Geldscheine

Bedingungsloses Grundeinkommen: Was kostet und bringt es für Haushalte und Staat?

2. Mai 2023, Nr. 22

Forschende der Universität Stuttgart entwickeln interaktiven Rechner für Bürger*innen

Wie könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen auf gesamtwirtschaftlicher Ebene finanziert werden? Das haben Forschende des Instituts für Volkswirtschaftslehre und Recht (IVR) der Universität Stuttgart in Kooperation mit dem RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung untersucht. Die Stuttgarter Forschenden haben zudem eine interaktive Anwendung entwickelt, die Bürgerinnen und Bürgern veranschaulicht, welche konkreten Auswirkungen das bedingungslose Grundeinkommen auf den eigenen Haushalt hätte. Mit der Anwendung lassen sich auch weitere Szenarien durchspielen, zum Beispiel was es für den individuellen Haushalt bedeuten würde, wenn der Krankenkassenbeitragssatz erhöht würde oder es eine Steuersenkung gäbe.

Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) zählt zu den bekanntesten, aber auch umstrittensten sozialpolitischen Reformvorschlägen und wird oft als Lösung für verschiedene sozioökonomische Probleme diskutiert. Die Idee des Grundeinkommens ist, dass alle Bürgerinnen und Bürger eine gesetzlich festgelegte und für jeden gleiche, vom Staat ausgezahlte finanzielle Zuwendung erhalten, unabhängig von ihrer finanziellen Situation. Forschende des Instituts für Volkswirtschaftslehre und Recht (IVR) der Universität Stuttgart haben zusammen mit dem RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung untersucht, wie auf gesamtwirtschaftlicher Ebene ein bedingungsloses Grundeinkommen finanziert werden kann und welche Auswirkungen es auf die Einkommensverteilung hätte.

Bedingungsloses Grundeinkommen könnte nur durch starke Steuererhöhungen finanziert werden

Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass die Einführung eines existenzsichernden bedingungslosen Grundeinkommens bei gleichzeitigem Wegfall von Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld I und II, der Grundsicherung im Alter und dem Kindergeld das deutsche Sozialsystem erheblich vereinfachen und der bürokratische Aufwand sich stark reduzieren würde. Allerdings müssten, im Vergleich zum Gesetzesstand 2021, die staatlichen Transferzahlungen stark erhöht werden. „Laut unseren Berechnungen betrügen die staatlichen Ausgaben für ein existenzsicherndes bedingungsloses Grundeinkommen bis zu 900 Milliarden Euro. Zur Finanzierung wären folglich deutliche Steuererhöhungen notwendig“, sagt Professor Frank C. Englmann vom IVR.

Angenommen, der Staat würde einen Steuertarif mit konstantem Grenzsteuersatz, eine sogenannte Flat Tax, von 66,1 Prozent für alle Bürger*innen einführen, könnte ein BGE von monatlich 1.000 Euro für Erwachsene und 500 Euro für Kinder finanziert werden. Ein geringerer Steuersatz von 61,2 Prozent wäre möglich, wenn das BGE abhängig von Haushaltszusammensetzung und Wohnort ist. Im Vergleich zum Status quo ergäbe sich eine deutliche Umverteilung: Haushalte in der unteren Hälfte der Einkommensverteilung würden im Durchschnitt begünstigt – zu Lasten der oberen 50 Prozent. Um das BGE mit einem Einheitssteuersatz von 48 Prozent zu finanzieren, müssten laut der Modellrechnung die Verwaltungsausgaben im Sozialsystem erheblich reduziert werden und zusätzlich im Bundeshaushalt jährlich insgesamt 224 Milliarden Euro an anderer Stelle eingespart werden.  

Interaktive Anwendung: Was würde die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens für mich bedeuten?

Neben der Frage der gesamtstaatlichen Finanzierung, die in der Studie im Vordergrund stand, stellen sich auch Fragen, die Einzelfälle betreffen: Was würde die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens für den eigenen Haushalt bedeuten? Diese Frage können Bürgerinnen und Bürger jetzt in einer interaktiven Anwendung für ihren jeweiligen Einzelfall durchspielen. Entwickelt haben den Rechner, der bereits das Gesetzesjahr 2023 abbildet, Forschende des IVR der Universität Stuttgart.

Weitere Reformszenarien durchspielen: Wie würde sich eine Erhöhung des Bürgergeldes auf das Haushaltseinkommen auswirken?

Neben Fragen zum BGE können Bürgerinnen und Bürger weitere Fragen in Bezug auf das Einkommen und das soziale Sicherungssystem sowie das Einkommensteuersystem simulieren. Wie würde sich zum Beispiel eine Erhöhung des Bürgergeldes auf das Haushaltseinkommen auswirken? Was würde es für den Einzelfall bedeuten, wenn der Krankenkassenbeitragssatz erhöht wird oder das Wohngeld abgeschafft wird? Und welche konkreten Auswirkungen hätte es, wenn es eine Steuererhöhung oder -senkung gäbe?

Durch ein BGE in Höhe von 1000 Euro je Erwachsenen und 500 Euro je Kind, bei gleichzeitiger Abschaffung von Kindergeld, Bürgergeld, Kinderzuschlag und Wohngeld, würden Familien mit Kindern bei unverändertem Einkommensteuertarif stark von der Einführung eines BGE profitieren. Die Vergleichslinie stellt den Status quo dar.

„Mithilfe der Anwendung können wichtige Einflussfaktoren, die eine Umverteilung induzieren, schnell erkannt werden. Zum Beispiel wie sich die Anzahl der Kinder im Haushalt auf die Wirkung einer Reform auswirkt oder welche Haushaltstypen eher belastet werden und welche profitieren“, erklärt Prof. Englmann.

Die Anwendung basiert auf der Software „Wolfram Player“, und kann auf der Webseite kostenlos heruntergeladen werden. Nach deren Installation kann damit die Anwendung geöffnet werden. In der Kompaktversion der Anwendung können Sie die Auswirkungen einzelner Reformen analysieren. Zusätzlich gibt es eine ausführliche Version, die einen Vergleich zweier Reform-Szenarios erlaubt.

Publikation:
Englmann, F. C.; Jessen, R.; Bätz, B. et al. (2023): „Ersatz von (ausgewählten) Sozialleistungen und -abgaben in Deutschland durch ein bedingungsloses Grundeinkommen und ein reformiertes Einkommensteuersystem“, http://dx.doi.org/10.18419/opus-12898.

Fachlicher Kontakt:

Für das Gesamtprojekt und Gutachten:
Prof. Dr. Frank C. Englmann (Projektleitung), Institut für Volkswirtschaftslehre und Recht, Lehrstuhl für Theoretische Volkswirtschaftslehre, Universität Stuttgart, E-Mail

Für die interaktive Anwendung: 
Benjamin Bätz, Institut für Volkswirtschaftslehre und Recht, Lehrstuhl für Theoretische Volkswirtschaftslehre, Universität Stuttgart, Tel.: +49 (0)711/685 83540, E-Mail

Frank Calisse, Institut für Volkswirtschaftslehre und Recht, Lehrstuhl für Theoretische Volkswirtschaftslehre, Universität Stuttgart, Tel.: +49 (0)711/685 83566, E-Mail

Medienkontakt

 

Hochschul­kommunikation

Keplerstraße 7, 70174 Stuttgart

Zum Seitenanfang