Was, ich? Selber?

Gemeint

Gastautorin Katrin Rehak-Nitsche (Robert Bosch Stiftung) über Wissenschaftler - die unbekannten Wesen auf unsicheren Wegen.

Laut dem Wissenschaftsbarometer 2016 interessieren sich mehr als 40 Prozent der Menschen für Wissenschaft. Fast ebenso viele möchten über Wissenschaft informiert oder in Entscheidungen, die Wissenschaft und Forschung betreffen, einbezogen werden, also irgendwie mitmachen. Experten für Wissenschaftsbildung indessen sagen schon mal, dass viele Jugendliche Forschung an sich zwar sehr spannend fänden, dass man jedoch auf die Frage „Möchtest du selbst Forscher werden?“ häufig überraschte Gesichter erntete: „Was, ich? Wissenschaftler? Selber?“.

Was soll man diesen jungen Menschen sagen? Kann man ihnen guten Gewissens raten, Wissenschaftler zu werden? Weil Wissenschaft die besten Leute braucht, weil es gute Wissenschaft überhaupt erst durch gute Leute gibt. Weil wir auf sie angewiesen sind. Und weil Wissenschaft und Forschung Spaß machen und viele Freiheiten bieten. Weil man sein Hobby zum Beruf machen und sinnvolle Arbeit leisten kann. – Ja, aber dann muss es für die jungen Menschen auch gute Perspektiven geben. Das ist leichter gesagt als getan.

Robert Bosch Stiftung unterstützt den Weg zur Professur

Wir in der Robert Bosch Stiftung suchen mutige Menschen, die etwas bewirken wollen, die in der Wissenschaft einen Weg sehen, die Gesellschaft mitzugestalten – und unterstützen sie dabei auf dem recht steinigen Weg. Was sie brauchen, ist sehr unterschiedlich. Der Schüler, der unbedingt die Welt verändern möchte, aber noch nicht genau weiß, wie und wo, vielleicht in der Wissenschaft. Die brillante Forscherin, die sich nicht sicher ist, ob sie gut genug ist und trotz ihrer außer Frage stehenden wissenschaftlichen Exzellenz erst das Selbstbewusstsein aufbauen muss, sich dem Wettbewerb zu stellen. Die neugierige Wissenschaftlerin und der neugierige Wissenschaftler, die Ungewöhnliches ausprobieren, sich plötzlich abseits der Förderpfade bewegen und nun hartnäckig versuchen, einen Weg zur Realisierung ihrer Ideen zu finden. In der heutigen akademischen Realität in Deutschland müssen sie – nur wenig verkürzt – alle ein Ziel haben, um ihr Berufsleben relativ gesichert in der deutschen Welt der Wissenschaft verbringen zu können: die ordentliche Professur.

Katrin Rehak-Nitsche, Bereichsleiterin Wissenschaft, Robert Bosch Stiftung
Katrin Rehak-Nitsche, Bereichsleiterin Wissenschaft, Robert Bosch Stiftung

Die Fakten zur Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland liegen seit Jahren nahezu unverändert auf dem Tisch. Jedes Argument und jede Statistik wurde mittlerweile unzählige Male bemüht. Alle relevanten Akteure beraten seit Jahren darüber, wie man die Situation für die jungen Wissenschaftler verbessern kann. Deutschland hat im internationalen Vergleich einen exorbitant hohen Anteil an befristetem Personal. Nur etwas mehr als 10 Prozent aller Wissenschaftler in Deutschland sind hauptberufliche, unbefristet angestellte Professoren (u. a. Kreckel & Zimmermann, 2014, Hasard oder Laufbahn – Akademische Karrierestrukturen im internationalen Vergleich). Alle anderen hangeln sich im Wesentlichen von Zeitvertrag zu Zeitvertrag, durch das neue Wissenschaftszeitvertragsgesetz immerhin schon einmal von längerem Zeitvertrag zu längerem Zeitvertrag.

Dieses Lehrstuhlsystem, bei dem de facto nur eben jene gut 10 Prozent der Forscher weisungsungebunden und unabhängig arbeiten können, wurde unter anderem von der Jungen Akademie deutlich kritisiert. Die Lösung wird mit dem Vorschlag, mehr Professuren einzurichten, mitgeliefert. Dieser Vorschlag ist so verständlich wie diskutierbar.
Das identifizierte Nadelöhr einer wissenschaftlichen Karriere liegt in der Erringung einer ordentlichen Professur.

Viele Qualifizierte, wenige Professuren

Die Zahlen belegen eindrücklich, dass dies ein unsicheres Unterfangen und das Nadelöhr in der Tat recht eng ist. Der nicht zuletzt durch die Exzellenzinitiative sprudelnde Quell frisch Promovierter steht laut Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (2013) deprimierenden Zahlen gegenüber: bei rund 26.000 Promotionen pro Jahr kommen in Summe (mit Nachwuchsgruppenleitern, neu Habilitierten und Juniorprofessoren) zirka 3.750 qualifizierte Nachwuchswissenschaftler auf rund 670 Neuberufungen an den Universitäten pro Jahr. Nur gut jeder fünfte berufungsqualifizierte Wissenschaftler und nur knapp jeder vierzigste PhD hat also überhaupt eine Chance, an eine Universität berufen zu werden. Auch der Generationenwechsel wird diese Situation nicht entspannen, denn die Anzahl der Habilitationen ist dreimal so hoch wie die Anzahl der altersbedingt ausscheidenden Professoren. Doch ist die Lösung wirklich, mehr Professuren einzurichten?

Der Blick über den Tellerrand zeigt, dass zum Beispiel auch in der Wirtschaft laut Mikrozensus und Arbeitskräfteerhebung lediglich grob geschätzt 15 Prozent der Arbeitskräfte in Leitungsfunktionen tätig sind. Das legt nahe, dass das eigentliche Problem an den Universitäten nicht die wenigen Professuren sind, zumindest nicht das einzige. Andere Beschäftigungssektoren bieten eine Vielzahl von Funktionen an, nicht jeder muss Geschäftsführer oder Abteilungsleiter werden, um auch langfristig in einer Organisation tätig zu sein.

Es gibt Teamleiter und Berater und Experten und Projektmanager und Referenten und Sachbearbeiter und Projektleiter und Meister und wissenschaftliche Mitarbeiter und Senior- Berater und und und. Allein, in der Wissenschaft gilt das The-Winner-takes-it-all-Prinzip. Professor oder nichts. Und das trifft einen gemittelt mit knapp 42 Jahren, dem durchschnittlichen Erstberufungsalter, wenn man bereits immense Ressourcen in die Karriere investiert hat. Kurz: Wissenschaft ist eine Hochrisiko-Karriere. Das ist die eigentliche Crux. Das müsste nicht sein, an Überlegungen zur Differenzierung der Karrierewege fehlt es nicht, beispielsweise beschäftigt sich das Verbundprojekt Neue Wissenschaftskarrieren ausführlich damit; an Mitteln und der konkreten Umsetzung tragfähiger Personalpolitik an Universitäten fehlt es dagegen noch immer. Das ist eine Strukturaufgabe, zu der übrigens Stiftungen weder fähig noch legitimiert sind.

Hinter großen Ideen, hinter großen Projekten stehen außergewöhnliche Menschen. Die Menschen sind es, die die Welt verändern.

Katrin Rehak-Nitsche, Bereichsleiterin Wissenschaft, Robert Bosch Stiftung

Doch während man darüber nachdenkt, wie man die Situation verbessern kann, sprich, wie man eine wissenschaftliche Laufbahn für gute Leute attraktiver machen kann, darf man sich folgende Fragen stellen: Wer sind eigentlich diejenigen, die bleiben? Wer sind die 10 Prozent? Sind das die Schlauesten, die Kreativsten, die Besten, die Brillantesten, die Engagiertesten? Diejenigen, die uns voranbringen? Diejenigen, die Antworten finden auf Fragen, die noch gar nicht gestellt sind? (Wollen wir es hoffen, sonst haben wir ein noch viel größeres Problem.)

Menschen gestalten Gesellschaft

Wir in der Robert Bosch Stiftung suchen in der Tat diejenigen, die die Gesellschaft voranbringen, denn wir sind der Überzeugung, dass es die Menschen sind, welche die Welt verändern. Sei es Robert Bosch oder Klaus von Klitzing – hinter großen Ideen, hinter großen Projekten stehen außergewöhnliche Menschen. Die Stiftung verfolgt daher in der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung einen Ansatz, der etwas aus der Mode gekommen ist in der akademischen Publish-or-Perish-Hirschfaktoren-Welt: Wir schauen uns lange und genau die Menschen an, die zu uns kommen und die wir einladen, zu uns zu kommen. Wir fördern Menschen – zum Beispiel Juniorprofessoren, die sich mit der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen beschäftigen –, denen wir und das jeweilige Gutachterpanel die Umsetzung ihrer Ideen zutrauen. Erfolgssicherheit gibt es in der Wissenschaft nicht – für die jungen Geförderten nicht und für uns als Förderer eben auch nicht.

Drei wiederkehrende Wünsche

Dazu passt ganz gut, was uns die Nachwuchswissenschaftler erzählen, wenn wir sie nach ihren Wünschen oder Anregungen bezüglich des Wissenschaftssystems fragen. Die Antworten sind natürlich vielfältig, jedoch tauchen drei Wünsche immer wieder auf: Mehr Wertschätzung. Mehr Vertrauen. Weniger „Fixing-the-Women“. Mehr Wertschätzung heißt zum Beispiel, dass man eine Antwort bekommt, wenn man sich auf eine Professur bewirbt – wenigstens eine Absage, um nicht dem Internet entnehmen zu müssen, dass die Stelle, die man gerne haben wollte, anderweitig besetzt worden ist. Mehr Vertrauen bedeutet u. a. jemandem ein erfolgreiches Projekt mit einer neuen Methode oder einem neuen Arbeitsgebiet zutrauen, auch wenn er/sie noch keine Erfahrung damit gesammelt hat. Weniger Fixing- the-Women schließlich liegt die Wahrnehmung zugrunde, dass es zahlreiche Programme gibt, die Frauen beibringen, wie sie sich richtig verhalten, um in der Wissenschaftswelt zu bestehen. Unterstützung hilft den jungen Damen sehr; was nicht hilft, ist der Subtext, dass mit ihnen irgendetwas nicht stimme und sie sich nur wie Männer verhalten müssten und dann wäre alles gut. Es gibt unzählige höchstqualifizierte Wissenschaftlerinnen – freilich je nach Disziplin unterschiedlich viele. Sie sind vorhanden, das ist überhaupt keine Frage. Wer das heute noch bezweifelt, geht mit geschlossenen Augen durch die Welt – und hat Academia-Net.de noch nicht gesehen.

Gleichberechtigung ist auch in der Familie wichtig

Mehr Frauen in wissenschaftlichen Führungspositionen ist jedoch keine Einbahnstraße. Lebensentwürfe sind bunt, insbesondere für die mit Kindern gilt: Das, was den Damen bislang zugeschrieben wurde, muss auch zukünftig jemand tun: Kinder betreuen, Haushalt erledigen, Familien zusammenhalten. Gute Betreuungsmöglichkeiten sind eine Grundvoraussetzung, darüber hinaus aber heißt im Grunde eine engagierte Frau mehr als Professorin, Institutsleiterin, Präsidentin: ein engagierter Partner mehr in der Familie. Denn es geht nicht an, dass Frauen nun einfach für alles zuständig sind. Das ist keine Gleichberechtigung. Was wir also tatsächlich brauchen, um mehr Frauen für wissenschaftliche Führungspositionen zu gewinnen, sind Partner, die gemeinsam mit ihren Wissenschaftler-Frauen ihr Privatleben gestalten und sich die Aufgaben in der Familie teilen bzw. diese übernehmen. Diese Männer gibt es, und zwar immer mehr. Wir sollten diese stärken und wertschätzen – und aufhören, an den Frauen „herumzuschrauben“.

Das würde sicher nicht alle Probleme mit den Karrieren in der Wissenschaft lösen, aber an irgendeinem Ende müssen wir schließlich anfangen. Optimismus ist die Grundeinstellung unserer Stiftungsarbeit und deswegen unterstützen wir Menschen dabei, ihren Weg zu finden und etwas Sinnvolles für die Gesellschaft und diese Welt zu tun. Auch und gerade wenn die Aussicht auf Erfolg nicht sicher ist. Katrin Rehak-Nitsche

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