Sybille Baumbach

Kurzgeschichten für mehr Aufmerksamkeit

11. April 2024, Nr. 11

Europäischer Forschungsrat fördert Sibylle Baumbach mit einem Advanced Grant
[Bild: Jan Potente]

Prof. Sibylle Baumbach, Literaturwissenschaftlerin an der Universität Stuttgart, will analysieren, wie Kurzprosa Aufmerksamkeit erzeugt, beeinflusst und fördert. Mit ihrem Projekt „LitAttention“ erforscht sie „literarische Aufmerksamkeit“ interdisziplinär und in einem größeren Kontext. Der europäische Forschungsrat (European Research Council, ERC) fördert das Projekt im Rahmen eines ERC Advanced Grant mit bis zu 2,5 Millionen Euro.

„Ich freue mich sehr über diese Auszeichnung für Sibylle Baumbach. Mit dem Advanced Grant würdigt der ERC ihre langjährige hochkarätige Forschungsarbeit“, erklärt Prof. Manfred Bischoff, Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs der Universität Stuttgart. „Mit ihrem Projekt ‚LitAttention‘ greift sie an der Nahtstelle von Literatur- und Kulturwissenschaften, Pädagogischer Psychologie und Computerlinguistik ein für die Aufmerksamkeitsforschung und  -debatte hochaktuelles Thema auf und setzt den Stuttgarter Weg der vernetzten Disziplinen konsequent in die Praxis um“, betont Prorektor Bischoff.

Aufmerksamkeit wecken und trainieren

Von Detektivgeschichten wie „Sherlock Holmes“ bis zu Mikrofiktion wie twitterature („Twitter-Literatur“): Kurzprosa, vor allem die Kurzgeschichte, muss ihre Leser*innen viel schneller und intensiver in den Bann ziehen als etwa ein Roman. Gleichzeitig kann sie Aufmerksamkeit schnell und für eine Zeitspanne erzeugen, die sich gut in einen beschleunigten Alltag einfügt. „Angesichts zunehmender Ängste hinsichtlich möglicher Aufmerksamkeitsdefizite bei Kindern und Jugendlichen können Kurzgeschichten in zwei Richtungen wirken“, erläutert Sibylle Baumbach, Professorin für Englische Literaturen und Kulturen am Institut für Literaturwissenschaft (ILW) der Universität Stuttgart. „Meine These ist, dass sich Kurzgeschichten nicht nur besonders dafür eignen, Aufmerksamkeit zu wecken und zu trainieren. Vielmehr können sie vor allem auch dafür sensibilisieren, mit welchen Mitteln Texte und Medien unsere Aufmerksamkeit lenken, ablenken, formen und auch manipulieren.“

Sybille Baumbach
Literaturgattung mit großem Potenzial: Prof. Sibylle Baumbach erforscht, ob und wie Kurzprosa Aufmerksamkeit erzeugt, beeinflusst und fördert.

Stilmittel und Strategien identifizieren

Im Rahmen des Projektes „LitAttention“ will Sibylle Baumbach untersuchen, wie vor allem Kurzgeschichten zu verschiedenen Zeiten die öffentliche Debatte über Aufmerksamkeit geprägt haben und wie das Wissen, das diese Literaturform über den Umgang mit Aufmerksamkeit bietet, heute genutzt werden kann. Darüber hinaus will sie identifizieren, welche literarischen und linguistischen Stilmittel, Strategien und Effekte die Autor*innen von Kurzgeschichten bevorzugt einsetzen, um Aufmerksamkeit gezielt zu fördern. Das Projekt zeigt unter anderem, dass die Sorge, dass sich neu aufkommende Medien und Entwicklungen in der Kommunikationstechnologie negativ auf die Konzentration auswirken, kein Phänomen des digitalen Zeitalters ist. „Ähnliche Befürchtungen gab es im 19. Jahrhundert, als die Kurzgeschichte ihren ersten Boom erlebte und die ersten Magazine und Filme aufkamen“, sagt die Expertin.

Interdisziplinäre Ansätze entwickeln

Sibylle Baumbach verbindet in einem interdisziplinären Ansatz klassische Methoden aus der Literaturwissenschaft mit Methoden aus den Kognitions- und Erziehungswissenschaften und der Computerlinguistik. Mit ihrem Team will sie Kurztexte unterschiedlicher Gattungen, darunter Detektiv- und Schauergeschichten, aber auch Mikrotexte wie Twitter- oder Instagramgeschichten untersuchen und analysieren, ob und wie sie Aufmerksamkeit fördern. Darauf aufbauend will „LitAttention“ spezifische Aufmerksamkeitsparameter für die Entwicklung neuer computerlinguistischer Modelle definieren. Mit diesen könnten zukünftig deutlich größere Textmengen analysiert werden, die Aufschluss über literarische Aufmerksamkeit geben.

Literarische Aufmerksamkeit in der Schule nutzen

Mit ihrem ERC-Projekt will Sibylle Baumbach nicht nur einen neuen wissenschaftlichen Ansatz etablieren, um literarische Aufmerksamkeit zu erforschen, sondern auch Strategien entwickeln, um diese für den Schulunterricht nutzbar zu machen und Literatur insgesamt in den Lehrplänen zu stärken. „Ich bin überzeugt, dass gerade die Kurzprosa in ihren unterschiedlichen Formen in der digitalen Welt einiges leisten kann, um das Bewusstsein für Aufmerksamkeitsstrategien zu stärken und Aufmerksamkeit zu fördern. Dieses Potenzial nutzen wir bislang viel zu wenig“.

Zu Professorin Sibylle Baumbach
Sibylle Baumbach ist seit 2018 Professorin für Englische Literaturen und Kulturen am Institut für Literaturwissenschaft der Universität Stuttgart und Leiterin der gleichnamigen Abteilung. Zuvor lehrte sie Englische Literaturen und Kulturen an den Universitäten Innsbruck, Gießen und Mainz und war als Alexander von Humboldt-Stipendiatin an der Stanford University. Seit 2023 ist Baumbach Präsidentin der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft. Neben der literarischen Aufmerksamkeit und dem britischen Drama forscht sie unter anderem zur Geschichte der Faszination.

Zum ERC Advanced Grant
Der ERC Advanced Grant zählt zu den renommiertesten Forschungspreisen weltweit. Mit dieser Förderlinie richtet sich der europäische Forschungsrat (European Research Council, ERC) an etablierte Spitzenforschende jeder Nationalität, die eine herausragende wissenschaftliche Leistungsbilanz haben und Projekte verfolgen, die zu großen wissenschaftlichen Durchbrüchen führen können. Bei der Begutachtung der wissenschaftlichen Leistung sind die letzten zehn Jahre vor der Antragstellung maßgeblich. Von insgesamt 1829 Anträgen wurden 255 bewilligt. Die finanzielle Förderung im Gesamtwert von fast 652 Mio. EUR ist Teil des EU-Programms "Horizont Europa".

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Weitere Informationen

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Fachlicher Kontakt:

Prof. Sibylle Baumbach, Universität Stuttgart, Abteilung für Englische Literaturen und Kulturen, Institut für Literaturwissenschaften, Tel.: +49 711 685-83100, E-Mail

Dieses Bild zeigt Jutta Witte

Jutta Witte

Dr.

Wissenschaftsreferentin

 

Hochschulkommunikation

Keplerstraße 7, 70174 Stuttgart

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