Revolutionärer Empfindlichkeitssprung

Forschung Erleben

Quantentechnologien verbessern die Materialanalytik drastisch
[Foto: University of Suttgart/ Max Kovalenko]

Unter der Koordination der Universität Stuttgart arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an einer Technologie, die für die Kernspinresonanzspektroskopie völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Dank der Quanteneigenschaften bestimmter Verunreinigungen in Diamanten steigt die Empfindlichkeit der Methode um einen Faktor 1.000. Pharmaunternehmen, Labore, Arztpraxen und nicht zuletzt auch die personalisierte Medizin werden davon profitieren.

er Preis bestimmt das Einsatzgebiet einer Technologie. Wenn sie in der Anschaffung einen sechs- bis siebenstelligen Betrag kostet, dann mag sie noch so leistungsfähig sein – sie wird sich nur in Nischen etablieren. Doch wenn dieselbe Technologie um den Faktor 100 billiger wäre und in zehn Jahren sogar nur noch einige hundert Euro kosten würde, dann käme das einer Revolution gleich: Auf einen Schlag wäre die Technologie für jedermann erschwinglich.

Wenn Prof. Jens Anders, Leiter des Instituts für Intelligente Sensorik an der Universität Stuttgart, über die Kernspinresonanzspektroskopie spricht, dann geht es um eine solche Revolution. Der Elektrotechnik- Ingenieur ist Koordinator des EU-Forschungsprojekts „Nanospin“, das demnächst startet und interdisziplinäre Teams aus fünf europäischen Ländern zusammenbringt.

Die Projektbeteiligten haben sich zum Ziel gesetzt, die Kernspinresonanzspektroskopie um einen Faktor 1.000 empfindlicher zu machen. „Dadurch werden Geräte möglich, die entweder viel leistungsfähiger sind als ihre Vorgänger oder sehr viel kleiner und billiger als heute“, verdeutlicht Anders. Um zu verstehen, wie das geht, muss man ihm gedanklich vom ganz Großen – den heutigen Geräten – zum ganz Kleinen folgen, zu einem quantenphysikalischen Effekt.

Mit dem Thema Kernspinresonanz kommt der Normalbürger für gewöhnlich beim Arzt in Berührung. Wer zur Diagnose „in die Röhre“ muss, der liegt in einem Gerät mit rund zwei Metern Durchmesser, das Bilder von Gewebe und Organen aufnimmt. Eventuell hat der Patient zuvor noch ein Kontrastmittel verabreicht bekommen. Neben der medizinischen Anwendung der Kernspinresonanz gibt es eine weitere in der Analytik: Hier lassen sich mit dieser Technologie Materialien und Wirkstoffe exakt untersuchen, und zwar so genau, dass Moleküle einfach zu unterscheiden sind. Diese Methode heißt Kernspinresonanzspektroskopie – und um sie geht es im Projekt „Nanospin“.

Prof. Jens Anders (links) ist Leiter des Instituts für Intelligente Sensorik an der Universität Stuttgart und Koordinator des EU-Forschungsprojekts „Nanospin“, das interdisziplinäre Teams aus fünf europäischen Ländern zusammenbringt.

Geräte so groß, dass sie Hallen füllen

„Sie nutzt eine quantenphysikalische Eigenschaft von Atomkernen aus, den sogenannten Kernspin“, erläutert Anders. Jeder Atomkern verhält sich wie ein kleiner Magnet. Setzt man eine Materialprobe einem starken statischen Magnetfeld aus und strahlt Energie über ein elektromagnetisches Wechselfeld ein, lassen sich die Kernspins resonant anregen und anschließend mittels einer Spule „auslesen“. So können die Experimentatoren auf die Struktur und Dynamik von Molekülen zurückschließen und deren Konzentrationen bestimmen. Es ist ein mächtiges Analyseinstrument – mit mächtigen Geräten. „Die empfindlichsten füllen eine Werkhalle komplett aus und erreichen Magnetfeldstärken von 28 Tesla“, verdeutlicht Anders. Das ist rund 3.000-mal so stark wie ein Kühlschrankmagnet; so starke Magnetfelder erfordern entsprechend große Ströme in tiefgekühlten Magnetspulen. Während solche Riesen weltweit nur in Speziallaboren stehen, sind Geräte mit ungefähr sieben Tesla relativ weit verbreitet, etwa in Forschungseinrichtungen oder Pharmaunternehmen.

„Der Nachteil der Technologie ist ihre geringe Empfindlichkeit“, sagt Anders. „Will man zum Beispiel die Zusammensetzung der Moleküle in einer Probe ermitteln, dann dauert so eine Messung die ganze Nacht.“ Durchsatzmessungen, wie sie etwa in der Pharmaforschung weit verbreitet sind, sind daher oft unwirtschaftlich. Bei solchen Messungen geht es beispielsweise darum, möglichst viele Varianten pharmazeutischer Substanzen systematisch auf ihre Wirksamkeit hin zu untersuchen. „Kernspektroskopisch klappt das nur, wenn man die möglichen Varianten durch andere Methoden bereits stark eingeschränkt hat“, erklärt Anders. „Dann ist ihre Zahl klein genug, um sie langwierig kernspektroskopisch zu untersuchen.“ Gelänge es dagegen, die Empfindlichkeit um einen Faktor 1.000 zu steigern, dann sänke die erforderliche Messzeit dramatisch: Was zuvor eine Nacht gedauert hat, wäre dann innerhalb weniger Minuten machbar.

Der Natur ein Schnippchen geschlagen

Leider lässt sich die Empfindlichkeit des Verfahrens, so wie es heute umgesetzt ist, kaum noch steigern, da der Bau von Magneten mit noch höheren Feldstärken technologisch limitiert ist. „Daher verfolgen wir in unserem Projekt einen völlig anderen Ansatz“, sagt Anders. Die Wissenschaftler nutzen einen quantenphysikalischen Effekt, der auf Farbzentren in künstlich hergestellten Diamanten beruht, die sogenannte dynamische Kernpolarisation. Farbzentren sind gezielt erzeugte Verunreinigungen, zum Beispiel durch Stickstoffatome, die Licht einer bestimmten Wellenlänge absorbieren und dem an sich farblosen Diamant somit eine Farbe verleihen. Letztlich ermöglicht das, mehr Atomkerne in der zu untersuchenden Probe auszurichten, als dies natürlicherweise der Fall wäre. Mehr ausgerichtete Atomkerne bedeuten eine höhere Empfi ndlichkeit bei den kernspektroskopischen Messungen – und zwar um den von Anders genannten Faktor 1.000.

Um dieses ehrgeizig klingende Ziel zu erreichen, arbeiten im Projekt „Nanospin“ Forscher aus fünf europäischen Ländern interdisziplinär zusammen. Mit den Gruppen von Prof. Fedor Jelezko und Prof. Martin Plenio von der Universität Ulm sind ausgewiesene Fachleute für die dynamische Kernpolarisation an Bord. Die Ulmer werden im Projekt die physikalischen Grundlagen weiter vorantreiben, damit das Thema „aus dem Physik- ins Anwenderlabor kommt“, wie es Anders formuliert. Mit an Bord ist zudem eine von Jelezko und Plenio mitgeführte Ausgründung, NVision Imaging Technologies, die zur industriellen Umsetzung der Forschungsergebnisse für die Kernspinresonanzspektroskopie beitragen wird. Die Stuttgarter Gruppe von Jens Anders wiederum ist für die sensorseitige Umsetzung verantwortlich. Mit der belgischen Universität Hasselt und der Tschechischen Akademie der Wissenschaften sind darüber hinaus zwei Einrichtungen am Projekt beteiligt, die für die materialwissenschaftliche Perspektive sorgen.

Sie haben langjährige Expertise bei Fehlstellen in Diamanten und können diese gezielt erzeugen. Mit dem ungarischen Wigner-Forschungszentrum für Physik bekommt diese materialwissenschaftliche Expertise zudem eine theoretische Komponente: Physiker der Einrichtung untersuchen mit Simulationen die Eigenschaften der Diamanten. Und schließlich sind bei „Nanospin“ mit der Universität Wageningen Spezialisten für die Kernspinresonanz an Bord. „Alle Projektpartner gehören auf ihren Fachgebieten zu den weltweit führenden Experten, und mit der Universität Stuttgart ist erstmals auch die Ingenieursseite in einem solchen Forschungsprojekt zur so genannten hyperpolarisierten Kernspinresonanzspektroskopie vertreten“, sagt Anders. „Das ist eine einzigartige Konstellation, die durch die europäische Zusammenarbeit möglich wurde.“ Das Projekt „Nanospin“ ist Teil des „QuantERA“ getauften europäischen Netzwerks, in dem sich 32 Organisationen aus 26 Staaten zusammengeschlossen haben, um die Forschung im Bereich Quantentechnologien voranzutreiben.

Kernspinresonanzspektroskopien, die um einen Faktor 1.000 empfindlicher sind – das würde Geräte möglich machen, die entweder viel leistungsfähiger, oder sehr viel kleiner und billiger wären als heute.

Miniaturisierung oder Empfindlichkeitssteigerung

Die Nanospin-Projektpartner haben sich drei Ziele gesetzt, die sie innerhalb der Laufzeit von drei Jahren erreichen möchten. Erstens wollen sie nachweisen, dass mit den Fehlstellen in Diamanten sogar kernspektroskopische Messungen auf der Ebene einzelner Moleküle möglich werden. Das brächte neue Erkenntnisse in der Molekularbiologie. Zweitens wollen die Forscher für tragbare Geräte die Hyperpolarisationstechnologie auf Chipebene umsetzen. Dabei sind zwar nur relativ schwache Magnetfelder im Bereich von etwa einem Tesla möglich, aber durch die tausendfach höhere Empfindlichkeit wird dies wieder wettgemacht.

„Unsere Vision ist es, dass mittelfristig Kernspinresonanzspektrometer in einem Preissegment unter 10.000 Euro möglich werden“, sagt Anders. „Damit wären diese Geräte zum Beispiel für die Blutanalytik in Arztpraxen wirtschaftlich interessant.“ Innerhalb eines Jahrzehnts, so die Hoffnung des Elektrotechnikers, könnten chipbasierte Geräte dann so stark miniaturisiert und vereinfacht werden, dass sie bereits für einige hundert Euro zu haben wären. „Das wäre für die personalisierte Medizin interessant, damit zum Beispiel Patienten ihr Blut ohne Arztbesuch auf spezifische Krankheitsmarker untersuchen könnten – so wie Diabetiker heute ihren Blutzuckerspiegel selbst bestimmen.“ Das dritte Ziel schließlich gilt den High-end-Kernspinresonanzspektrometern, die bereits Werkhallen füllen: Für sie wollen die Wissenschaftler ein Zusatzsystem entwickeln, mit dem sich in Betrieb befindliche Geräte aufrüsten ließen, um die Messzeiten für typische Experimente um weit mehr als das Tausendfache verkürzen. Schon jedes der drei Ziele für sich allein wäre bereits ein gewaltiger Fortschritt.

Michael Vogel

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