Mit besten Empfehlungen

Forschung Erleben

Analyse zeigt der Politik Wege zum CO 2 -neutralen Energiesystem auf
[Foto: Universität Stuttgart/ Daniela Leitner]

Wie muss die Europäische Union ihre Energiepolitik ausrichten, damit bis 2050 kein Strom mehr aus Kohle, Öl und Gas kommen muss? Beantworten will diese Frage eine internationale Forschergruppe, an der auch sieben Wissenschaftler des Instituts für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart beteiligt sind. 

Um herauszufinden, was die EU zum Zweck eines klimaneutralen Energiesystems vorgeben sollte, erstellen Wissenschaftler aus elf europäischen Instituten im Projekt REEEM (Role of technologies in an Energy Efficient Economy – Model based analysis of policy measures and transformation pathways to a sustainable energy system) eine multikriterielle, integrierte Analyse. Diese Untersuchung aller relevanten Einflüsse soll zeigen, wie Technologien wie Wind- und Wasserkraft bei der Dekarbonisierung zusammenspielen können und wie sich verschiedene Kombinationen dieser Technologien wirtschaftlich auswirken. Dazu berücksichtigen die Wissenschaftler auch Aspekte wie Luftreinhaltung und Sozialverträglichkeit. „Die integrierte Herangehensweise zeichnet aus, dass wir nicht nur auf die Wirtschaft oder die Technik schauen, sondern zum Beispiel auch auf Akzeptanzfragen, sodass wir die Auswirkungen in einen größeren Blick bekommen“, erklärt Dr. Ulrich Fahl, Leiter der Abteilung Energiewirtschaft und Sozialwissenschaftliche Analysen am IER.

Am Ende der Analyse stehen konkrete Empfehlungen, welche Pfade es bereits heute anzulegen gilt, um in 30 Jahren ans Ziel zu kommen, und welche Entwicklungen noch offen bleiben können. Denn mit ihrem Strategieplan für Energietechnologie (SET-Plan) will die EU bis zum Jahr 2050 die Emissionen von Treibhausgasen um 80 bis 95 Prozent verringern. „Ganz konkret geht es unter anderem um die Ausgestaltung des europäischen Emissionshandelssystems“, so Fahl. Die derzeitige Regelung dazu gilt bis 2020. Wie es künftig aussehen muss, damit es effektiver wirkt, ist eine der Fragen, denen die Forscher nachgehen. Aber auch Aspekte wie wirksamere Unterstützungsmaßnahmen bei der Gebäudedämmung, die mehr Erfolg versprechen als die heutige Energieeinspar-Verordnung, gehören zum Fragenkatalog. Immer mit Blick darauf, wie die Maßnahmen und die technologische Entwicklung zueinander passen.

Zunächst untersuchen die Wissenschaftler die Handlungsmöglichkeiten der EU: Was lässt sich europaweit angleichen? Welche Rahmenbedingungen lassen sich vorgeben? Hier geht es zentral um Fragen der Harmonisierung der unterschiedlichen Mitgliedsländer. In einem zweiten Schritt betrachtet die Gruppe, wie eine Koalition der Willigen die europäische Einigung weiter vorantreiben könnte. Und im dritten Schritt schauen die Forscher darauf, wie stark sich nationale, protektionistische Sicht- weisen einzelner Akteure auswirken. Daraus wollen sie dann ableiten, ob sich die Empfehlungen an die Energiepolitik unterscheiden müssen, je nachdem, welche der Strömungen Oberhand gewinnt.

Ganz konkret geht es unter anderem um die Ausgestaltung des europäischen Emissionshandelssystems.

Dr. Ulrich Fahl, Leiter der Abteilung Energiewirtschaft und Sozialwissenschaftliche Analysen am IER, Universität Stuttgart

Die Rechner haben viel zu tun

In vier von acht Arbeitspaketen des mit vier Millionen Euro geförderten EU-Projekts nimmt das IER eine zentrale Rolle ein. So untersuchen die Stuttgarter Wirtschaftsingenieure und Ökonomen die Frage, wie sich Innovationen im Energiebereich wirtschaftlich auswirken. Sie erstellen ein Modell zur Energiesystem-Integration, also dafür, wie sich die einzelnen Entwicklungen in den Berei- chen Gebäude, Verkehr, Energieversorgung und Industrie zusammenfügen lassen. In einer weiteren Arbeitsgruppe untersuchen sie, wie das europäische Energiesystem die Gesundheit, die Luftreinhaltung sowie den Klima- und Umweltschutz beeinflusst. Dazu verwenden die Forscher verschiedene Rechenmodelle und Datenbanken, die sie in früheren Projekten entwickelt haben und nun verfeinern. „Wir modellieren jedes Mitgliedsland einzeln, inklusive der Schweiz und Norwegen“, erklärt Fahl. Das dauere seine Zeit. Und je feiner die Ergebnisse sein sollen, desto komplexer werde es.

Im vierten Bereich geht die Gruppe der Frage nach, wie stark sich das Verhalten der einzelnen Akteure auf die Entwicklung des zukünftigen Energiesystems in Europa auswirkt. „Auch in Deutschland verhalten sich die Menschen in Süddeutschland anders als im Norden oder Osten. Das wird natürlich noch spannender, wenn man die Skandinavier, die britischen Inseln, Ost- und Südeuropa vergleicht, wo die Unterschiede ausgeprägter sind“, verdeutlicht Fahl.

Dabei betrachten die Forscher stets verschiedene Varianten, wie sich die Verbraucher verhalten könnten: eher passiv das annehmend, was die Politik vorschreibt, oder eher aktiv und von sich aus in neue Techniken wie Solarstrom und Batte- riespeicher investierend. Für diese Berechnungen nutzen die Stuttgarter die Daten, die der Projektpartner in London in einer Umfrage erhoben hat. Fahl: „Mit dieser Studie kann man über die nationalen Grenzen hinausblicken und vergleichen: Was würde es bedeuten, wenn man so etwas wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz aus Deutschland in andere Kulturen übertrüge? Gäbe es Unterschiede, und wenn ja, welche?“

Damit die REEEM-Strategie Realität wird, sei dies „keine Untersuchung im Elfenbeinturm“, betont Fahl. Regelmäßig veranstaltet die Forschergruppe deswegen Workshops mit Entscheidungsträgern aus der Politik, der Industrie und von Nichtregierungsorganisationen, um Zwischenergebnisse zu diskutieren. Die unterschiedlichen Perspektiven sind wichtig, die Informationen wertvoll: So tragen die Beteiligten aus der Industrie etwa Daten bei zum aktuellen Stand der Technik von Batteriespeichern und ihren Entwicklungsmöglichkeiten, die dann in die weiteren Studien einfließen. Ziel ist es, „eine relativ robuste Politikempfehlung zur Zukunft zu erhalten, die im Hinblick auf die Entwicklung der Technologien und ihre Umsetzungschancen als realistisch gilt“, so Fahl.
Daniel Völpel

Kontakt

 

Hochschulkommunikation

Keplerstraße 7, 70174 Stuttgart

Zum Seitenanfang