Mitarbeiter des IfW untersuchen das Verhältnis von Materialabtrag und Kühlschmierstoff beim Sägen.

Smarte Fertigung

forschung leben – das Magazin der Universität Stuttgart (Ausgabe September 2021)

Die industrielle Produktion muss nachhaltiger und effizienter werden. Wie Simulationen und Daten dabei helfen können, erforscht das Institut für Werkzeugmaschinen (IfW).
[Foto: Max Kovalenko]

Ohne Rechenleistung, ohne Messdaten, ohne Modelldaten geht künftig nichts mehr in der Auslegung industrieller Fertigungsprozesse. Die Digitalisierung bietet die Chance, dass Produktionssysteme automatisiert und vernetzt arbeiten. „Dies reduziert den Einsatz von Ressourcen oder steigert die Verfügbarkeit von Maschinen“, sagt Prof. Hans-Christian Möhring, Direktor des Instituts für Werkzeugmaschinen (IfW). Dass dabei auch vermeintlich triviale Dinge wie Kühlschmierstoffe ganz neue Herausforderungen mit sich bringen, verdeutlicht ein Ende 2020 gestartetes IfW-Projekt.

Bearbeitungsprozess einer Maschine wird auf einem Laptop gezeigt.
Innovative Ansätze: Bei der Simulierung gehen die Forschenden neue Wege, um die Problematik berechenbar zu machen.

„Nicht nur die Eigenschaften von Material und Werkzeug beeinflussen Produktionsprozesse, sondern zum Beispiel auch die Vorgänge unmittelbar in der Zone, in der ein Werkstück bearbeitet wird“, so Möhring. Bei Bearbeitungsverfahren wie Bohren, Sägen oder Fräsen kommt oft ein Kühlschmierstoff zum Einsatz. Er senkt die Reibung zwischen Werkzeug und Werkstück, zudem führt er Wärme und Späne ab. „Die Dosierung erfolgt bislang meist nach dem Motto ‚Viel hilft viel‘“, sagt Möhring. Laut einer Studie des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) von 2017 haben die Kühlschmierstoffe mit 8 bis 17 Prozent einen erheblichen Anteil an den Gesamtkosten der Produktion. Die Kosten entstehen vor allem bei der Entsorgung.

„Wir simulieren nun in einem Projekt anhand eines Sägeprozesses das Wechselspiel zwischen Materialabtrag und Kühlschmierstoff“, sagt Möhring. „So wollen wir ermitteln, wie wir einen langsamen Verschleiß des Werkzeugs bei gleichzeitiger Verwendung von möglichst wenig Kühlschmierstoff erreichen können.“ Erforderlich ist hierfür eine sogenannte Multiphysik-Simulation, bei der sowohl die mechanischen als auch die strömungsmechanischen Vorgänge im Sägeprozess unter Berücksichtigung der Erwärmung betrachtet werden. Das Projekt ist Teil eines Schwerpunktprogramms der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). „So eine Simulation für das Sägen ist völliges Neuland“, sagt Möhring, „moderne Rechner stoßen hier an ihre Leistungsgrenzen.“ Es seien daher neue Ansätze bei der Modellierung nötig, um das Problem überhaupt berechenbar zu machen. Zudem wird das IfW-Team auf die Kapazitäten des Höchstleistungsrechenzentrums Stuttgart (HLRS) zurückgreifen müssen.

Digitales Holzlabor

Ein Versuchsfeld für Studierende und Unternehmen

03:14
© Universität Stuttgart
Video-Transkription

Das IfW digitalisiert seinen Maschinenpark zur Holzbearbeitung

„Wir wollen demonstrieren, wie sich Daten aus Prozessen, Maschinen und Werkzeugen nutzen lassen, um eine Produktion zu verbessern“, sagt Kamil Güzel, Leiter Holzbearbeitung am IfW. Zum Labor gehören Drei- und Fünf-Achs-Bearbeitungszentren, Automaten zum Hobeln und Kehlen, verschiedene Sägen, eine Schleifmaschine, ein Industrieroboter und ein Abrichthobel. „Es ist die typische Ausstattung eines mittelständischen Möbelbauers“, so Güzel. Einige Maschinen sind wenige Jahre alt, andere Jahrzehnte, und sie stammen von verschiedenen Herstellern. „So zeigen wir, dass eine Digitalisierung auch im Bestand umsetzbar ist.“ Für die Sensorik und Datenzusammenführung ist der Elektrotechnikkonzern Schneider Electric mit an Bord, für das Datenmanagement und die Cloud-Anbindung die Firma Tapio.

Typische Anwendungsszenarien, die die Beteiligten demonstrieren wollen, sind die vorausschauende Wartung von Maschinen, die Optimierung von Werkzeugstandzeiten und der Einsatz von KI, die Verbesserungspotenziale für Entwicklung und Produktion identifizieren soll. Zudem ist eine Augmented-Reality-Anwendung in Vorbereitung, um jemandem, der sich in die Maschinen einarbeitet, kontextbezogen Informationen in eine Datenbrille einblenden zu können. „Einen Prototyp auf der Basis eines Tablets haben wir bereits“, so Güzel.

Ab dem Sommersemester 2022 werden Master-Studierende im digitalen Holzlabor Praktika absolvieren. Noch dieses Jahr laufen zudem die Informationsveranstaltungen für kleine und mittlere Unternehmen an: „Online und vor Ort sollen sich Interessierte darüber informieren können, was durch eine digitale Nachrüstung möglich wird“, sagt Güzel.

Entscheidendes Wechselspiel: Mitarbeiter des IfW untersuchen das Verhältnis von Materialabtrag und Kühlschmierstoff beim Sägen.

Selbstoptimierung von Tiefbohrprozessen

Simulationen spielen auch in einem weiteren IfW-Projekt eine Rolle, bei dem man das zunächst gar nicht erwarten würde: Es geht um die autonome Selbstoptimierung von Tiefbohrprozessen. Beim Tiefbohren ist die Bohrtiefe sehr viel größer als der Durchmesser der Bohrung. „Der Prozess spielt bei Kühl- und Schmierkanälen eine Rolle oder auch bei Bohrungen, in denen zum Beispiel ein Kolben laufen soll“, erklärt Möhring. „In einer Hydraulik oder in den Hochdruckkomponenten einer Motor-Einspritzanlage dürfen solche Bohrungen keine Risse oder Kerben an der Oberfläche haben, sonst kann das Bauteil versagen.“

Zu solchen Defekten kommt es jedoch, wenn etwa die Temperatur in der Bohrung zu hoch oder der Vorschub zu groß war. Heikel sind solche Bohrungen auch, weil sie erst spät in der Fertigungskette erfolgen, wenn das Bauteil bereits einen sehr hohen Wert hat. Ein Schaden durch das Tiefbohren ist also immer teuer. „Wir wollen ein Bohrsystem entwickeln, das aufgrund der Zustände in der Wirkzone den Prozess selbstständig optimiert und so die maximale Qualität erreicht“, sagt Möhring. Allerdings ist diese Wirkzone, sozusagen die vorderste Front der Bohrung, nicht unmittelbar für Sensoren zugänglich. „Daher haben wir ein Bohrwerkzeug entwickelt, in das Sensoren für Temperatur und Beschleunigung integriert sind. Zudem erfassen wir am Bohrgestänge die auftretenden Kräfte für Vorschub und Drehmoment.“

So eine Simulation für das Sägen ist völliges Neuland. Moderne Rechner stoßen hier an ihre Leistungsgrenzen.

Prof. Hans-Christian Möhring

Doch daraus lassen sich nicht unmittelbar die geeignete Dreh- und Vorschubgeschwindigkeit des Bohrsystems ableiten. „Vielmehr müssen wir den Zerspanungsprozess simulieren und diese Simulation dann als Bindeglied zwischen den Sensordaten und dem Geschehen am Werkstück nutzen, um den Tiefbohrprozess so zu regeln, dass alle Werte innerhalb der Toleranzgrenzen bleiben“, erklärt Möhring. Diesen Ansatz erarbeitet das IfW-Team ebenfalls im Rahmen eines DFG-Schwerpunktprogramms.

Text: Michael Vogel

Prof. Dr. Hans-Christian Möhring, Institut für Werkzeugmaschinen, Universität Stuttgart
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