Quantensensoren: neue Möglichkeiten für Medizin, Alltag und Industrie

9. Dezember 2020

Quantensensoren haben gegenüber herkömmlichen Sensoren entscheidende Vorteile. Forscherinnen und Forscher der Universität Stuttgart machen die Sensoren alltagstauglich für Medizin, Industrie 4.0, Mobilität und Nachhaltigkeit.

Sie können Krebs früher erkennen, Prothesen steuern und winzigste Signale an der Grenze des theoretisch Möglichen messen. Quantensensoren sind die Spitzentechnologie im Bereich der Sensorik. Im Rahmen des Zukunftsclusters-Finalisten „Quantensensoren der Zukunft“ (QSens) erforscht ein Team rund um Prof. Jens Anders, Clustersprecher und Leiter des Instituts für Intelligente Sensorik und Theoretische Elektrotechnik (IIS), und Prof. Jörg Wrachtrup, Co-Sprecher und Leiter des 3. Physikalischen Instituts der Universität Stuttgart, die Quantensensorik.

Wir machen Quantensensoren fit für den Alltag.

Prof. Jens Anders, Clustersprecher QSens, Leiter des Instituts für Intelligente Sensorik und Theoretische Elektrotechnik (IIS)

QSens ist eine Clusterinitiative, in der sich die Universitäten Stuttgart und Ulm, das Institut für Mikroelektronik Stuttgart (IMS CHIPS), das Hahn-Schickard Institut für Mikroaufbautechnik (Stuttgart) sowie bislang 17 Industriepartner zusammengetan haben, um Quantensensoren alltagstauglich zu machen. Sie ist einer von 16 Finalisten im Wettbewerb der Zukunftscluster-Initiative (Clusters4Future) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

 „Wir machen Quantensensoren fit für den Alltag“, beschreibt Anders eine der Aufgaben von QSens. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen hochpräzise und günstige Sensoren für die Industrie und den Endkunden entwickeln. In drei bis vier Jahren sollen erste Quantensensoren in Serie produziert werden.

Ein Doktorand liest Messungen an mehreren Bildschrimen in einem Labor ab.
Messplatz für Sensoren basierend auf Stickstofffehlstellen in Diamant.

Zum Vergleich: Der Quantencomputer braucht rund eine Million physikalische Qubits um klassische Rechner zu schlagen, während Quantensensoren mit nur einem Qubit allen klassischen Sensoren überlegen sein können. Qubits sind die Grundrecheneinheit in Quantencomputern, angelehnt an die Bits in herkömmlichen Computern.

Die Industrie hat das große Potenzial der Quantensensoren erkannt: Sie messen präziser und ermöglichen so zahlreiche neue Anwendungen, die für klassische Sensoren nicht zugänglich sind. Ob Magnetfelder, Beschleunigung oder Druck, Quantensensoren erfassen winzigste Signale und Änderungen und messen so genau wie kein Sensor zuvor. „Wir messen am physikalischen Limit“, sagt Anders. Im Gegensatz zu klassischen Sensoren sind die Messwerte von Quantensensoren oft direkt auf die Referenzgrößen des SI-Einheitensystems für physikalische Größen bezogen. Dies spart die sonst notwendige Kalibrierung und somit Geld.

Ein Doktorand arbeitet mit einem Laptop an einem Messplatz in einem Labor.
Quantensensoren können winzigste Signale messen. Hier misst ein Doktorand am Messplatz für Quantensensoren im Physik-Labor.

Quantensensoren im Alltag

Die von QSens entwickelten Sensoren sollen in den Alltagsbereichen Mobility, Healthcare, Internet of Things und Sustainability eingesetzt werden. Quantensensoren werden in Zukunft zum Beispiel Krebs erkennen, bevor ein Patient Symptome zeigt. Dazu messen sie freie Radikale im Körper, die ein spezifischer Indikator für eine Vielzahl von Erkrankungen, insbesondere auch Krebs, sind. Ebenso werden Patient*innen zukünftig mit Hilfe der Sensoren über Nervenimpulse gezielt Prothesen steuern können. Die nächste Generation von Satelliten-Navigationssystemen wird, ausgestattet mit den neuesten Quantensensoren, viel präziser als heute den Standort bestimmen und so einen wichtigen Beitrag zum autonomen Fahren leisten.

Auch bei der Fahrerassistenz können Quantensensoren wertvolle Dienste leisten. Sie beobachten die Fahrerin oder den Fahrer: Wird sie oder er müde oder tritt ein medizinischer Notfall ein, könnte die Technik Signale senden oder das Steuer übernehmen, um das Fahrzeug sicher zum Stehen zu bringen. Denkbar ist auch, dass Menschen künftig statt mit ihrer Stimme mit ihren Gedanken Maschinen oder Alltagsgegenständen, wie zum Beispiel die Stereoanlage steuern, um so die Lautstärke zu verändern oder den Wiedergabetitel zu wechseln. Das wäre auch für die Medizin ein großer Fortschritt: Patient*innen, die nicht mehr kommunizieren können, sogenannte Locked-in Patient*innen, könnten sich mit Hilfe von Quantensensorik wieder verständigen.

Aufgaben von QSens

Deutsche Universitäten und Firmen haben im internationalen Vergleich in der Forschungsleistung zu Sensorik eine Spitzenposition. Das Zentrum für Integrierte Quantenwissenschaft und -technologie in Baden-Württemberg (IQST) [en] unter Beteiligung der Universität Stuttgart ist deutschlandweit führend im Bereich der Quantensensorik. QSens will die wissenschaftliche und wirtschaftliche Vorreiterstellung Deutschlands sichern und ausbauen. Hauptaufgabe des Zukunftscluster-Finalisten ist die Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung. „QSens soll eine Brücke sein. Wir transferieren die Erkenntnisse aus dem Physiklabor in die Industrie und in den Alltag der Menschen“, sagt der QSens-Koordinator.

Darüber hinaus wollen die Forscherinnen und Forscher Quantensensoren einer breiten Öffentlichkeit mit Veranstaltungen, Videos und ScienceSlams zugänglich machen. „Quantenphysik ist nichts Übernatürliches. Es ist normale Physik, die dann angewendet werden muss, wenn es um sehr, sehr kleine Energieunterschiede geht“, erklärt Anders.

Swabian Instruments ist eine sehr erfolgreiche Ausgründung von Alumni der Universität Stuttgart. Sie entwickeln extrem genaue Messgeräte für die Quantenphysik und Quantentechnologie.

Auch die Förderung von Gründungsideen und Startups zählt zu den Aufgaben von QSens. Dafür richten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen sogenannten Quanteninkubator ein. Darin sollen Ausgründungen entstehen, die Sensoren entwickeln. Weil die Startups Hardware herstellen, werden so auch mittel- und langfristig neue Arbeitsplätze geschaffen. „Wir erhoffen uns weitere Erfolgsgeschichten wie bei Swabian Instruments.“ Unterstützt wird QSens durch die Universität Stuttgart, zum Beispiel durch das Institut für Entrepreneurship und Innovationsforschung oder der Innovationsplattform Startup Autobahn.

Neue Berufsgruppe ausbilden

Mit Fortschreiten der zweiten Quantenrevolution ist es Anders wichtig, eine neue Berufsgruppe zu etablieren, die den Herausforderungen dieser Technologie sowohl theoretisch als auch in der praktischen Umsetzung gewachsen ist. Er will Forscherinnen und Forscher aus den Bereichen Physik und Ingenieurwissenschaften zusammenzuführen, um in Zukunft eine neue Generation von Ingenieur*innen auszubilden: die Quanteningenieur*innen. „Dank der tollen Unterstützung durch die Universität und insbesondere durch unseren Rektor Prof. Wolfram Ressel, werden wir in diesem Bereich eine neue Stelle in QSens schaffen.“ Angesiedelt ist die Stelle im Bereich Physik und ihre Didaktik am 5. Physikalischen Institut. Dazu wird derzeit einen Masterstudiengang entwickelt.

Clusters4Future BMBF

Clusters4future ist ein Wettbewerb im Rahmen der Hightech-Strategie 2025 der Bundesregierung, der den Weg von exzellenter Forschung zu Innovationen beschleunigen soll. Zu den 16 Finalisten der ersten Wettbewerbsrunde, die nun einen Vollantrag stellen dürfen, gehört auch die Clusterinitiative „Quantensensoren der Zukunft (QSens)“. Gefördert werden sollen insgesamt maximal sieben Cluster, für die ab 2021 Fördermittel in Höhe von bis zu fünf Millionen Euro pro Cluster und Jahr über bis zu neun Jahre vorgesehen sind. Ende Januar 2021 begutachtet und bewertet eine Expert*innen-Jury den Zukunftscluster-Finalisten QSens.

Prof. Jens Anders, Clustersprecher QSens, Institut für Intelligente Sensorik und Theoretische Elektrotechnik, Tel: +49 (0)711 685-67250, E-Mail

Tour durchs Labor im 5. Physikalischen Institut

Quelle: YouTube
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