H₂Mare - Gamechanger in der Energiekrise?

forschung leben – das Magazin der Universität Stuttgart (Ausgabe Oktober 2022)

Grüne Energiequellen auf hoher See. Zwei Institute der Universität erforschen für das Projekt H₂Mare wie Wasserstoff auf hoher See erzeugt und damit künftige Energieprobleme gelöst werden könnten.

Alternative grüne Energiequellen und damit die Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern und externen Lieferanten sind zentrale Themen in Forschung und Gesellschaft. Einen wesentlichen Beitrag zur angestrebten Energiewende könnte das Projekt H2Mare leisten, bei dem die Erzeugung von grünem Wasserstoff auf hoher See erforscht wird. Die Universität Stuttgart ist daran mit zwei Instituten beteiligt.

Die Produktion von grünem Wasserstoff und die direkte Weiterverarbeitung zu Power-to- X-Folgeprodukten (PtX) auf hoher See gelten als vielversprechende Zukunftstechnologien – damit befasst sich auch H2Mare, eines von drei Wasserstoff-Leitprojekten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie. Das Forschungsprojekt PtX-Wind untersucht in diesem Rahmen, wie neuartige Produktionsverfahren für Wasserstoff und dessen Folgeprodukte aussehen können. Die Förderinitiative soll Deutschlands Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft entscheidend voranbringen und ist Hoffnungsträger im Kampf gegen den Klimawandel.

Die Arbeit der Stuttgarter Institute setzt an einer der zentralen Herausforderungen des Forschungsprojekts an: Wie kann ein optimales Zusammenspiel aller Anlagenmodule und Akteure auf der geplanten Forschungsplattform gelingen? Für Antworten auf diese Frage bauen die Forschenden unter anderem auf einen Digitalen Zwilling, der die Arbeit im Offshore-Einsatz detailliert abbilden soll. Konkret arbeiten das Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) und das Institut für Automatisierungstechnik und Softwaresysteme (IAS) der Universität Stuttgart gemeinsam an einer Anwendung, die einen optimalen Betrieb auf den geplanten Offshore-Plattformen sicherstellen soll. Dafür entwickelt das IAS gemeinsam mit Projektpartnern den Digitalen Zwilling, der alle Anlagenmodule im Offshore-Einsatz über den kompletten Lebenszyklus virtuell abbildet.

Wegweisendes Vorhaben: Das Projekt H2Mare hat sich zum Ziel gesetzt, auf hoher See grünen Wasserstoff und auch direkt Power-to-X-Folgeprodukte zu erzeugen.

Digitaler Zwilling untersucht Anlagenmodule

Im Zentrum der Forschungsarbeit stehen die Container der Projektpartner aus Wissenschaft und Industrie, in denen sich die Anlagenmodule der geplanten Offshore-Plattform befinden, von der Meerwasserentsalzungsanlage über den Elektrolyseur bis hin zu den Syntheseanlagen für die PtX-Produkte. Der Digitale Zwilling soll vor und während des realen Offshore-Einsatzes wichtige Anlagenmodule im Sinne eines „Hardware in the Loop“ (HiL)-Ansatzes untersuchen. Getestet werden beispielsweise unterschiedliche Plattformkonfigurationen oder das Zusammenspiel aus dynamischem Betriebsverhalten und der volatilen Energieversorgung aus dem Windpark. Die Herausforderungen bei der Simulation mithilfe des Digitalen Zwillings beginnen schon bei der Datenerfassung: „Wir erleben oft, dass wir bei den Projektpartnern Parameter der Anlagen abfragen und diese noch nicht vorhanden sind, dadurch muss dann teilweise mit Dummy-Parametern gearbeitet werden, die zu einem späteren Projektzeitpunkt durch Forschungsergebnisse ersetzt werden können“, berichtet Nikola Mößner.

Aber auch der Datenaustausch gestaltet sich teilweise schwierig: „Die Daten und auch die Modelle, in denen die Daten verwendet werden, unterliegen teilweise speziellen Datenschutzanforderungen", sagt Daniel Dittler, der sich am IAS mit Digitalen Zwillingen beschäftigt. Um die Information nutzen und gleichzeitig aber auch schützen zu können, müssen die Forschenden spezielle Konzepte entwickeln; denn ohne diesen Datenaustausch können keine simulativen Experimente im Digitalen Zwilling durchgeführt werden. „Das Spannende dabei ist, dass der Digitale Zwilling zwar die Realität abbilden soll, man aktuell aber noch nicht weiß, wie diese Realität aussehen wird“, erklärt Dittler.

Die Anforderungen, denen die Forschungsplattform im Offshore-Einsatz standhalten muss, sind von Offshore-Windparks und aus der Öl- und Gasindustrie weitestgehend bekannt; die Entwicklung der Anlagenkonfiguration ist aber vollständiges Neuland. Daher muss der Digitale Zwilling alle Änderungen, die sich während des Forschungsprojektes an der Anlage ergeben, berücksichtigen. „Genau wie der Digitale Zwilling müssen sich auch die Modelle anpassen lassen, um mitwachsen zu können. So kann später wie bei einem Baukasten Neues dazugenommen werden“, erklärt Mößner. Um dies zu gewährleisten, müssen die Prozesse unter den wechselnden Bedingungen möglichst realitätsnah beschrieben werden.

Pascal Häbig

„Das Ziel des Projektes ist, einen Nachweis für die grundsätzliche Machbarkeit des neuartigen Produktionskonzeptes zu erbringen.“

Pascal Häbig, IER

Grundstein für große Offshore-Plattform legen

Das Forschungsprojekt PtX-Wind soll eine Plattform schaffen, die den elektrischen Strom direkt über einen Offshore-Windpark bezieht und so synthetisch erzeugte, stoffliche Energieträger wie Wasserstoff produziert. Neben der Offshore-Wasserstoffproduktion werden dort auch leicht transportierbare sogenannte PtX-Folgeprodukte produziert. Als Einsatzstoffe für Energieträger wie Methan, Kohlenwasserstoffe, grünes Methanol und grünes Ammoniak werden Kohlendioxid und Stickstoff benötigt – beides soll aus der Luft und dem Meerwasser gewonnen werden. „Das Ziel des Projektes ist, einen Nachweis für die grundsätzliche Machbarkeit des neuartigen Produktionskonzeptes zu erbringen“, erklärt Pascal Häbig vom IER. „Damit können wir den Grundstein für zukünftige netzunabhängige und großskalige Offshore- Plattformen legen.“ Er ist überzeugt, dass das Leitprojekt H2Mare dazu beitragen kann, den Klimaschutz voranzubringen und gleichzeitig die Abhängigkeit von Energieexporteuren zu verringern.

Nikola Mößner

Genau wie der Digitale Zwilling, müssen sich auch die Modelle anpassen lassen, um mitwachsen zu können.

Nikola Mößner

Hoffnungsträger für ein nachhaltiges Energiesystem

Auch die beiden Institutsleiter, Prof. Michael Weyrich und Prof. Kai Hufendiek, gehen davon aus, dass grüner Wasserstoff und dessen grüne PtX-Folgeprodukte als Zukunftsenergie weltweit berechtigte Hoffnungsträger für wichtige Aufgaben in einem nachhaltigen Energiesystem darstellen. Zudem wird Deutschland durch die drei Wasserstoff-Leitprojekte mit seinen mehr als 240 Projektpartnern aus Wissenschaft und Industrie stark vom Wissens- und Technologietransfer profitieren, und damit wird nicht zuletzt auch der Wirtschaftsstandort gestärkt. Sind die Forschungen zu H2Mare erfolgreich, könnte dies eine weltweite Skalierbarkeit solcher Offshore-Windpark-Inselsysteme und damit die netzunabhängige Ausschöpfung geeigneter Potenziale möglich machen. Dies wäre ein wichtiger Meilenstein für die angestrebte Energiewende.

Daniel Dittler

„Das Spannende ist, dass der Digitale Zwilling zwar die Realität abbilden soll, man aktuell aber noch nicht weiß, wie diese Realität aussehen wird.“

Daniel Dittler, IAS

Autorin: Claudia Zöller-Fuß 

  • Daniel Dittler, E-Mail Telefon: +49 711 685 67321
  • Pascal Häbig, E-Mail, Telefon: +49 711 685 60901

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