Harte Schale, zartes Händchen

Das Graduiertenkolleg Soft Tissue Robotics bringt Robotern den Umgang mit weichen Materialien bei

Roboter sollen künftig in der Lage sein, mit weichen Materialien umzugehen ohne diese nachhaltig zu beschädigen.

Promovierende an der Universität Stuttgart erforschen, wie Roboter sanfter zufassen und sich damit in völlig neuen Arbeitsbereichen einsetzen lassen. Inspirieren lassen sie sich unter anderem von Farmern in Neuseeland.

Roboter können ziemlich viel. Sie können Autos lackieren, Platten schneiden, Scheiben einkleben und Befehle verstehen. Aber es gibt auch eine Menge, was Roboter noch nicht können: Sie haben Probleme beim Obstpflücken, können keine Schweinehälften filetieren und sind nicht in der Lage, menschliches Gewebe zu identifi zieren. Kurz zusammengefasst: Wenn harte Roboter auf weiche Materie treffen, gibt es Probleme. Oliver Röhrle und Alexander Verl gehören zu den Wissenschaftlern, die das ändern wollen. Oliver Röhrle, Professor für Kontinuumsbiomechanik und Mechanobiologie an der Universität Stuttgart, leitet das internationale Graduiertenkolleg (IGK) „Soft Tissue Robotics“.

Mit Hilfe von Computersimulationen erforscht das Team, wie Roboter den Umgang mit weichen Materialien lernen können. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das Projekt, Partner ist die University of Auckland in Neuseeland, mit der die Universität Stuttgart seit vielen Jahren kooperiert. Die Forschung stand auch im Mittelpunkt des New Zealand-Germany Science Circle Stuttgart, mit dem im März 2017 das 40-jährige Bestehen des deutsch-neuseeländischen Wissenschaftsabkommens gefeiert wurde.

Roboterarme sollen mit sensiblen Materialien umgehen können.
Roboterarme sollen mit sensiblen Materialien umgehen können.

Auf deutscher und neuseeländischer Seite forschen jeweils mindestens zehn Personen. Die Arbeit des Kollegs ist bereichsübergreifend. „Wir nutzen Synergien in den Forschungsschwerpunkten beider Universitäten“, sagt Röhrle. Dazu gehören neben Simulationstechnik auch Biomedizin, Robotertechnik und cyberphysische Systeme. Er betont, dass es um Grundlagenforschung geht, deren Ergebnisse später einmal in konkrete Anwendungen einfl ießen sollen.

Arbeit im Schlachthof vereinfachen

Eine Idee zu diesem Projekt stammt aus dem von landwirtschaftlicher Industrie geprägten Neuseeland. Dort leben zwar nur vier Millionen Einwohner, pro Jahr werden aber rund 30 Millionen Schafe geschlachtet. Die Fleischverarbeitung soll zunehmend automatisiert werden – ein Plan, der derzeit an seine Grenzen stößt. Denn verschiedene Fleischstücke wie Herzen, Leber oder Nieren zu sortieren, ist für einen Roboter nicht einfach. Ähnlich sieht es bei der Ernte von Äpfeln oder Kiwis aus. Bislang scheiterten alle Versuche, diese Aufgabe zu automatisieren. Ein Roboter könnte die Früchte beim Pflücken quetschen, was sie für den Export wertlos macht.

Roboter am Operationstisch

Dieselben Probleme treten in der Medizintechnik auf. Zwar können Roboter wesentlich präziser operieren als Chirurgen. Millionenfach führen sie bereits Eingriffe an Menschen aus. Allerdings gibt es Risiken: Durch unkontrollierte Bewegungen könnten Operationsroboter Patienten verletzen. Die künftigen Anwendungsmöglichkeiten in der Medizin sind enorm. Seit Langem lässt sich per Computertomografie zum Beispiel Tumorgewebe von gesundem Gewebe unterscheiden. Nach diesen Vorgaben wird in der Klinik operiert. „Ein Roboter kann das künftig vielleicht besser machen als ein Arzt“, so der Co-Sprecher des Graduiertenkollegs und Leiter des Instituts für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen an der Universität Stuttgart, Prof. Alexander Verl. Doch dafür müsste die Wissenschaft vorher viel mehr über die Schnittstelle zwischen Roboter und Weichgewebe wissen.

Treffen harte Roboter auf weiche Materie, gibt es oft Probleme.
Treffen harte Roboter auf weiche Materie, gibt es oft Probleme.

Aus praktischen Problemen wie diesen leiten die Forschenden Fragen für ihre Arbeit ab. „Wir überlegen beispielsweise, wie wir den Roboter ansteuern und wie wir Materialien simulieren können, mit denen er arbeitet“, erklärt Röhrle. Dieses Grundlagenwissen erleichtert die künftige Forschungsarbeit. „Erst in einem weiteren Schritt werden wir die Frage beantworten, wie sich die Ergebnisse in die reale Welt übertragen lassen.“

Das Graduiertenkolleg beschäftigt sich außerdem mit dem Thema Sensorik. Hier sind aber weder Kameras noch Tastfühler gemeint, sondern wesentlich komplexere Zusammenhänge. Hinweise kommen zum Beispiel aus der Entwicklung moderner Exo-Skelette, also Robotern, die in Form eines Korsetts am Körper getragen werden. Sie wirken als Kraftverstärker: Minimale Impulse der Muskulatur steuern die Antriebe, welche die Bewegungen des Trägers verstärken.

Verständnis von Weichgewebe

Die elektrischen Signale der Muskelfasern lassen sich als sogenanntes Elektromyogramm aufzeichnen. In einem Projekt geht es außerdem darum, eine Sensorik zu entwickeln, die diese Impulse auswerten kann, sodass diese sich anschließend in Steuersignale umwandeln lassen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse helfen dabei, das grundlegende Verständnis von aktivem Weichgewebe zu erweitern. Die Ergebnisse könnten überall dort Nutzen bringen, wo es um die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine geht. Exo-Skelette könnten den Fertigungsprozess eines Industrieunternehmens revolutionieren. Ein Beispiel: Muss ein Fabrikarbeiter schwere Teile heben, schafft er das manchmal aus eigener Kraft, manchmal braucht er Hilfe. Messbare Impulse seiner Muskulatur könnten eine elektrische Hebehilfe aktivieren, die je nach Bedarf mit anpackt. Ältere oder durch Krankheit geschwächte Arbeitnehmer könnten auf diese Weise weiter am Erwerbsleben teilnehmen.

Die erste Förderphase des Projekts ist auf viereinhalb Jahre angelegt. Der darauf folgende Abschnitt von gleicher Länge könnte sich um einen weiteren Aspekt kümmern: das Material, aus dem der Roboter gebaut ist. Denn der muss keineswegs immer aus Metall sein. Denkbar wären auch Maschinen, die aus verformbarem Kunststoff gemacht sind. In diesem Material könnten winzige Kanäle verlaufen, die mit Gasen oder Flüssigkeiten gefüllt sind. Ähnlich wie eine menschliche Hand mit ihren Blut- und Nervenbahnen könnten solche Roboter dann sanft zufassen und womöglich auch eine Art Tastsinn entwickeln. Heimo Fischer

  • Prof. Oliver Röhrle, Institut für Mechanik (Bau), Lehrstuhl Continuum Biomechanics and Mechanobiology, Tel.  +49 711 685-66284, E-Mail, Website
  • Prof. Alexander Verl, Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen, Tel. +49 711 685-82422, E-Mail, Website

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