Lobbying: Gut für die Demokratie?

2. Oktober 2019, Nr. 87

Projekt „Agenden und Interessengruppen“ an der Universität Stuttgart stellt Ergebnisse vor
[Bild: Deutscher Bundestag/Julia Nowak-Katz]

Lobbyismus steht unter dem Generalverdacht, politische Entscheidungen zugunsten einiger privilegierter Akteure – meist aus der Wirtschaft – einseitig zu beeinflussen. Doch könnten Lobbygruppen möglicherweise auch das Gegenteil bewirken und dazu beitragen, dass die Regierenden die Wünsche des Volkes ernst nehmen? Antworten auf diese Frage gibt eine Forschungsgruppe unter der Leitung von Prof. Patrick Bernhagen am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart in dem jetzt abgeschlossenen Projekt „Agenden und Interessengruppen“.

Lobbying hat in Gesellschaft und Medien keinen guten Ruf. Versteht man Lobbygruppen jedoch als Vertreter verschiedenster gesellschaftlicher Interessen, können sie im Idealfall die politische Repräsentation der Bürgerinnen und Bürger verbessern. Das wäre dann der Fall, wenn Verbände und vergleichbare Organisationen die Themen der Bevölkerung im Sinne eines Transmissionsriemens aufgreifen, aufbereiten und in das politische System kommunizieren. Um zu untersuchen, ob sie dies tatsächlich tun, befragte die Forschungsgruppe 1.003 Privatpersonen sowie 119 Lobbyisten dazu, welche Themen ihnen am meisten unter den Nägeln brennen. Die jeweiligen Antworten wurden zu Themenfeldern gebündelt und anschließend mit den rund 300 Gesetzesvorlagen verglichen, die in den Jahren 2016 bis 2018 in den Deutschen Bundestag eingebracht wurden.

Bei der Betrachtung der Ergebnisse fällt zunächst auf, dass die Themen der Bevölkerung im Vergleich zu Lobbygruppen und Gesetzgebung wesentlich konzentrierter sind. So beschäftigte sich die Bevölkerung zur Zeit der Erhebung (Oktober 2017) vor allem mit den Themen Einwanderung (von 16,7 % aller Befragten genannt), Rente (14,6 %), „Wirtschaft allgemein“ (7,2 %), Steuern (4,2 %) und dem Mangel an medizinischem Fachpersonal (3,6 %). Im Vergleich dazu waren die Themenpaletten der Lobbygruppen und der Regierung wesentlich diverser und zugleich spezifischer. So macht das auch für die Lobbyisten sehr wichtige Thema Steuern nur 3,2 % der in dieser Gruppe insgesamt genannten Themen aus. „Das zeigt, dass Lobbygruppen auch Themen in das politische System kommunizieren, die in der Bevölkerung kaum Beachtung finden“, kommentieren Studienleiter Prof. Patrick Bernhagen und sein Mitarbeiter Felix Goldberg. „Dies bedeutet einerseits, dass Sonderinteressen vertreten werden. Andererseits sollten in einer pluralistischen Gesellschaft auch Nischen-Themen vertreten werden können.“

Die Themen der Bevölkerung sind im Vergleich zu Lobbygruppen und Gesetzgebung wesentlich konzentrierter.
Die Themen der Bevölkerung sind im Vergleich zu Lobbygruppen und Gesetzgebung wesentlich konzentrierter.

Tatsächlich ein Transmissionsriemen?

Ob Lobbygruppen tatsächlich als Transmissionsriemen wirken, ist damit allerdings noch nicht gesagt. Dies setzt zusätzlich eine gewisse Kongruenz zwischen den Themen der Lobbyisten und denen der Bevölkerung voraus. Um eine solche Kongruenz nachzuweisen, analysierten die Wissenschaftler am Beispiel von fünf ausgewählten Bereichen, welche Rangordnung die Top-Themen der Bevölkerung bei Lobbyisten und in der Gesetzgebung haben. Hierbei zeigten sich tatsächlich gewisse Überlappungen: So erfuhr zum Beispiel die Einwanderung, das Top-Thema in der Bevölkerung, im Untersuchungszeitraum auch in der Gesetzgebung die verhältnismäßig größte Aufmerksamkeit. Bei den Lobbyisten rangierte sie auf Rang 3. Ähnlich verhält es sich beim Thema Rente. Lediglich im Bereich „medizinisches Fachpersonal“ fehlt die Kongruenz: Das Thema, das insbesondere Lobbygruppen wichtig ist, spielte während des Untersuchungszeitraums in der Gesetzgebung nur eine geringe Rolle.

Vergleich der fünf wichtigsten Themen in der Bevölkerung mit deren Rangordnung bei Lobbyisten und in der Gesetzgebung.
Vergleich der fünf wichtigsten Themen in der Bevölkerung mit deren Rangordnung bei Lobbyisten und in der Gesetzgebung.

Die Studie zeigte weiter, dass die Interessen der Bevölkerung durch Unternehmens- und Arbeitgebergruppen in etwas geringerem Umfang vertreten werden als durch sonstige Lobbygruppen, wie etwa Umwelt- oder Verbraucherverbände. Jedoch ist die Schnittmenge zwischen Unternehmensinteressen und der Gesetzgebung etwas höher. Demnach schaffen es die Nicht-Unternehmensverbände zwar besser, die Themen der Bevölkerung aufzugreifen. Dafür sind Unternehmensverbände etwas erfolgreicher darin, ihre Themen im Gesetzgebungsprozess zu platzieren. „Indem es Themen, die der Bevölkerung wichtig sind, in das politische System einspeist, kann Lobbying also die Funktionalität der repräsentativen Demokratie verbessern“, so das Fazit der Forscher. Zugleich schränke jedoch der Umstand, dass die Lobbygruppen, welche die Themen der Bevölkerung in stärkerem Maße vertreten, die Agenda der Regierung weniger stark beeinflussen als andere Gruppen, die Funktionalität wieder ein.

Fachlicher Kontakt:

Prof. Patrick Bernhagen, Felix Goldberg, Universität Stuttgart, Institut für Sozialwissenschaften, Abt. I Politische Systeme und Politische Soziologie, Tel. +49 711 685-82751, E-Mail

Pakull, Dominic; Goldberg, Felix; Bernhagen, Patrick 2019: Wie viel Bürger steckt in Interessengruppen? Themen-Kongruenz zwischen Bürgern und organisierten Interessen in Deutschland. Working Paper.  

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