Eine Autokarosserie besteht aus zahlreichen Bauteilen. Um diese in Form zu bringen, durchlaufen sie mehrere Umformschritte. In der Praxis werden diese Schritte von stochastischen und instationären Phänomenen, wie etwa Temperatur- und Materialschwankungen, überlagert. Ingenieur*innen bezeichnen diese Phänomene als Prozessrauschen, welches sich auf die Qualität von Bauteilen auswirkt. Forschende der Universität Stuttgart entwickeln im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms „Datengetriebene Prozessmodellierung in der Umformtechnik“ (SPP 2422) neue Methoden, um Prozessrauschen zu identifizieren. Durch die Kombination von Prozessdaten, Expertenwissen und Simulationsrechnungen gelingt es, Umformprozesse tiefer zu durchdringen und zu verbessern.
Werkzeuge und Prozesse der Umformtechnik intelligenter gestalten
Ziel ist es, insbesondere die Wirkfläche von Umformwerkzeugen, also diejenige Fläche, welche direkt mit dem Material in Kontakt kommt und es in Form bringt, robuster und präziser auszulegen. Im SPP 2422 werden bereits bestehende Modellierungsansätze deshalb durch datengetriebene Verfahren erweitert. „Die Komplexität moderner Umformprozesse lässt sich mit klassischer Simulation allein nicht mehr vollständig erfassen“, erklärt Professor Mathias Liewald, Koordinator des SPP 2422 und Leiter des Instituts für Umformtechnik (IFU) an der Universität Stuttgart. „Wir kombinieren reale Prozessdaten mit domänenspezifischem Wissen in maschinellen Lernmodellen, um neues Grundlagenwissen zu schaffen und so Umformverfahren robuster zu gestalten.“
Dreiklang aus Umformtechnik, Automation und Data-Science
Das SPP 2422 ist interdisziplinär angelegt: 13 wissenschaftliche Teilprojekte arbeiten deutschlandweit gemeinsam daran, Prozessrauschen in umformtechnischen Prozessen modellierbar und erklärbar zu machen. Dabei stehen industriell häufig eingesetzte Umform- und Trennverfahren im Fokus – etwa das Schmieden, Scherschneiden, Biegen oder das Tiefziehen. Aus Simulationen mehrstufiger Prozessfolgen sowie aus realen Dauerlaufuntersuchungen sammeln alle Partner in ihren Laboren große Datenmengen. Diese werden KI-gestützt ausgewertet, um Prozessrauschen zu analysieren, Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge zu erkennen und die Werkzeugoberflächen gezielt anzupassen. Begleitend dazu fördern vier Arbeitskreise die enge Kooperation zwischen den Disziplinen und bearbeiten Querschnittsaufgaben des Schwerpunktprogramms.
Auf dem Weg zum ganzheitlichen Assistenzsystem
Das übergreifende Forschungsziel ist die Entwicklung digitaler und KI-basierter Assistenzsysteme. Diese sollen künftig umformtechnische Werkzeug- und Prozessauslegungen unterstützen und die Grundlage für neue digitale Werkzeuge und Software, sogenannte CAX-Technologien, schaffen. Die Forschenden trainieren dazu neue KI-Modelle und erforschen die Anforderungen an Datenformate, Systemarchitekturen und Schnittstellen. In zwei Förderperioden bis 2029 sollen zunächst Ansätze zur Wirkflächenverbesserung generiert und in erklärbare, praxistaugliche Modelle überführt werden.
Kontakt | Prof. Mathias Liewald MBA, Institut für Umformtechnik (IFU), Universität Stuttgart |
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