Einen Weltrekord auf dem Gebiet der dreidimensionalen Bildgebung für poröse Materialien haben Physiker um Prof. Rudolf Hilfer am Institut für Computerphysik (ICP) an der Universität Stuttgart aufgestellt. Im Rahmen eines Projekts des Exzellenzclusters Simulation Technology haben die Wissenschaftler das bisher größte und genaueste dreidimensionale Bild von der Porenstruktur eines Sandsteins erstellt. Es ist mehr als 35 Billionen (Zahl mit zwölf Nullen) Voxel – sprich Bildpunkte – groß und erlaubt es, die Wechselbeziehung zwischen Mikrostrukturen poröser Gesteine und deren physikalischen Eigenschaften noch besser zu verstehen. Poröse Gesteine spielen beispielsweise bei der Erdölförderung, der Kohlendioxidverpressung oder der Grundwasserversorgung eine entscheidende Rolle.
Bei der dreidimensionalen Bildgebung werden räumliche Strukturen digitalisiert und dann ähnlich
wie Digitalphotos durch Bildpunkte dargestellt. Als Voxel werden die Bildpunkte dreidimensionaler
Bilder bezeichnet – analog zu Pixel für Digitalphotos. Auf den dreidimensionalen Bildern am ICP ist
die poröse Mikrostruktur eines Fontainebleau-Sandsteinwürfels mit der Kantenlänge von 1,5
Zentimetern systematisch über drei Dekaden vom Submillimeterbereich bis in den Nanometerbereich
aufgelöst und digital abgebildet. Die Porenstruktur ähnlicher Sandsteine ist beispielsweise
entscheidend für die hydraulischen Eigenschaften von Erdöllagerstätten und damit für die
Gewinnbarkeit von Erdöl. Das größte dreidimensionale Bild, das die Physiker um Prof. Hilfer von der
Mikrostruktur des Sandsteins erstellt haben, umfasst 32.768 hoch drei Bildpunkte, ist also
insgesamt 35.184.372.088.832 Voxel groß.
Zum Vergleich: Klinische Ganzkörperaufnahmen eines Menschen, zum Beispiel
Magnetresonanztomographiebilder, enthalten circa 720 Millionen Voxel. Selbst dreidimensionale
Bilder in technischen und wissenschaftlichen Studien bestehen derzeit lediglich aus bis zu 20
Milliarden Voxel. In Digitalphotos mit zehn Megapixeln (also mit etwa zehn Millionen Bildpunkten)
ausgedrückt, würde die Ganzkörperaufnahme einem Stapel von 72 Digitalphotos entsprechen, bei dem
größten dreidimensionale Bild am ICP würde der Stapel etwa 35 Millionen Digitalphotos umfassen. „
Dieser Weltrekord ist für die Physik poröser Materialien sehr wichtig, weil es dadurch erstmals
möglich wird, äußerst komplexe Mikrostrukturen in Abhängigkeit von der Auflösung systematisch zu
untersuchen“, sagt Hilfer. Die Mikrostruktur eines Materials bestimmt weitgehend seine elastischen,
plastischen, mechanischen, elektrischen, magnetischen, thermischen, rheologischen und hydraulischen
Eigenschaften. Umgekehrt können die Physiker aus den physikalischen Eigenschaften Rückschlüsse auf
die Mikrostruktur ziehen.
Bisher war es nicht möglich, die vollständige Mikrostruktur einer Probe von mehreren
Zentimetern Ausdehnung mit einer Auflösung von einigen hundert Nanometern abzubilden. „Man bräuchte
mehrere Jahre Messzeit an einem Teilchenbeschleuniger wie zum Beispiel dem europäischen
Synchrotronspeicherring in Grenoble, um dreidimensionale Abbildungen vergleichbarer Größe und
Genauigkeit herzustellen“, erklärt Hilfer. Sein Team hat deshalb einen anderen Weg eingeschlagen.
Zunächst haben die Forscher Verfahren und Theorien entwickelt, mit denen es möglich ist,
Mikrostrukturen zu vergleichen und zu kalibrieren. Anschließend haben sie Algorithmen und
Datenstrukturen entwickelt, die es erlauben, Computermodelle hinreichender Größe und Genauigkeit zu
erzeugen. Diese Modelle haben die Stuttgarter Physiker schließlich rechnerisch digitalisiert und an
realen Gesteinsproben kalibriert.
Weiter Informationen bei Prof. Rudolf Hilfer, Institut für Computerphysik, Tel. 0711/685-67607, e-mail: hilfer@icp.uni-stuttgart.de