Amtliche Bekanntmachung Nr. 11/2024. Herausgegeben im Auftrag des Rektorats der Universität Stuttgart

Richtlinie der Universität Stuttgart für den Umgang mit Machtmissbrauch und Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen

Vom 07. Februar 2024

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Veröffentlicht am: 2. April 2024
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Richtlinie der Universität Stuttgart für den Umgang mit Machtmissbrauch und Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen

Vom 07.02.2024

Ergänzend zu den Satzungen der Universität Stuttgart zur Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis und zum Umgang mit Fehlverhalten in der Wissenschaft vom 11.07.2023 und ergänzend zum Qualitätssicherungskonzept für das Promotionswesen wie auch zur Richtlinie der Universität Stuttgart zum Umgang mit Fällen von Diskriminierung sowie von sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt vom 25.10.2022, hat das Rektorat am 19.12.2023 die folgende Richtlinie zum Umgang mit Machtmissbrauch und Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen beschlossen.

Präambel

Wir bekennen uns zu Redlichkeit als oberstem Prinzip der Wissenschaft. In unserem Handeln befolgen wir die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis gemäß unserer eigenen Satzung sowie auf Basis der entsprechenden Leitlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Für unsere gesellschaftliche wie auch persönliche Verantwortung und das Miteinander an der Universität Stuttgart ist außerdem der „Code of Conduct“ als Verhaltenskodex unsere Leitlinie für respektvolles Verhalten im Alltag an der Universität Stuttgart.

I. Allgemeine Grundsätze

Die Universität Stuttgart ist ein Raum der (Wissenschafts-)Freiheit, ein Ort, an dem gelehrt, studiert, gearbeitet und geforscht wird. Die Universität Stuttgart erwartet Respekt und Wertschätzung im Umgang ihrer Angehörigen und Mitglieder miteinander und sieht darin die Grundlage für einen Studien- und Arbeitsplatz, an dem die Universitätsmitglieder ihre Potenziale ausschöpfen und sich wohlfühlen können. Die Universität Stuttgart duldet im Arbeits- und Studienumfeld kein Verhalten, das die Würde und Integrität einer Person verletzt oder sie in unangemessener Weise in ihren Rechten und Freiheiten einschränkt.

Wissenschaftliche Praxis ist nicht frei von Machtverhältnissen, was in den unterschiedlichen Rollen ihrer Angehörigen und Mitglieder begründet liegt. Die Universität Stuttgart erkennt an, dass Machtasymmetrien und Abhängigkeitsverhältnisse existieren können, die nicht frei von Diskriminierung oder Gewalt sind. Die Universität Stuttgart sieht sich in der Pflicht, ihre Mitglieder vor solcher Diskriminierung und Gewalt wirkungsvoll zu schützen, dabei präventiv tätig zu sein, Übergriffe zu ahnden und in einem transparenten Prozess den Umgang mit Fällen von Machtmissbrauch oder Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen festzulegen. Die Universität Stuttgart strebt an, Machtmissbrauch und das Ausnutzen von Abhängigkeitsverhältnissen durch geeignete organisatorische Maßnahmen auf jeder Ebene zu verhindern.

Hier setzt die vorliegende Richtlinie an.

Ziel der Richtlinie ist es, Informationen bereitzustellen, zu sensibilisieren und allgemeines Bewusstsein für Machtmissbrauch und die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen im akademischen Kontext, insbesondere in der wissenschaftlichen Praxis, zu schaffen und darauf hinzuweisen. Die Richtlinie bietet eine entsprechende Verfahrensregelung: Dazu gehören die Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze, die Einhaltung eines korrekten und transparenten Verhaltens- und Verfahrenskodex sowie Schutzmaßnahmen für unmittelbar bedrohte Personen. Ferner werden Maßnahmen vorgeschlagen, die der Verhinderung von Machtmissbrauch und der Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen dienen.

Die Richtlinie versteht sich als systematische Handlungsstrategie und kann stetig ergänzt werden.

II. Begriffsklärung und Einordnung

Macht und legitime Machtausübung:

Macht als solche trägt zunächst keine Wertung in sich. Macht und Machtausübung sind erforderlich, um Vorgänge in hierarchischen Strukturen zu regeln. Entscheidend ist, wie die machttragende Person ihre Position für sich versteht und ausübt. Ihre Aufgabe muss es sein, die Mitarbeitenden, Promovierenden und Studierenden zu fördern und eine Umgebung zu schaffen, in der sich alle Personen unterstützt und aufgefordert fühlen, ihr Bestes zu geben. So gelebt und ausgeübt ist Machtausübung legitim in dem Sinne, dass sie den übergeordneten Zielen der Universität und der an ihr handelnden Personen dient. Dazu gehören eine geeignete Kommunikationsstruktur, ein sachorientierter Umgang mit Fehlern und eine offene Feedbackkultur.

Macht ist grundsätzlich in sozialen Systemen immanent, auch im Hochschulsystem. Ein Qualitätssicherungssystem hilft im Umgang mit der Abhängigkeit von der Integrität der Führungspersonen. Im Bereich des wissenschaftlichen Nachwuchses beinhaltet die Macht der Betreuenden sowohl formelle als auch informelle Aspekte:

  • formell die Vorgesetzten- und Prüfenden-Rolle,
  • informell das Gefüge in einem Institut oder Fachbereich:
    • wer welche soziale Rolle erfüllt,
    • welche impliziten Erwartungen an Leistung, Arbeitszeit, Anwesenheit, zeitliche Responsivität existieren,
    • wie es um die Kommunikationskultur steht.

Abhängigkeitsverhältnisse:

In einem Abhängigkeitsverhältnis geht es um die Beziehung, in der eine Person auf eine andere Person angewiesen ist oder von dieser entscheidend beeinflusst oder bestimmt wird.

Abhängigkeit impliziert Verantwortungsübernahme füreinander.

Im Wissenschaftsbetrieb ergibt sich eine strukturelle und persönliche Abhängigkeit gerade von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern früher Karrierestufen von den betreuenden Personen, die oft zugleich Vorgesetztenfunktionen ausüben.

Abhängigkeitsverhältnisse liegen vor in den Bereichen:

  • des wissenschaftlichen Nachwuchses: aufgrund der Betreuungssituation und der Bewertung während der Qualifikation, aufgrund der Evaluation von Juniorprofessorinnen und Juniorprofessoren, und aufgrund der hierarchischen Strukturen im Wissenschaftssystem;
  • der Beschäftigten: aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses und ggf. Befristungen.

In einem Abhängigkeitsverhältnis können beide Aspekte in Kombination auftreten, wodurch ein besonders hohes Verantwortungsbewusstsein und Handeln der betreuenden Person notwendig ist.

Machtmissbrauch:

Machtmissbrauch liegt vor, wenn eine Person die mit ihrer Position verbundene Verantwortung nicht sachgerecht wahrnimmt, die eigene (Macht-)Position für persönliche oder andere nicht sachgerechte Interessen ausnutzt und/oder anderen Personen in der beruflichen Umgebung und Weiterentwicklung schadet. Mechanismen des Machtmissbrauchs sind vielfältig, sie reichen bis zum systematischen Mobbing.

Machtmissbrauch in der Wissenschaft hat vielfältige Erscheinungs- und Wirkungsebenen. Die Vermeidung von Möglichkeitsräumen und Gelegenheitsstrukturen für Machtmissbrauch und (Betreuungs-)Konflikte ist daher ein zentraler Bestandteil guter wissenschaftlicher Arbeit.

III. Prävention und Maßnahmen zur Verhinderung von Machtmissbrauch und Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen

Erforderlich für die Vermeidung von Machtmissbrauch ist eine Sensibilisierung aller Ebenen der Mitglieder und Angehörigen der Universität für das Miteinander und die Arbeitskultur an der Universität Stuttgart unter der Berufung auf den Verhaltenskodex „Code of Conduct“.

Prävention gegen das Auftreten von Machtmissbrauch wird als ein Teil guter wissenschaftlicher Praxis angesehen. Neben den in der „Satzung zur Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis“ definierten Grundsätzen sind weitere präventive Maßnahmen zur Vermeidung von Machtmissbrauch notwendig.

Die folgenden Maßnahmen können der Prävention dienen:

  • Umsetzung von Feedback-Strategien zwischen der betreuenden und der betreuten Person zur Verhinderung von Konflikten und die Förderung einer Fehlerkultur,
  • allgemeine Angebote in der Aus- und Weiterbildung von Führungskräften in den Bereichen Personalführung und Persönlichkeitsentwicklung, wie zum Beispiel das Führungskräfteentwicklungskonzept der Universität Stuttgart,
  • spezifisches Angebot eines Führungskräfteseminars für wissenschaftliche Führungskräfte, die für die Betreuung von Promovierenden zuständig sind, in den Bereichen Kommunikation, Konfliktlösung, Betreuung sowie der Fähigkeit, Verhaltensweisen zu erkennen, die den Verhaltenskodex oder die Sicherheitsbestimmungen verletzen,
  • Angebote von GRADUS-Seminaren zu Rechten und Pflichten für Promovierende, Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler im Rahmen des Onboarding,
  • Abschließen einer bindenden Promotionsvereinbarung zu Beginn der Promotionszeit (entsprechend der Promotionsordnung), in der die Rollen der Betreuenden, die Erwartungen beider Parteien (Promovendin oder Promovend und Betreuerin oder Betreuer), das Promotionsthema oder Arbeitsgebiet der Promotion sowie das Verfahren im Fall eines Konflikts detailliert aufgeführt sind,
  • Qualitätssicherung durch eine in der Promotionsvereinbarung festlegbare Ko-Betreuung durch eine wissenschaftlich unabhängige, uniexterne zweite promotionsberechtigte Betreuungs- oder Begutachtungsperson.
  • Der kontinuierliche Austausch zwischen Betreuungsperson und dem wissenschaftlichen Nachwuchs wird gesichert durch die Promotionsvereinbarung und durch weitere geeignete Maßnahmen, die im Rahmen des Qualitätssicherungskonzepts für das Promotionswesen erarbeitet werden.
  • Eine schriftliche Vereinbarung zwischen der Betreuungsperson und den Promovierenden, Habilitierenden und Postdocs sichert diesen den Zugang zu eigenen Forschungsdaten und -resultaten sowie zur erforderlichen Infrastruktur zur Durchführung ihres Forschungsprojektes zu. Die Vereinbarung garantiert, dass Promovierende, Habilitierende und Postdocs ihr Forschungsprojekt in einem angemessenen zeitlichen Rahmen abschließen können.

IV. Verantwortung von Vorgesetzten und Personen mit Leitungs-/Führungsaufgaben im Wissenschaftsbereich

Die Personalführungs-, Leitungsaufgaben sowie die Verantwortlichkeiten in den wissenschaftlichen Arbeitseinheiten der Universität Stuttgart sind in der Satzung zur Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis geregelt (s. insb. §2).

V. Verfahrensgrundsätze zum Umgang mit Verdachtsfällen oder konkreten Fällen von Machtmissbrauch und Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen

Meldung von Machtmissbrauch oder der Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen:

Betroffene wie auch Dritte können sich, neben einer direkten Auseinandersetzung mit der oder den Personen, an die jeweiligen Ansprechpersonen und Beratungsstellen an der Universität wenden, damit ggf. die erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden können. Dabei sind alle Ansprechpersonen und Beratungsstellen verpflichtet, jede Information im Rahmen des rechtlich Zulässigen strikt vertraulich zu behandeln.

Die Universität Stuttgart hat für die Bereiche der Ingenieurwissenschaften, der Naturwissenschaften und der Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften Ombudspersonen bestellt. Die Universität Stuttgart hat außerdem eine Ombudsperson („Ombudsperson Lehre und Promotion“) ernannt. Die Universität Stuttgart stellt zudem ein Portal zur Verfügung, auf dem weitere Anlaufstellen und Ansprechpersonen zu finden sind und, das über ein elektronisches Beratungs- und Beschwerdeportal auch eine anonyme Meldung ermöglicht.

Betroffene haben das Recht, schriftlich oder mündlich Beschwerde bei einer der Ombudspersonen oder der Ansprechpersonen, die auf der Universitätsseite „Universität ohne Diskriminierung“ und im Diversity-Konzept der Universität Stuttgart aufgeführt sind, einzureichen. Weitere Handlungsschritte sollten nur mit Zustimmung der betroffenen Person oder unter Wahrung ihrer Anonymität erfolgen. Nach einem ersten vertraulichen Gespräch sind verschiedene Vorgehensweisen, sowohl auf informellem als auch formellem Wege, möglich. Diese sind in der Satzung der Universität Stuttgart zum Umgang mit Fehlverhalten in der Wissenschaft geregelt.

VI. Maßnahmen und Konsequenzen im Fall von Machtmissbrauch oder Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen

Zur Vermeidung von Machtmissbrauch und der Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen sollen geeignete Maßnahmen und Unterstützungsangebote implementiert werden.

Ist der Fall des Machtmissbrauchs oder der Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen eingetreten, werden, soweit nötig, Schutzmaßnahmen für die betroffene Person sowie für Zeuginnen und Zeugen eingeleitet; dazu gehört beispielsweise der Schutz des weiteren Karrierewegs für die Doktorandin oder den Doktoranden, der oder des Postdocs sowie der Juniorprofessorin oder des Juniorprofessors. Generell dürfen keiner der beteiligten Personen bis zum Abschluss des formellen Verfahrens Nachteile entstehen. Es gilt die Unschuldsvermutung bis zum Beleg des Gegenteils.

Trotz Präventionsmaßnahmen können Konflikte, Machtmissbrauch oder die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen überall dort auftreten, wo Menschen miteinander interagieren. Falls ein Verhalten, das den Verhaltenskodex verletzt, wiederholt auftritt oder durch eine besondere Schwere gekennzeichnet ist, müssen Konsequenzen für Zuwiderhandelnde in Betracht gezogen werden.

Allgemeine Maßnahmen im Konfliktfall:

  • Die Ombudsperson kann, wenn sie es während des Prozessverlaufs als erforderlich einstuft, ein Feedbackgespräch mit dem Rektorat initiieren.
  • Im Falle einer Kündigung der Promotionsvereinbarung durch die Betreuerin oder den Betreuer ist der Promotionsausschuss in der Pflicht, im Konfliktfall eine neue Betreuungsperson zu finden. Im Falle eines unauflöslichen Konflikts kann der oder die Promovierende das Betreuungsverhältnis auflösen, Satz 1 gilt entsprechend. Der Promotionsausschuss benennt dann im Benehmen mit der Doktorandin oder dem Doktoranden eine neue Betreuerin oder einen neuen Betreuer, die oder der gemäß § 7 Abs. 3 Promotionsordnung (PromO) zur Berichterin oder zum Berichter bestellt werden kann.

Spezifische Maßnahmen für den wissenschaftlichen Nachwuchs:

Es wird anerkannt, dass ein erwiesener Betreuungskonflikt zu einer Verlängerung der Bearbeitungszeit führen kann, auch über die zuvor vereinbarte Projektdauer hinaus. Bei schwerwiegenden Fällen soll nach Möglichkeiten einer entsprechenden Vertragsverlängerung gesucht werden.

Spezifische Maßnahmen für betreuende Personen:

  • Personalisierte Coachings mit Inhalten, etwa zu persönlichem Führungsstil, Zielsetzung und -erreichung etc. werden zielgruppenspezifisch für betreuende Personen angeboten. Bei nachgewiesenen Fällen von Machtmissbrauch oder Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen werden Maßnahmen nach Maßgabe der dienst- und arbeitsrechtlichen Bestimmungen geprüft und ergriffen.
  • Bei einem Fall des Machtmissbrauchs oder der Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen wird den wissenschaftlichen Führungskräften eine entsprechende Fortbildung angeboten.
  • Der Nachweis oder die Teilnahme an einem Seminar zur Befähigung zur Mitarbeitendenführung und zum Vorgehen bei der Betreuung von wissenschaftlichem Nachwuchs soll fester Bestandteil in der Zielvereinbarung bei Neuberufenen werden.

Inkrafttreten

Diese Richtlinie tritt am Tag nach ihrer Bekanntmachung in den Amtlichen Bekanntmachungen der Universität Stuttgart in Kraft.

Stuttgart, den 25.03.2024

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