Wie kann die Lebensqualität im Stuttgarter Hospitalviertel gesteigert werden? Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und Studierende der Universität Stuttgart haben dazu 2018 ein Pilotprojekt gestartet: „Vom Transit-Raum zum Lebensort. Nachhaltige Quartiersentwicklung im Hospitalviertel. Energie – Mobilität – Lebensqualität“. Gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern des Viertels sowie dem Forum Hospitalviertel e.V., entwickelten sie Ideen, um das Viertel für die Bewohnerinnen und Bewohner lebenswerter zu machen.
In dem Pilotprojekt arbeiteten Forscherinnen und Forscher aus der Stadtplanung, der Energieforschung und den Sozialwissenschaften interdisziplinär zusammen und entwickelten ein konkretes Forschungs- und Transferdesign. Ihr Ziel: die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Bürgerschaft zu fördern. Das Pilotprojekt ist Teil des größeren Projekts „Science for the City in the City of Science“. Das Internationale Zentrum für Kultur- und Technikforschung (IZKT) der Universität Stuttgart hat sich dafür beworben, um Know-how und Wissenstransfer an der Universität zu organisieren.
Schwierige Ausgangslage im Hospitalviertel
Das Quartier steht vor großen Herausforderungen. Trotz seiner zentralen Lage ist es als Stadtteil abgehängt. 5000 Beschäftigte fahren täglich zur Arbeit ins Hospitalviertel, aber nur rund 1000 Bewohnerinnen und Bewohner leben hier. Das Viertel ist ein Transit-Raum. Das schlägt sich in der räumlichen Struktur, den Nutzungsformen und im Straßenverkehr nieder. In der Bevölkerung gibt es 72 unterschiedliche Nationalitäten. Ein-Personen-Haushalte prägen das Bild. Der Anteil der Arbeitslosen und auf Grundsicherung angewiesenen Menschen, die jünger als 65 Jahre sind, liegt um mehr als das Doppelte über dem Stuttgarter Mittel. Aufgrund von Sanierungen beginnen Prozesse der Gentrifizierung. Das bedeutet, wohlhabendere Bevölkerungsschichten verdrängen die ansässige Bevölkerung.
Hier setzte das Pilotprojekt an: Wie wird aus einem Transit-Raum ein lebendiger Ort mit Zukunft? Wie gelingt Beheimatung im Quartier? Wie wird das Hospitalviertel technologisch und soziokulturell fit für die Zukunft? Im Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern entwickelten Studierende und Wissenschaftler*innen konkrete Vorschläge. Ihre Idee: Realexperimente, mit denen sie auf die Möglichkeiten einer zukunftsweisenden Quartiersentwicklung aufmerksam machen.
Studierende entwickeln Konzepte
Begeistert erzählt Elke Uhl, Geschäftsführerin am IZKT: „Mit unserem Projekt wollen wir der Bevölkerung helfen, sich besser im Stadtviertel zu orientieren. Die Studierenden haben sich eine Wegeführung durch Beschilderung, Bodenmarkierungen, Karten oder Monitore überlegt. Damit schaffen sie Wege zu verschiedenen Zielen im und durch das Quartier.“ Eine andere Studierendengruppe hat mobile, photovoltaik betriebene Stationen entworfen. Sie laden dazu ein, sich analog und digital mit der Geschichte der jeweiligen Orte auseinanderzusetzen. „Die Studierenden haben auch neue Wege der Wissenschaftskommunikation getestet“, sagt Uhl. „Sie haben Hashtags über Soziale Medien gestreut und ausgewertet.“ Ein weiterer Vorschlag sind kollektive „E-Vents“, um auf Energiewende, erneuerbare Energie und quartiersverträgliche Mobilitätsformen aufmerksam zu machen. Ein Beispiel wäre ein elektrisches Lastenrad, dass zwei Wohngemeinschaften gemeinsam testen.
Quartiersfest begeistert Bürgerinnen und Bürger
Die Studierenden arbeiteten im Sommersemester 2018 an dem Projekt. Am 12. Juli 2018 stellten sie ihre Ideen auf einem Quartiersfest öffentlich vor. Sie präsentierten ein maßstabsgerecht gebautes Modell des Hospitalviertels und bauten ein „Zukunftszelt“ mit Postern und Filmsequenzen auf. Mithilfe von Fragebögen haben sowohl Erwachsene als auch Kinder ihre Wünsche für das Viertel mitgeteilt.
Elke Uhl freut sich über den Erfolg des Projekts: „Die ‚Stuttgarter Zeitung‘ berichtete, das IZKT wurde mehrfach zu Gesprächen und Fachtagungen eingeladen und Anschlussprojekte wurden auf den Weg gebracht, wie zum Beispiel eine DAAD-Summer School, Stadt – Raum – Demokratie. Transformationspotentiale im Hospitalviertel‘ mit Teilnehmer*innen unter anderem aus Porto, Lima und Buenos Aires.“ Die Summer School fand im Oktober 2020 digital statt.
Erfolgreiche Weiterführung des Projekts
Als ein weiteres Ergebnis des Projekts ist ein Leitfaden für transdisziplinäre Projekte entstanden. Uhl betont: „Am Beispiel unseres Projekts, das inter- und transdisziplinär, explorativ und experimentell, kooperativ und partizipativ ausgerichtet ist, können wir zeigen, warum Kooperationen zwischen Wissenschaft und Bürgerschaft wichtig sind und welche bedeutende Rolle dabei der Wissenstransfer in beide Richtungen spielt.“
Um das Projekt vorzustellen, war das Projektteam zum Beteiligungskongress Baden-Württemberg am 8. Oktober 2020 eingeladen. Aufgrund der Corona-Pandemie musste er ins Jahr 2021 verschoben werden. Dennoch fand eine Online-Auftaktveranstaltung statt. Dort verkündete die Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung Baden-Württemberg, Gisela Erler, den Start des Aufbaus einer digitalen, landesweiten Projektdatenbank. In dieser Datenbank ist das Wissenstransferprojekt präsent – und zur Nachahmung empfohlen.