Neues Therapiekonzept im präklinischen Modell bewiesen

27. Oktober 2016, Nr. 84

Hoffnung bei Erkrankungen des Nervensystems

Der körpereigene Botenstoff “Tumornekrose Faktor” (TNF) spielt eine Schlüsselrolle bei der Immunantwort auf entzündliche Erkrankungen. Antikörper, welche die TNF-Wirkung blockieren, werden denn auch bei etlichen chronischen Autoimmun-Erkrankungen wie etwa Rheuma sehr erfolgreich eingesetzt. Bei Erkrankungen des Zentralnervensystems wie Multipler Sklerose dagegen versagt diese Therapie, obwohl auch hier TNF eine wichtige Rolle spielt. Schon länger wird vermutet, dass diese gegensätzliche Wirkung auf eine unterschiedliche Funktion der beiden Zell-Rezeptortypen (TNFR1, TNFR2) zurückzuführen ist. Biologen der Universitäten Stuttgart und Groningen konnten dies nun bestätigen und mit einem neuen Modell beweisen, dass neurodegenerative Erkrankungen durch rezeptorselektive Medikamente erfolgreich behandelt werden können.

Schon in vorausgehenden Kooperationsprojekten konnten die Arbeitsgruppen um Prof. Klaus Pfizenmaier und Prof. Roland Kontermann am Institut für Zellbiologie und Immunologie der Universität Stuttgart sowie der Universität Groningen anhand von Zell- und Tiermodellen zeigen, dass TNF bei der Anbindung an die Rezeptortypen TNFR1 und TNFR2 unterschiedliche Zellreaktion auslösen kann. So zieht die Anbindung an TNFR1 allgemeine Entzündungsreaktionen und das Absterben von Zellen nach sich. Der Rezeptor TNFR2 dagegen wirkt im zentralen Nervensystem (ZNS) neuroprotektiv und schützt zum Beispiel Nervenzellen bei einem akuten toxischen Reiz vor dem Absterben.

In einer jüngst in der renommierten amerikanischen Fachzeitschrift PNAS veröffentlichten Arbeit*) gelang es den Autoren nun, ihre Hypothese der differenziellen Funktion der beiden TNFR im ZNS nicht nur zu bestätigen, sondern mit einem neuen Modell akuter neurodegenerativer Erkrankungen erstmals den Beweis für eine erfolgreiche Therapie durch rezeptorselektive Intervention zu erbringen. Gleichzeitig entwickelte das IZI Kandidaten-Moleküle, auf deren Basis im Anschluss Medikamente entwickelt werden können.

Neurologische Ausfälle im Gehirn können verhindert werden

Was die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besonders überraschte: Das Absterben bestimmter Nervenzellen im Gehirn aufgrund eines neurotoxischen Reizes kann sowohl über eine Blockade des TNFR1, als auch über eine gezielte Aktivierung des TNFR2 stark reduziert werden, so dass neurologische Ausfälle dieser Hirnregion praktisch vollständig verhindert werden. Und mehr noch: Es zeigte sich, dass auch der über die TNFR1-Hemmung erzielte therapeutische Effekt von der TNFR2-Aktivität abhängig ist. Die vernetzten Signalvorgänge, die dabei in der Zelle ablaufen, stellten die Wissenschaftler in einem Modell vor.

Die eingesetzten Therapeutika-Prototypen sind gentechnisch hergestellte Proteine, Antikörper und speziell modifizierte Abkömmlinge des TNF-Moleküls, die jeweils selektiv an die beiden TNF Rezeptoren andocken, wobei diese Funktion strikt Spezies-spezifisch ist. Ziel des Vorhabens ist es, ein Medikament für den Menschen zu entwickeln.

*) Originalpublikation: Yun Dong,Roman Fischer, Petrus J. W. Naudé, Olaf Maier, Csaba Nyakas, Maëlle Duffey, Eddy A. Van der Zee, Doortje Dekens,Wanda Douwenga, Andreas Herrmann, Eric Guenzi, Roland E. Kontermann, Klaus Pfizenmaier, and Ulrich L. M. Eisel: Essential protective role of tumor necrosis factor receptor 2 in neurodegeneration PNAS 2016 113 (43) 12304-12309; published ahead of print October 10, 2016, doi:10.1073/pnas.1605195113

Kontakt:

Prof. Klaus Pfizenmaier, Universität Stuttgart, Institut für Zellbiologie und Immunologie, Tel. 0049 711 685-66986, E-Mail

Fluoreszenzmikroskopische Aufnahme von differenzierenden Oligodendrozyten; einem schützenden Prozess, der durch den TNFR2 Liganden ausgelöst wird. Foto: Universität Stuttgart/IZI)
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