Zur Ideenwerkstatt „Intelligent durch Vielfalt“ waren die Teilnehmenden des Diversity-Tags der Universität Stuttgart in diesem Jahr geladen. Ein Referent war Dr. Roman Fischer. Fischer ist Arbeitsgruppenleiter am Institut für Zellbiologie und Immunologie (IZI) der Universität Stuttgart. Bevor er vor einem Jahr wieder nach Stuttgart gekommen ist, war er drei Jahre Assistant Professor an der Drexel University in Philadelphia. Dort begegnete er auch dem Thema, mit dem er an der Ideenwerkstatt des Diversity-Tags „Intelligent durch Vielfalt“ im Mai 2020 teilgenommen hat: „How sex matters in drug development“. Fokus seiner Forschung ist die Entwicklung neuer Medikamente für die Therapie von degenerativen und entzündlichen Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Parkinson und Alzheimer. Die Ergebnisse in präklinischen Studien sehen vielversprechend aus.
Im Gespräch mit Nicole Bitter aus dem Prorektorat für Wissenschaftlichen Nachwuchs und Diversity erzählt Fischer von seiner Forschung und blickt auf den Deutschen Diversity-Tag zurück.
Die Ideenwerkstatt, an der Sie mit einem Thema zur Rolle des Geschlechts bei der Medikamentenentwicklung teilgenommen haben, fand im Mai anlässlich des Deutschen Diversity-Tag satt. Inwiefern ist Diversity wichtig für Ihre Forschung?
Dr. Roman Fischer (RF): Diversity war bis vor vier Jahren kein dauernder Bestandteil meiner Forschung. In der präklinischen Entwicklung arbeiten wir mit bestimmten Zellen, die entweder aus einem männlichen oder einem weiblichen Organismus stammen. Häufig wird eben in den entsprechenden Tests nur an einem Geschlecht getestet, um aufgrund kleiner Variabilität klarere Ergebnisse zu erhalten.
Nun ist es in den USA so, dass, wenn eine Studie vom National Institute of Health (NIH) gefördert wird, alle Versuche sowohl an männlichen, als auch an weiblichen Tieren durchgeführt werden müssen. Hierdurch haben wir bereits am Anfang der Entwicklung eines Medikaments festgestellt, dass dieses an männlichen Tieren sehr gut funktionierte, an weiblichen jedoch keinen Effekt hatte. Wie sich herausstellte, blockierte das Östrogen den therapeutischen Effekt des Medikaments.
Der nächste Schritt wäre nun, herauszufinden, ob diese Studie wirklich auf den Menschen übertragen werden kann. Seit ich wieder an der Universität Stuttgart bin, sind wir auch weiter in dieser Forschungsrichtung unterwegs und versuchen, anhand von Tests Prognosen zur Effizienz der Therapeutika an beiden Geschlechtern zu erstellen.
Eine Frage in der Ideenwerkstatt war, wie in diesen Kontext Intersex-Individuen eingeordnet werden können. Können Sie das vielleicht kurz erklären?
RF: Im Deutschen ist mit Geschlecht sowohl das biologische, als auch das sozial interpretierte Geschlecht gemeint. Im Englischen ist das biologische Geschlecht „sex“ und das soziale Geschlecht „gender“. Das war für uns auch ungewohnt, als wir in die Thematik reingekommen sind und die direkte Übersetzung aus dem Deutschen, also „gender“ verwendet haben. Bei unserer Forschung geht es jedoch tatsächlich um das biologische Geschlecht, also „sex“.
Bei Intersex-Individuen ist bei der Medikamentenwirksamkeit das biologische Geschlecht ursächlich, und welche Geschlechtshormone gebildet werden. Männer haben ein X- und ein Y-Chromosom, entsprechend Testosteron, und Frauen zwei X-Chromosomen, produzieren das Sexualhormon Östrogen. Bei Intersex-Individuen kann es hier zu Unterschieden kommen und eine Imbalance im Hormonhaushalt vorliegen. Es kann entsprechend sein, dass es Zwitterstadien oder unterschiedliche biologische Stadien gibt. Daher ist eine biologische Einordnung von Intersex-Individuen schwierig. Wenn man jetzt aber weiß, dass ein therapeutischer Effekt, wie in der schon erwähnten Studie, von Östrogen blockiert wird, würde man darauf schauen, ob der Körper eben dieses Östrogen produziert oder nicht und vor allem in welcher Konzentration. Ausgehend davon könnte man eine Prognose erstellen, wie wahrscheinlich eine Reaktion auf das Therapeutikum ist.
Wie war das für Sie, sich in der Ideenwerkstatt mit Menschen auszutauschen, die sich nicht hauptberuflich mit Ihrem Thema beschäftigen und im Gegenzug auch an Diskussionen teilzunehmen, bei denen Sie nicht der Experte waren?
RF: Ich fand es sehr interessant, da Diversity nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht besprochen, sondern aus allen möglichen Blickwinkeln beleuchtet wurde. Diversity bedeutet ja deutlich mehr als die geschlechtsspezifischen Merkmale, die ich vorgestellt habe.
In den USA ist Diversity im Prinzip die Grundlage des Ganzen. An meinem Labor an der Universität waren Menschen aus Europa, Asien und Amerika. Professuren waren zu maximal 50% von Amerikanern besetzt. Es war spannend, am Diversity-Tag nochmal vor Augen geführt zu bekommen, welche Unterschiede es vor allem auch für Studierende gibt und zu sehen, wie einzelne Themen kommuniziert und wie sie angenommen werden. Für mich war es ein zusätzlicher Bonus, dass mein Pharmakologie-Kurs am DDT mit teilgenommen hat, sodass ich die Vorlesung dann innerhalb des DDT gehalten habe.
Es war interessant zu sehen, wie sich die Studierenden mit Pharmakologie-Hintergrund im Vergleich zu den Studierenden ohne Pharmakologie-Hintergrund mit dem Thema auseinandersetzen. Insgesamt war der DDT für mich eine sehr interessante Erfahrung und ich habe auch wichtiges Feedback von den Teilnehmenden mit unterschiedlichsten Hintergründen mitgenommen.
"Intelligent durch Vielfalt": Teams an der Universität Stuttgart profitieren von Diversität
Sie haben gerade erwähnt, dass an amerikanischen Universitäten schon vermehrt diverse Teams zusammengestellt werden. Achten Sie selbst auch darauf, dass Sie ein diverses Team um sich haben?
RF: Auf jeden Fall! Aktuell besteht mein Team vor allem aus Frauen, aber ich achte darauf, dass Diversität in den Charakteren gegeben ist. Es ist wichtig, wie ein Team zusammenwirkt. Hat man viele extravertierte Menschen, die aufeinandertreffen, kann das genauso zum Problem werden, wie wenn viele introvertierte Menschen zusammenarbeiten.
Demnach ist eine gesunde Mischung wichtig. Bei zu besetzenden Stellen achte ich besonders darauf, dass die Team-Dynamik für eine produktive Zusammenarbeit gegeben ist.
Zum Abschluss würde mich noch interessieren, was bedeutet Diversity für Sie persönlich?
RF: Diversity ist etwas sehr Wichtiges in den verschiedensten Bereichen, für mich in der Forschung, wie ich an das Thema erstmals herangetreten bin, aber auch durch meine Erfahrungen, die ich in den USA gesammelt habe. Die verschiedenen kulturellen Hintergründe waren auch ein Punkt, warum ich damals in die USA gegangen bin. Im Vergleich zu Deutschland war es eine prägende Erfahrung, die lokale Diversität kennenzulernen, die vor allem in einer Universitätsstadt wie Philadelphia vorliegt. Insbesondere war es eine sehr positive Erfahrung, wie locker in der Stadt mit verschiedenen ethnischen Hintergründen umgegangen wurde. Ich habe durch den Auslandsaufenthalt und die dortigen Erfahrungen sehr viel für mein weiteres Leben mitgenommen.