Simulation eines Shuttle-Busses auf dem Campus Vaihingen

Der autofreie Campus kommt

forschung leben – das Magazin der Universität Stuttgart

Mit Shuttle-Bussen und E-Scootern soll der Campus Vaihingen der Universität Stuttgart emissionsfrei werden. Die Umsetzung des Projekts MobiLab hat begonnen. Klimaneutralität bis 2030 ist das Ziel.
[Foto: Visualisierung HLRS]

Das MobiLab auf dem Campus Vaihingen ist ein Reallabor für intelligente, emissionsfreie Mobilität. Mit dem innovativen Verkehrskonzept, bei dem vor allem Shuttle-Busse und E-Scooter zum Einsatz kommen, loten Forschende die Möglichkeiten eines emissionsfreien Campus aus.

Visualisierung des Projekts MobiLab

02:22
© Universität Stuttgart

Glitzernde Autodächer, soweit das Auge reicht: Wer bei schönem Wetter über den Campus Vaihingen der Universität Stuttgart streift, versteht sofort, warum die bisherigen Mobilitätskonzepte ein Auslaufmodell sind: Die Hälfte der rund 5000 Beschäftigten und knapp 20 Prozent der 23.000 Studierenden auf dem Campus kommen mit dem fahrbaren Untersatz. Und der produziert nicht nur schädliche Stickoxide sowie den Klimakiller CO2, sondern beansprucht auch jede Menge Parkraum – Platz, den man sinnvoller nutzen könnte.

Doch das Privatauto soll auf dem Campus Vaihingen bald der Vergangenheit angehören. „MobiLab“ lautet die Formel für ein innovatives Verkehrskonzept, mit dem der Campus auto- und emissionsfrei werden soll. Gleichzeitig soll hier die Mobilität der Zukunft erforscht werden.

Das MobiLab wird ein vielfältiges Reallabor sein, in dem neue Formen der Verkehrserschließung, neuartige Verkehrsmittel, elektrische Antriebssysteme sowie intelligente Energiespeicherungs- und -verteilungssysteme kombiniert werden.

Prof. Wolfram Ressel, Rektor der Universität Stuttgart

Bei einem Ideenwettbewerb des Landes Baden-Württemberg gab’s dafür ein Preisgeld in Höhe von 300.000 Euro. Darüber hinaus fördert das Land Baden-Württemberg die Umsetzung von MobiLab als landesweit beispielgebendes Leuchtturmprojekt für die kommenden zwei Jahre mit weiteren 3,5 Millionen Euro.

Laden während der Fahrt

Visualisierung des geplanten Parkhauses auf dem Campus Vaihingen.
Über die Bundesstraße B14 soll ein Parkhaus mit 3000 Stellplätzen gespannt werden. Solaranlagen auf dem Gebäudedach erzeugen Strom zum Laden geparkter Fahrzeuge.

Das Tor zum autofreien Campus wird ein Parkhaus sein, das die Bundesstraße B14 überspannt. Geplant sind etwa 3000 Stellplätze, doch der Clou des Gebäudes befindet sich auf dem Dach: Dort produziert eine Solaranlage Strom, der zum Laden der geparkten Autos und der CampusShuttle verwendet werden soll. „Die CampusShuttles sind selbstfahrende, also autonome Shuttle-Busse unterschiedlicher Größe mit elektrischem Antrieb und intelligenter Sensorik. Sie verbinden das Parkhaus, und übrigens auch die zentrale S-Bahn-Station, mit den weit auseinanderliegenden Universitätsgebäuden,“ erläutert Prof. Hans-Christian Reuss vom Institut für Fahrzeugtechnik Stuttgart.

Geplant ist zunächst ein Linienverkehr mit festen Haltestellen. Später soll ein „On Demand“-Service dazukommen, bei dem das Ziel vorab bequem per Handy-App gebucht werden kann.

Die Shuttle-Strecke führt teilweise über eine Forschungsstraße, in deren Fahrbahn elektrische Spulen verlegt sind. Diese sollen das induktive Laden der Fahrzeuge während der Fahrt ermöglichen. Erprobt werden verschiedene Szenarien. Besonders wichtig sei dabei die Position des Fahrzeugs während des Ladevorgangs, da diese Einfluss auf die Energieübertragung hat, erklärt Prof. Nejila Parspour vom Institut für Elektrische Energiewandlung. „Deshalb untersuchen wir die Toleranzen verschiedener Ladesysteme, Spurhaltesysteme oder autonomer Navigation, um die Ökobilanz von Elektrofahrzeugen zu verbessern.“

Gelingt es, eine engmaschige induktive Ladeinfrastruktur aufzubauen, die das Laden der Fahrzeuge während der Fahrt – zum Beispiel auf den Autobahnen – ermöglicht, kann zum einen die Reichweite bei gegebener Batteriekapazität signifikant erhöht werden. Zum anderen wird es möglich, auch Batterien mit geringer Kapazität einzusetzen – das schont die Ressourcen bei der Herstellung. Um die Ladevorgänge optimal zu gestalten, Engpässe im Netz zu vermeiden und eine gleichmäßige Spannung zu gewährleisten, ist die Ladeinfrastruktur über Smart Grids in das elektrische Netz integriert. Hier wirkt Prof. Krzysztof Rudion vom Institut für Energieübertragung und Hochspannungstechnik mit Smart-Grids-Ansätzen mit.

Der E-Scooter wird über Sensoren seine Umgebung erkennen, Hindernissen ausweichen und autonom navigieren.

Prof. Frank Allgöwer, Leiter des Instituts für Systemtheorie und Regelungstechnik

Doch nicht jeder der täglich rund 40.000 Fußwege auf dem Campus lässt sich durch eine Fahrt mit dem autonomen Campus-Shuttle ersetzen. Ergänzt werden die Busse daher durch Campus-Scooter: Zunächst wird von einem Start-up ein E-Scooter-Verleihsystem aufgebaut, in das dann sukzessive autonome E-Scooter integriert werden. Diese entwickelt ein weiteres Start-up zusammen mit dem Institut für Systemtheorie und Regelungstechnik (IST) der Universität Stuttgart im Teilprojekt Autonomous Micro- Mobility at Campus Uni Stuttgart (AMICUS). Der autonome E-Scooter fährt wie von Geisterhand auch ohne Chauffeur – natürlich ohne umzukippen. Dahinter verbirgt sich moderne Regelungstechnik, erklärt der Leiter des IST, Prof. Frank Allgöwer: „Mittels speziell entwickelter neuer Regelungsstrategien werden die E-Scooter trotz Störungen balanciert. Der E-Scooter wird über Sensoren seine Umgebung erkennen, Hindernissen ausweichen und autonom navigieren.“ Maschinelles Lernen ermöglicht zudem anhand von Nutzeranfragen eine optimale Verteilung der E-Scooter auf dem Campus, und ein Verteilalgorithmus stellt die bestmögliche Routenplanung sicher. So kann die Flotte klein gehalten werden. Und da die Roller auch fahrerlos die nächste Ladesäule ansteuern, entfällt der harte Job der Juicer, die anderswo nachts ausrücken, um Scooter zum Auftanken einzusammeln.

Autonome E-Scooter

© Universität Stuttgart | Quelle: YouTube

Verhaltensänderungen sind erforderlich

Viele Komponenten des MobiLab müssen noch erforscht und erprobt werden, doch die Umsetzung hat bereits begonnen. „Ein Verkehrskonzept zu entwickeln ist einfacher, als ein Verkehrskonzept umzusetzen“, so Prof. Markus Friedrich, der Koordinator des MobiLab. „Damit wir mit dem MobiLab erfolgreich sind, müssen wir die Rahmenbedingungen für die Alltagsmobilität zum Campus ändern. Mehr Radabstellplätze, der Campus-Shuttle und der Campus-Scooter finden viel Zustimmung. Ein autofreier Campus erfordert aber auch Verhaltensänderungen.“ Nicht allen Beschäftigten und Studierenden werde es gefallen, wenn Parken Geld kostet und es auf dem Campus mittelfristig keine Parkplätze mehr direkt vor den Gebäuden, sondern nur noch in einem zentralen Parkhaus geben wird. „Erfahrungen mit Fußgängerzonen zeigen uns, dass es vor der Umsetzung Widerstände gibt. Sobald wir uns an die Vorteile des neuen Zustands gewöhnt haben, finden es dann alle gut.“

Text: Andrea Mayer-Grenu

  • Prof. Frank Allgöwer
    Leiter des Instituts für Systemtheorie und Regelungstechnik
  • Prof. Markus Friedrich
    Koordinator des MobiLab
    Institut für Straßen- und Verkehrswesen, Lehrstuhl für Verkehrsplanung und Verkehrsleittechnik
  • Prof. Nejila Parspour
    Direktorin des Instituts für Elektrische Energiewandlung
  • Prof. Hans-Christian Reuss
    Geschäftsführender Direktor des Instituts für Fahrzeugtechnik Stuttgart, Lehrstuhl für Kraftfahrzeugmechatronik
  • Prof. Krzysztof Rudion
    Institut für Energieübertragung und Hochspannungstechnik, Fachbereichsleiter Netzintegration Erneuerbarer Energien

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