werkzeuge fehlten oder dass sie durch Kollegen oder die Geschäftsleitung blockiert wurden“, berichtet er. „Hier wird es interessant, denn das sind ja die eigentlichen Hintergründe, die es gilt, aus den Daten herauszuholen.“ Die zweitwichtigste Kategorie ist „Zeitdruck“. „Der lässt sich nie ganz vermeiden, aber es gibt Tricks, um ihn zu verringern“, sagt Graziotin. „Wir haben gesehen, dass Überstunden nicht dazu beitragen, die Produktivität zu erhöhen.“ Das belegen auch andere Untersuchungen. Manchmal ist es also besser, den Stress herauszunehmen und die Leute heimgehen zu lassen. Am nächsten Tag sind sie ausgeruht und produktiver.

Dass Software-Entwickler gerne gute Qualität herstellen, zeigt die am dritthäufigsten genannte Kategorie „Schlechte Qualität der Codes“. Manche IT-Firmen würden nur Wert auf Tempo legen, so Graziotin. „Wenn das Unternehmen zeigt, gute Qualität ist uns wichtig, hilft das.“ Langweilige und sich stark wiederholende Arbeiten – ebenfalls oft genannt – lassen sich zwar nicht umgehen; eine andere Verteilung schafft jedoch Entlastung. „Wer dauernd eintönige Aufgaben bekommt, wird stetig weniger leisten.“

Zu den Top-Kategorien der Unzufriedenheitsgründe gehörte auch „schlecht arbeitende Kollegen“, die die eigene Arbeit in irgendeiner Form behindern. Die Aussage „ich fühle mich mit meiner Arbeit unzulänglich“ (Platz 5), könnte bedeuten, dass Vorgesetzte Aufgaben so vergeben müssen, dass der jeweils Beauftragte in der Lage ist, sie mit seinen Kompetenzen zu erledigen. Dies war neben gelegentlich angeführten, rein privaten Problemen die einzige weitere Kategorie, die mit der Person des Entwicklers zusammenhängt.

Dr. Daniel Graziotin mit den Ergebnissen der Studie "Consequences of Unhappiness While Developing Software"

Die Künstler unter den Ingenieuren

Doch warum sollten Firmen überhaupt Wert darauf legen, dass sich Software-Techniker wohlfühlen? Entwickler seien Kreative, irgendwo zwischen Künstlern und Ingenieuren angesiedelt, meint Graziotin. Auf Kreativität wirke sich die Gemütsverfassung deutlich stärker aus, als vielleicht auf die Arbeit eines Handwerkers oder Industriearbeiters. Aufschlussreich war für ihn daher auch, welche Faktoren in der Studie keine Rolle spielten, etwa unterschiedliche Mentalitäten und Nationalitäten. Auch demografische Faktoren wie Firmengröße, Berufserfahrung, ob Angestellter oder Selbstständiger, haupt- oder nebenberuflich tätig – alles ohne Belang für das persönliche Glück und die Auswirkungen auf die Arbeit. Selbst das Brutto-Einkommen spielt hierfür keine Rolle.

Schon 2010, während seiner Masterarbeit an der Universität Bozen zur Frage, warum manche Entwickler produktiver arbeiten als andere, hatte Graziotin bemerkt, dass sich die Forschung nur mit technischen Fragen befasste. In einem Gespräch mit Pekka Abrahamsson zu seiner Doktorarbeit, mit der Graziotin 2013 startete, warf er das Problem auf: „Ich könnte die besten Werkzeuge der Welt haben, gut ausgebildet sein und in einem tollen Team arbeiten. Aber eines Tages bin ich in schlechter Stimmung – dann kommt keine gute Arbeit dabei heraus. Aber das beachtet niemand.“ Seine Dissertation sollte deshalb die Verbindungen von Glück und den Leistungen von Entwicklern erklären. „Das Offensichtliche kam heraus: Glückliche Entwickler leisten mehr, unglückliche weniger. Aber die Wissenschaft muss erklären, warum das so ist.“ Zusammen mit seiner zweiten Betreuerin Xiaofeng Wang hatte Graziotin daher beschlossen, die Theorien der Psychologie mit einzubeziehen. „Damit begann diese Forschung“, die bis dahin niemand gemacht hatte. Auch weil die Ergebnisse große Aufmerksamkeit erregten, führt der dreißigjährige Südtiroler Grazition diese nun mit einem Stipendium der Alexander-von-Humboldt-Stiftung in Stuttgart fort.

Mitarbeiter wollen Gehör finden

Zwar ist Glück dabei nur ein Faktor von vielen, aber eben ein relevanter, wie Graziotin zeigen konnte. „Als Mensch motiviert mich aber vor allem, die Arbeitsbedingungen und das Wohlbefinden von Software-Entwicklern zu verbessern.“ Von der Arbeit des Quartetts profitieren IT-Firmen unmittelbar, denn hier wird mit offen verfügbaren Daten gearbeitet. „Wenn ein Manager eines Software-Unternehmens überlegt, wie er die Leistungsfähigkeit seiner Mitarbeiter steigern kann, indem er ihre allgemeine Stimmung hebt, findet er die Liste mit unseren Ergebnissen im Internet.“ Genaue Aussagen lassen sich zwar nur im Einzelfall treffen. „Was die Antworten der Studienteilnehmer insgesamt ausdrücken, ist aber, dass es vor allem um mangelnde Unterstützung geht“, sagt Graziotin. Bei Teamleitern, Kollegen und der Geschäftsleitung Gehör zu finden, sei für Entwickler essenziell. „Der erste wichtige Hinweis an Unternehmen wäre: Macht eine anonyme Umfrage ähnlich der unsrigen und ermöglicht persönliche Unterstützung durch die Vorgesetzten.“ Strategische Entscheidungen trifft in der Regel das Management. Das ist auch für die meisten in Ordnung. Allerdings werden die Entwickler nach Graziotins Erkenntnissen in der Regel jedoch überhaupt nicht miteinbezogen und müssten oftmals mit Technik arbeiten, die sie nicht wollten. Wenn man sie wenigstens hierzu anhören würde, da ist er sich sicher, wären viele Software-Entwickler schon wesentlich glücklicher.
Daniel Völpel

Dr. Daniel Graziotin, Institut für Softwaretechnologie (ISTE), Tel.: +49 711/685-88338, E-Mail

Kontakt

 

Hochschulkommunikation

Keplerstraße 7, 70174 Stuttgart

Zum Seitenanfang