Schüler und Schülerinnen diskutieren auf der Bühne mit Lehrkräften und Expertinnen vor Publikum

Wie verändert KI die Schule?

27. Juli 2023

Schülerinnen und Schüler, die ihre Hausaufgaben von künstlicher Intelligenz (KI) erledigen lassen – das klingt wie Zukunftsmusik, ist aber längst Realität. Expert*innen diskutierten in der zweiten Veranstaltung der KI-Reihe der Universität Stuttgart darüber, wie Lehrkräfte Chatbots und Co. zielgerichtet im Unterricht einsetzen können und welche Chancen und Risiken für Gesellschaft und Demokratie daraus entstehen.
[Bild: IZKT, Universität Stuttgart]

Wie passen KI und Schule zusammen? Darüber diskutierten Expert*innen am 11. Juli 2023 in der zweiten Veranstaltung der Reihe „Leben, Lernen und Schreiben mit KI: ChatGPT und die Folgen“, die vor Ort mit mehr als 50 Personen gut besucht war und auch online via Livestream zahlreich verfolgt wurde.

Im Herbst 2022 wurde für die Öffentlichkeit mit ChatGPT erstmals ersichtlich, welches Potenzial Künstliche Intelligenz hat: Ein Tool, das sich als Lerncoach oder als Ghostwriter entpuppt und selbst der Aufforderung nachkommt, plausible Fehler einzufügen, um die Fälschung perfekt zu machen. Was sind die Auswirkungen für Schulen? Welche Ansätze helfen, mit dieser Neuerung angemessen umzugehen? Moderator Felix Heidenreich, wissenschaftlicher Koordinator des Internationalen Zentrums für Kultur- und Technikforschung (IZKT), wagten mit Expertinnen und Experten einen Blick in die nahe Zukunft. 

Expertinnen und Experten diskutieren auf dem Podium über KI in der Schule.
Expertinnen und Experten diskutieren auf dem Podium über KI in der Schule. V.l.n.r.: Felix Heidenreich, Ruben Schäfauer, Florian Nuxoll, Jun.-Prof. Maria Wirzberger und Irmi Mühlhuber

Kritisch hinterfragen in Ausbildung und Schulpraxis

Wie ein roter Faden zog sich die Erkenntnis durch den Abend, die Jun.-Prof. Maria Wirzberger von der Universität Stuttgart, Sprecherin von IRIS (Interchange Forum für Reflecting on Intelligent Systems), in ihrem ersten Statement prägt: „Es ist der kritische Blick, der uns als Menschen ausmacht“, sagte Wirzberger. „Daher müssen wir bereits in der Lehrerausbildung dem Nachwuchs beibringen, Dinge kritisch zu hinterfragen.“

„Wie sind eigens erbrachte Leistungen von Schülerinnen und Schülern noch nachweisbar?“, stellte Moderator Heidenreich die Frage in den Raum. „Muss man mehr auf mündliche Prüfungen ohne technische Hilfsmittel setzen?“ Irmi Mühlhuber vom Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg rief alle Lehrer*innen auf, bereits bestehende Spielräume in der aktuellen Prüfungsordnung zu erkennen und zu nutzen. Sie ergänzte, dass sich zuerst die Aufgaben im Unterricht ändern müssten, ehe zentrale Prüfungsformate geändert werden könnten.

Florian Nuxoll, selbst Lehrer, sowie Autor und Herausgeber der Reihe Medienwelten und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Tübingen, schlug vor, dass möglicherweise im Unterricht mehr auf die Vermittlung von Faktenwissen gesetzt werden müsse, denn „Wer nichts weiß, muss alles glauben“, so Nuxoll. Und die Fehlerquote bei ChatGPT ist hoch. Im Moment noch! Doch was, wenn sich die KI weiterhin in, wie manche sagen „doppelt exponentiellem Wachstum“ weiterentwickelt? Dann wird es schwieriger, Schüler*innen zu vermitteln, die Ergebnisse aus ChatGPT kritisch hinterfragen zu müssen.

Chancen und Risiken für eine demokratische und soziale Gesellschaft

Auch die Auswirkungen auf soziale Gerechtigkeit kamen zur Sprache. Diese seien in beide Richtungen denkbar. Einerseits könnte ChatGPT Hilfe für Kinder aus bildungsfernen Haushalten bieten und so Unterschiede in der Herkunft ausgleichen. Andererseits kostet die kostenpflichtige Voll-Version ChatGPT 4.0 20 Euro im Monat, was sich nicht jeder Haushalt leisten kann.

Auch Auswirkungen auf die Demokratie sind denkbar. So könnten etwa mehr Falschinformationen durch KI verbreitet und durch Verschwörungstheoretiker gezielt manipulativer verwendet werden und so die Demokratie angreifen. „Wir müssen uns fragen, wie wir unsere Demokratie schützen können“, sagte Nuxoll. „Das ist eine der wichtigsten Fragen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten.“

Ebenso wurde die Gefahr von Vereinzelungstendenzen diskutiert. Individuelle KI-basierte Tutorsysteme fördern Kinder zwar auf ihrem jeweiligen Niveau, doch das vergrößert den Abstand zwischen den ohnehin schon guten Schüler*innen, die schnell besser werden, und denen, die langsamer lernen. Die Runde ist sich einig, dass soziales und gemeinsames Lernen in der Gruppe wichtiger denn je ist, um solchen Tendenzen entgegen zu wirken.

Verantwortungsbewussten Umgang mit KI erlernen

Für Lehrkräfte könnte ChatGPT in der Unterrichtsvorbereitung zeitliche Ressourcen einsparen. Sich via KI Inspirationen für den Unterricht zu holen, sei sogar der beste Anwendungsfall, so Mühlhuber.

Das Podium ist sich einig, dass sich Deutschland im gezielten Einsatz von KI im Unterricht und auch in der Forschung einiges aus dem Ausland abschauen könne. Und dennoch ist die Rechtslage für solche Einsatzmöglichkeiten EU weit noch nicht geklärt.

Auch ist man sich darin einig, dass sich die Kompetenzen von Schüler*innen verändern müssen – hin zu Bewertungskompetenzen wie etwa der Problemlösungsfähigkeit und kritischem Hinterfragen. Schülerinnen und Schüler müssen lernen zu verstehen, wie KI-Tools funktionieren, welche ethischen Auswirkungen sie haben und diese dann verantwortungsbewusst und kompetent einsetzen.

Mühlhuber betonte aber, um solche Kompetenzen vermitteln zu können, müsse in der Lehrerfortbildung angesetzt werden. Aus Schülersicht berichtet Ruben Schäfauer vom Jugendrat Stuttgart über den noch schwierigen oder sogar fehlenden Umgang der Lehrerkräfte mit der neuen Technologie. „Es ist da und die Ansage, ChatGPT nicht zu nutzen, wird nicht funktionieren“, sagte Schäfauer. „Wir müssen aufpassen, dass die Schülerinnen und Schüler den Lehrkräften in Sachen digitaler Kompetenz nicht davonrennen.“ Nuxoll ergänzte: „Unterricht ist eine gemeinsame Wissenskonstruktion. Die Hierarchie zwischen Lehrenden und Lernenden, bei der ersterer alles weiß, gebe es schon lange nicht mehr.“

Das interessante und kurzweilige Gespräch der Expert*innen lässt die Hoffnung zu, dass ein guter Umgang mit KI im Unterricht gefunden werden kann. Um es mit Maria Wirzberger zu sagen: „KI ist eine Chance, weil wir im Gespräch darüber sind“.

Die Podiumsdiskussion zum Nachschauen auf Youtube: 

Über die Veranstaltungsreihe

Die interdisziplinäre Reihe „Leben, Lernen und Schreiben mit KI: ChatGPT und die Folgen“ umfasst Veranstaltungen von Juni bis November 2023 und wird vom IZKT sowie IRIS der Universität Stuttgart in Kooperation mit der Stadtbibliothek Stuttgart ausgerichtet. Die von Félicie Kohlrausch (IZKT) konzipierte und organisierte Reihe wird begleitet von Dr. Simone Rehm, Prorektorin für Informationstechnologie. Der dritte Termin der Reihe findet am Mittwoch, 8. November 2023 statt. Das Thema ist „Gezähmte Bots: Wer soll KI regulieren – und wie?“.

Die Universität Stuttgart lädt Studierende und Beschäftigte zu einem Diskurs über die Bedeutung von Chatbots in der Wissenschaft ein. Alle Hintergrundinformationen, Veranstaltungen und News finden Sie auf unserer Webseite ChatGPT an der Universität Stuttgart zusammengefasst. 

Zum Seitenanfang