Europäischer Triple-Erfolg für Universität Stuttgart

3. September 2020, Nr. 52

Wissenschaftler aus den Bereichen Physik, Raumfahrt und poröse Medien mit ERC-Grants ausgezeichnet

Der Europäische Forschungsrat (ERC) zeichnete Dr. Tim Langen vom 5. Physikalischen Institut und Dr. Marcel Pfeiffer vom Institut für Raumfahrtsysteme (IRS) der Universität Stuttgart mit einem der begehrten ERC-Starting Grants aus. Der mit je 1,5 Millionen Euro dotierte Preis fördert herausragende Nachwuchswissenschaftler*innen für bahnbrechende und visionäre Forschung. Prof. Majid Hassanizadeh, langjähriger Kooperationspartner des Lehrstuhls für Hydromechanik und Hydrosystemmodellierung und des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1313, erhielt mit dem ERC-Proof of Concept eine Förderung, die früheren Grant-Gewinnern erste Schritte zum Technologie-Transfer ermöglicht.

Prof. Wolfram Ressel, der Rektor der Universität Stuttgart, kommentiert sehr erfreut: „Mit der Vergabe-Entscheidung honoriert der Europäische Forschungsrat einerseits die exzellente Qualifikation des wissenschaftlichen Nachwuchses an der Universität Stuttgart und unterstreicht andererseits das Renommee unserer Universität als Ort international sichtbarer Spitzenforschung. Ich gratuliere allen Preisträgern sehr herzlich.“

Tim Langen wird mit dem ERC Starting Grant neuartige quantenmechanische Überlagerungszustände aus Festkörper und Supraflüssigkeit, sogenannte Suprafestkörper, erforschen. Marcel Pfeiffer erforscht mit seinem Grant Nicht-Gleichgewichtseffekte in der Gas- und Plasmadynamik, ein fundamentales Thema, um die physikalischen Vorgänge vieler Anwendungen und Industriefelder zu verstehen.

 

ERC Starting Grant NEWMAT (Supersolids and beyond: Exploring new states of matter with laser-cooled dipolar molecules) – Dr. Tim Langen

In der Quantenwelt gelten andere Regeln, als wir sie aus der Beobachtung im Alltag kennen. Besonders faszinierend ist das Überlagerungsprinzip. Es erlaubt beispielsweise Atomen, an verschiedenen Orten gleichzeitig zu sein oder eben auch Materie fest und flüssig zugleich. So ist es bei den Suprafestkörpern, deren Eigenschaften Langen besser verstehen will. 

 Theoretisch diskutiert und vorhergesagt wurde der exotische Materiezustand des Suprafestkörpers bereits vor mehr als 60 Jahren. Der Nachweis, dass es den Materiezustand Suprafestkörper tatsächlich gibt, gelang Tim Langen gemeinsam mit Tilman Pfau erstmals 2019 im Experiment mit Hilfe von magnetischen Dysprosium-Atomen. Der experimentelle Nachweis des Suprafestkörpers wirft zahlreiche ungelöste Fragen im Hinblick auf den Entstehungsprozess und die Eigenschaften eines Suprafestkörpers auf und eröffnet damit ein komplett neues Forschungsfeld.

Da die bisher erprobten experimentellen Verfahren auf diese Fragen keine Antwort liefern können, wird Langen in seinem neuen Projekt einen Schritt weitergehen. Statt auf Atome setzt er auf ultrakalte Moleküle, also komplexere Quantenobjekte aus mehreren Atomen, um damit die vielfältigen Vorgänge in einem Suprafestkörper im Experiment zu untersuchen. Im Fokus steht dabei, welche Rolle Defektstellen, Wechselwirkungen der Moleküle oder externe Störungen für den Suprafestkörper spielen. Mit Hilfe von hochauflösenden Bildgebungsverfahren verspricht sich Langen, die entsprechenden Vorgänge bis auf die elementarste Ebene einzelner Moleküle verfolgen zu können. „Bis vor Kurzem hat man gedacht, dass es unmöglich sei, einzelne Moleküle so präzise zu manipulieren. Die Förderung durch den ERC Starting Grant wird es uns ermöglichen, dazu neueste Techniken der Laserkühlung zu verwenden“, freut sich Langen. Er verspricht sich von seinem experimentellen Ansatz einen präzisen Vergleich von Theorie und Experiment sowie noch nie dagewesene Einblicke in die Natur dieser neuen Materiezustände.

Über Tim Langen:

Dr. Tim Langen

Dr. Tim Langen studierte Physik in Mainz, Marseille, Paris und Wien. Bereits im Rahmen seiner international mehrfach ausgezeichneten Dissertation beschäftigte er sich mit den besonderen Phänomenen der Quantenwelt. Anschließend arbeitete er als Stipendiat der Alexander von Humboldt Stiftung am renommierten Forschungsinstitut JILA in Boulder, USA. Seit 2017 leitet er eine Forschungsgruppe an der Universität Stuttgart.

 

ERC Starting Grant MEDUSA (Multiscale Fluid and Plasma Dynamics using Particles), Dr. Marcel Pfeiffer

Nicht-Gleichgewichtseffekte bei Gasen und Plasmen treten immer dann auf, wenn es zu großen lokalen Unterschieden der Umgebungsbedingungen kommt, zum Beispiel bei großen Temperaturunterschieden. Bei der Umströmung eines Autos oder eines Flugzeugs kann man solche Effekte vernachlässigen. Werden die Unterschiede jedoch extrem, kommt es zu Effekten, die nicht oder nur mit sehr großem Aufwand zu beschreiben sind. Dies ist zum Beispiel unter den Bedingungen „sehr heiß“ und „sehr schnell“ der Fall, wie beim Wiedereintritt einer Raumkapsel in die Erdatmosphäre oder auch bei sehr kleinen räumlichen Abmessungen wie in der Micro- und Nanofabrikation von Computerchips. Unter diesen Extrembedingungen spielen sehr viele unterschiedliche Komponenten und Parameter zusammen, sodass die Simulationen komplex und nur auf Höchstleistungsrechnern zu bewältigen sind. Dies braucht Zeit und ist teuer, weshalb Nicht-Gleichgewichtseffekte gerade im industriellen Bereich ein Problem darstellen.

Das Ziel des geförderten Projekts MEDUSA ist vor diesem Hintergrund die Entwicklung von stochastischen, partikelbasierten Multiskalenmethoden zur Simulation von Gasen und Plasmen im thermochemischen Nichtgleichgewicht. Dabei sollen die Betrachtung des Gases von der mikroskopischen auf die mesoskopische Ebene gehoben werden, einen mittleren Sichtbarkeitsbereich, der sich zwischen dem Mikro- und dem Makrokosmos befindet. „Unser Ziel ist es, die Präzision der mikroskopischen mit der Geschwindigkeit der makroskopischen Betrachtung zu erreichen“, erklärt Pfeiffer. Hierbei handelt es sich um ein fachübergreifendes Projekt, in dem Physik, Mathematik, Chemie und Computational Science verknüpft werden müssen. Grundlage des Projekts ist der zu erweiternde open-source Partikelcode „PICLas“, der in einer langen Zusammenarbeit zwischen dem Institut für Raumfahrtsysteme und dem Institut für Aerodynamik und Gasdynamik (IAG) der Universität Stuttgart mit Unterstützung des Hochleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) entstanden ist. Mittlerweile wird “PICLas“ schon von diversen industriellen Partnern genutzt und ist die Grundlage von „boltzplatz“, einer erfolgreichen Ausgründung der Universität Stuttgart.

Über Marcel Pfeiffer:

 

Dr. Marcel Pfeiffer

Dr. Marcel Pfeiffer studierte Physik in Jena. Im Rahmen seiner Dissertation beschäftigte er sich mit Nicht-Gleichgewichtseffekten von Gasen und Plasmen innerhalb des Themenkomplex Raumfahrt. Seit 2016 ist er PostDoc an der Universität Stuttgart und Entwicklungsleiter des open-source Codes „PICLas“.

 

ERC-Proof of Concept für Prof. Majid Hassanizadeh

Der ERC-Proof of Concept für Prof. Majid Hassanizadeh trägt den Titel „PrintMed - Printing personalised medicines on demand“ und basiert auf Forschungsarbeiten zu Strömungsprozessen in porösen Medien, für die der Wissenschaftler 2013 einen ERC Advanced Grant erhielt. Prof. Majid Hassanizadeh ist langjähriger Kooperationspartner am Lehrstuhl für Hydromechanik und Hydrosystemmodellierung und externer Partner und Mercator Fellow des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1313. Er ist emeritierter Professor der Universität Utrecht und Ehrendoktor der Universität Stuttgart.

Fachlicher Kontakt:

Dr. Tim Langen, Universität Stuttgart, 5. Physikalisches Institut, Tel.: +49-711-685-60149,
E-Mail t.langen@physik.uni-stuttgart.de

Dr. Marcel Pfeiffer, Universität Stuttgart, Institut für Raumfahrtsysteme, Tel.: +49 (0)711/685 60335, 
E-Mail: mpfeiffer@irs.uni-stuttgart.de

Prof. Majid Hassanizadeh c/o Prof. Rainer Helmig, Universität Stuttgart, Institut für Wasser- und Umweltsystemmodellierung, Lehrstuhl für Hydromechanik und Hydrosystemmodellierung, Tel.: +49 711 685 64741,
E-Mail: rainer.helmig@iws.uni-stuttgart.de 

 

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