Baustelle

Sichere Prozesse, weniger Baustellen

Wissenschaft und Industrie entwickeln gemeinsam langlebige und belastbare Betonautobahnen

Eine Projektgruppe der Universität Stuttgart arbeitet mit Partnern aus der Praxis zusammen, um die Lebensdauer von Betonautobahnen zu verlängern.
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Betonfahrbahndecken haben eine deutlich längere Lebensdauer als solche aus Asphalt, sind allerdings auch teurer. Ein interdisziplinäres Team der Universität Stuttgart will nun gemeinsam mit sechs Industriepartnern die Prozesskette der Betonfahrbahnen verbessern – von der Herstellung über den Einbau bis zur Nachbearbeitung.

Etwa 30 Prozent der Autobahnen in Deutschland sind mit einer Betondecke ausgestattet, 70 Prozent bestehen aus Asphalt. Betonfahrbahnen sind zwar in der Herstellung teurer. Laut der Bundesanstalt für Straßenwesen ist eine Betonautobahn aber 30 Jahre lang nutzbar, während bei der Asphaltbauweise in der Regel bereits nach rund 15 Jahren eine Erneuerung der oberen Deckschicht erforderlich ist. Längere Erneuerungszyklen bedeuten weniger Baustellen und potenziell weniger Unfälle. Der Wunsch nach mehr Betonautobahnen ist also nachvollziehbar. „Allerdings hängt die prozesssichere Herstellung von Fahrbahnen heute stark von der Expertise der Straßenbauunternehmen ab“, sagt Prof. Harald Garrecht, Leiter des Instituts für Werkstoffe im Bauwesen (IWB) an der Universität Stuttgart. Zusammen mit Projektpartnern aus der Praxis will er das ändern.

Dabei ist der Wunsch kein Selbstzweck, vielmehr ist die Prozesssicherheit eine Grundvoraussetzung, um Straßen sinnvoll zu privatisieren oder in Public-Private- Partnerships zu betreiben. „Nur so lassen sich nämlich Fragen der Haftung und Gewährleistung für alle Beteiligten sauber regeln“, ist Garrecht überzeugt. „Während heute oft das Unternehmen mit dem günstigsten Angebot den Zuschlag für den Bau eines Streckenabschnitts bekommt, muss es künftig das Unternehmen sein, das die Eigenschaften einer Fahrbahn, die über Sollwerte definiert sind, auf 30 oder 40 Jahre garantieren kann.“ Garrecht verweist dabei gerne auf Österreich, wo es bereits hohe Strafzahlungen für Straßenbauunternehmen bei Fahrbahnmängeln gibt. In Deutschland verjähren die Ansprüche aufgrund von Mängeln hingegen nach fünf Jahren.

„Für Betonfahrbahnen gibt es langjährig erprobte Rezepturen und vieles beruht auf der Erfahrung der Mitarbeiter“, sagt Garrecht. So entsteht jedoch keine Prozesssicherheit. Mit dem Forschungsprojekt „Betonfahrbahn 4.0“ soll hier Abhilfe geschaffen werden. An dem Projekt, das vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur mit 4,7 Millionen Euro gefördert wird, sind neben dem IWB auch die Materialprüfungsanstalt und das Institut für Systemdynamik der Universität Stuttgart beteiligt sowie sechs Unternehmen, die die gesamte Prozesskette des Betonstraßenbaus abdecken.

Viel Erfahrungswissen

Zunächst analysiert das Projektteam die Prozesse und den Beton an vier Autobahnbaustellen, an denen Betonfahrbahndecken zum Einsatz kommen. „Beton ist nicht gleich Beton“, erläutert Garrecht. „Die Eigenschaften seiner Ausgangsstoffe unterscheiden sich aufgrund der Umgebungsbedingungen, etwa aufgrund von Temperatur oder Luftfeuchte.“ Sind zum Beispiel die Ausgangsstoffe bei der Verarbeitung zu trocken, wird der Beton zu steif und es bilden sich später Wellen auf der Fahrbahn. Beim Autobahnbau stehen in der Nähe der Baustelle mobile Mischanlagen, die stündlich die gewaltige Menge von 300 Kubikmeter Beton verarbeiten. Das Mischen muss sehr schnell erfolgen. Muldenkipper bringen den Beton anschließend zum Fertiger. Dieser verteilt ihn gleichmäßig auf der Fahrbahnunterkonstruktion und verdichtet ihn. Nur so kann die Betondecke den mechanischen Belastungen durch den Verkehr und Einflüssen wie Regen oder Streusalz viele Jahre lang widerstehen.

Mit mobilen Mischanlagen können die Ausgangsstoffe schnell und direkt an der Baustelle verarbeitet werden.

Nach einem guten halben Tag müssen die Betonbauer in definierten Abständen Fugen quer zur Fahrtrichtung in die Betondecke schneiden. Ein Fugenfüller verbindet dann die einzelnen Abschnitte elastisch miteinander. „Um den richtigen Zeitpunkt für das Fugenschneiden zu bestimmen, kratzt ein erfahrener Mitarbeiter mit dem Schlüssel in der Betondecke“, erklärt Garrecht. „Erfolgt das Fugenschneiden zu früh, reißen nämlich die Ränder aus. Macht man es zu spät, hat sich der Beton schon zu weit zusammengezogen, so dass Risse entstehen.“ Schließlich erzeugen die Fahrbahnbauer eine so genannte Waschbetonoberfläche. „Dazu geben sie einen Verzögerer auf die Betondecke, der minimal in die Oberfläche eindringt und dort das weitere Erhärten verhindert“, erklärt Garrecht. Aus dieser obersten Schicht kratzen die Arbeiter den Zementleim mit Bürsten heraus. Auch dieser Vorgang beruht derzeit ausschließlich auf Erfahrungswissen.

Damit ist die Betonfahrbahn eigentlich fertig. Mit einem weiteren Bearbeitungsschritt sorgen die Straßenbauer allerdings noch dafür, dass die Lärmemissionen sinken. „Dazu fräst man flache Rillen in die Fahrbahn, durch die die Rollgeräusche der Reifen leiser werden“, sagt Garrecht. „Ist die Fahrbahn aber zu uneben, dann ist dieses so genannte Grinding nicht wirtschaftlich machbar.“

Vereinte Expertise

Im Projekt wollen das Team der Universität und seine Partner nun dort, wo Erfahrungswissen bislang eine maßgebliche Rolle spielt, datengestützte Entscheidungskriterien etablieren. Zum Beispiel soll durch den Austausch der Daten zwischen Mischanlage und Fertiger sichergestellt werden, dass immer die richtige Betonkonsistenz beim Rütteln gewährleistet bleibt. Denn aufgrund der Belastung der Motoren in der Mischanlage lässt sich auf die Verarbeitungsfähigkeit des Betons schließen. Ein anderer Ansatzpunkt ist die Oberflächenprüfung vor dem Fugenschnitt: Das Universitätsteam will dazu das Erstarrungsverhalten des Betons charakterisieren, um daraus quantitative Kriterien über den richtigen Zeitpunkt für den Fugenschnitt abzuleiten.

„Mit den Informationen aus den vier analysierten Autobahnbaustellen entwickeln wir eine neue Prozesskette für die Betonherstellung“, so Garrecht. Hierzu entstehe derzeit an der Universität „die kleinste, realmaßstäbliche Anlage“, die möglich sei. Das Prinzip dieses Labormischers will das Forscherteam auf eine größere Anlage des Projektpartners Liebherr übertragen, woran auch Cavex, ein Hersteller von Getrieben für die Zementherstellung, mitwirkt. Zudem soll das Prinzip bei einer mobilen Mischanlage zum Einsatz kommen. Wirtgen, ein Tochterunternehmen von John Deere, rüstet die Mischanlagen und Fertiger um. Mit dem so verarbeiteten Beton baut das Straßenbauunternehmen Heinz Schnorpfeil dann zwei Demonstrationsstrecken. Die Nachbearbeitung der Strecken – Stichwort Waschbetonoberfläche – obliegt dem Bauunternehmen Otto Alte-Teigeler. Und das Ingenieurbüro Lehmann & Partner vermisst die Demonstrationsstrecken. „Unsere Erkenntnisse“, so Garrecht, „sind später im Prinzip eins zu eins in die Praxis übertragbar.“
Michael Vogel

Prof. Dr.-Ing. Harald Garrecht, Institut für Werkstoffe im Bauwesen (IWB), Telefon.: +49 711/685-63323, E-Mail               

Das Projekt: Betonfahrbahn 4.0

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