Herausragende Publikationen am Tag der Forschung ausgezeichnet

17. Juli 2025

Beim Tag der Forschung am 9. Juli präsentierten Wissenschaftler*innen aller zehn Fakultäten herausragende Veröffentlichungen, die mit dem Publikationspreis der Universität Stuttgart ausgezeichnet wurden. Zwei Master-Absolventinnen erhielten für ihre besonders gelungenen Abschlussarbeiten den Prima!Preis.

„Mit dem mit je 2.500 Euro dotierten Publikationspreis ehren wir Forscherinnen und Forscher, die mit ihren herausragenden Publikationen zur Sichtbarkeit unserer Universität beigetragen haben“, betonte der Prorektor für Forschung und nachhaltige Entwicklung, Prof. Manfred Bischoff. „Heute wollen wir etwas zurückgeben und Ihnen zu der Sichtbarkeit verhelfen, die Sie verdienen.“ Bischoff hob die Qualität und Breite der Beiträge hervor und schlug den Bogen zur Wissenschaftsfreiheit, die es zu schützen gelte: „Nur eine freie Wissenschaft gewährt Raum für kreative Forschungsideen, davon profitieren nicht nur Universitäten, sondern die gesamte Gesellschaft.“

Die Publikationen wurden in Kurzvorträgen durch die Laudator*innen und die Wissenschaftler*innen selbst vorgestellt. Letztere ließen von Pappkameraden über Comics bis Video kein Stilmittel aus, um ihre Forschung kurz und unterhaltsam zu erläutern.

Prof. Christiane Weber und Alexandre Kostka (links) beleuchteten die Restaurierung des Straßburger Münsters. Prof. Manfred Bischoff (rechts) gratulierte zum Publikationspreis.

Fakultät 1: Baustellentagebuch des Straßburger Münsters

Dombauhütten sind spezialisierte Werkstätten, die sich um den Bau, die Erhaltung, Restaurierung und Pflege von großen Kathedralen kümmern. Über die Rolle dieser Dombauhütten im europäischen Kulturerbe wird derzeit lebhaft diskutiert. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet ein deutsch-französisches Forschungsprojekt von Prof. Christiane Weber (Institut für Architekturgeschichte, ifag) und Alexandre Kostka (Universität Straßburg): Es beleuchtet die Restaurierung des Straßburger Münsters zu Beginn des 20. Jahrhunderts und verbindet dabei die Geschichte des Bauingenieurwesens, Kulturgeschichte und Geschichte des Denkmalschutzes. Die Forschenden transkribierten das ursprünglich in alter deutscher Kurrentschrift verfasste Baustellentagebuch, übersetzten es ins Französische und versahen es mit Kommentaren. Damit macht die Publikation eine wertvolle historische Quelle für heutige Forscher*innen zugänglich und leistet grundlegende Arbeit für die französische Denkmalpflege.

Publikation: Kostka, Alexandre und Weber, Christiane (Hrsg.): La restauration des fondations du pilier de la tour de la cathédrale de Strasbourg. 2 Bände, Innsbruck University Press, 2024. DOI: 10.15203/99106-124-3-1 und 10.15203/99106-124-3-2.

Jun.-Prof. Aniket Pal forscht zu mechanischen Computern.

Fakultät 2: Computer ohne Elektronik

Vollständig mechanische Computer kommen ohne Elektronik aus, brauchen keinen Strom und können zum Beispiel in der Soft Robotik eingesetzt werden. Dr. Aniket Pal, Juniorprofessor am Institut für Mechanik, und sein Team entwickeln systematische Konstruktionsprinzipien für den Bau solcher Computer. Die Forschenden haben Materialien entwickelt, die winzige mechanische „Impulse" zur Ausführung von Logik verwenden – ähnlich, wie digitale Computer Einsen und Nullen. Diese mechanischen Impulse können ein Netzwerk von federähnlichen Komponenten durchlaufen, die wie Schalter funktionieren und Entscheidungen auf der Grundlage der Impulsmuster treffen. Demonstriert wurde das Prinzip an weichen, autonomen Maschinen, bei denen mechanische Eingaben die Berechnungen steuern und Aktoren auf Hydrogelbasis auslösen.

Publikation: Junghwan Byun, Aniket Pal, Jongkuk Ko und Metin Sitti: Integrated mechanical computing for autonomous soft machines, Nature Communications 04 April 2024.

Die Forschungsgruppe mit Dekanin und Prorektor (von links): Dr. Philipp Rathert, Dr. Sara Weirich, Dr. Pavel Bashtrykov, Thyagarajan T. Chandrasekaran, Dekanin Prof. Cosima Stubenrauch, Prof. Albert Jeltsch, Prorektor Prof. Manfred Bischoff

Fakultät 3: Schutz vor unerwünschter DNA-Aktivität

Thyagarajan T. Chandrasekaran, Doktorand am Institut für Biochemie, zeigte in einer Art Figurentheater mit Barack Obama, Mickymaus und anderen Akteuren, wie epigenetische Proteine in unterschiedliche Rollen schlüpfen. In Kooperation mit weiteren Forschenden der Universitäten Stuttgart und Ulm hat er herausgefunden, dass eine bestimmte Region des Enzyms SETDB1, die sogenannte 3TD-Domäne, eine wichtige Rolle für die Bindung dieses Enzyms an die DNA-Struktur spielt. Die Arbeit vertieft das Verständnis, wie Zellen ihre DNA vor unerwünschter Aktivität schützen und bestimmte Abschnitte dauerhaft deaktivieren.  Dies könnte Krankheiten erklären, die durch eine fehlerhafte DNA-Inaktivierung entstehen (zum Beispiel bestimmte Krebsarten oder genetische Störungen) und zur Entwicklung neuer Therapien und Medikamente beitragen.

Publikation: Thyagarajan T Chandrasekaran, Michel Choudalakis, Alexander Bröhm, Sara Weirich, Alexandra G Kouroukli, Ole Ammerpohl, Philipp Rathert, Pavel Bashtrykov, Albert Jeltsch*: SETDB1 activity is globally directed by H3K14 acetylation via its Triple Tudor Domain, Nucleic Acids Research, 2024, 52, 13690–13705. (IF 16,7)

Ein Teil des Forschungsteams, von links: Prof. Albert Jeltsch, Florian Meyer, Prof. Monilola Olayioye, Prorektor Prof. Manfred Bischoff, Dr. Cristiana Lungu, Prof. Jörn Lausen, Dr. Pavel Bashtrykov

Fakultät 4: Wie sich Tumore der Wachstumskontrolle entziehen

Lisa Brenner, eine ehemalige Doktorandin bei Prof. Monilola Olayioye am Institut für Zellbiologie und Immunologie, Dr. Cristiana Lungu, Prof. Albert Jeltsch und weitere Forschende haben in ihrer Publikation ein unerwartetes Zusammenspiel zwischen den Bindungsmechanismen von Zellen und epigenetischer Regulierung aufgedeckt. Eine wichtige Rolle spielt dabei die die Wahrnehmung der Umwelt durch eine Zelle. „Der Kontakt zur Nachbarzelle verändert die Zelle innerlich“, erklärten die Forschenden. Ihre Arbeit zeigt, wie Epithelgewebe unkontrolliertes Zellwachstum verhindert, ein Prozess, der bei der Krebsentstehung eine zentrale Rolle spielt.

Publikation: Lisa-Marie Brenner, Florian Meyer, Haiqian Yang, Anja R. Köhler, Pavel Bashtrykov, Ming Guo, Albert Jeltsch, Cristiana Lungu & Monilola A. Olayioye: Repeat DNA Methylation is Modulated by Adherens Junction Signaling. Communications Biology 2024, DOI: 10.1038/s42003-024-05990-4

Von links: Dekan Prof. Kai Peter Birke, Dr. Sebastian Brandhofer, Prof. Ilia Polian, Prof. Manfred Bischoff

Fakultät 5: Quantenberechnungen mit weniger Qubits

Ein Forschungsaufenthalt von Sebastian Brandhofer, damals Doktorand bei Prof. Ilia Polian (Institut für Technische Informatik), am Forschungszentrum IBM Quantum in den USA mündete in eine Publikation, die sich mit der Partitionierung von Quantenschaltungen befasst. Die zentrale Frage lautete: Wie kann eine Quantenberechnung auf einer Plattform mit weniger Qubits laufen, als sie eigentlich benötigt? Hierzu betrachtete Brandhofer so genannte Gate- und Wire-Cuts (zwei verschiedene Arten der Trennung) erstmals gemeinsam und integrierte sie in ein formales Modell. Dies ermöglichte gegenüber früheren Ansätzen eine Effizienzsteigerung von 40 bis 60 Prozent, was eine deutliche Reduktion der Kosten nach sich zieht. 

Publikation: Sebastian Brandhofer, Ilia Polian and Kevin Krsulich: Optimal Partitioning of Quantum Circuits Using Gate Cuts and Wire Cuts, IEEE Transactions on Quantum Engineering, vol. 5, pp. 1-10, 2024, Art no. 2500110. (doi: 10.1109/TQE.2023.3347106).

Hannes Mandler beschäftigte sich mit der Transparenz von KI.

Fakultät 6: Transparente Entscheidungen für KI

Warum trifft Künstliche Intelligenz (KI) manchmal so seltsame Entscheidungen? Die Frage nach der Transparenz von KI steckt hinter der Arbeit von Doktorand Hannes Mandler und Prof. Bernhard Weigand am Institut für Thermodynamik der Luft- und Raumfahrt (ITLR). Mandler untersuchte, welche Eingangsgrößen neuronale Netze, die KI-Anwendungen zugrunde liegen, als wichtig erachten und stellte dafür verschiedene Definitionen von Wichtigkeit gegenüber. Er fand dabei heraus, dass einige davon nicht mit der für Menschen intuitiven Definition übereinstimmen. Folglich führen verschiedene Methoden auch zu unterschiedlichen Erklärungen desselben Modells – Trugschlüsse inklusive, weil Anwender eine angenehme Erklärung der geeigneten vorziehen.

Publikation: Hannes Mandler und Bernhard Weigand: A review and benchmark of feature importance methods for neural networks, ACM Computer Surveys, Vol. 56, pp 1-30.

Prof. Alois M. Herkommer präsentierte die Forschungsarbeit.

Fakultät 7: Autofokus für Endoskope

Antriebe, die feiner sind als ein Haar: Photonischer 3D-Druck erlaubt extrem kleine Objekte – zum Beispiel einen magnetischen Mikroaktuator, der auf kleinster Skala Bewegungen erzeugen kann und der Bewegungssteuerung in der Medizintechnik dient. Florian Rothermel, Doktorand am Institut für Technische Optik, entwickelte neuartige Lösungen für den Einsatz der Zwei-Photonen-Polymerisation (2PP) zur Herstellung eines solchen magnetischen Mikroaktuators.  Die Technologie soll per 3D-Druck hergestellte mikrooptische Anwendungen ermöglichen mit dem Ziel, mechanische Funktionen wie Autofokus, Zoom oder Scan in endoskopischen Anwendungen zu erreichen.

Publikation: Florian Rothermel, Simon Thiele, Chris Jung, Anna Krapf, Sven Erik Ilse, Benoit Merle, Harald Giessen, Alois M. Herkommer: Fabrication and Characterization of a Magnetic 3D-printed Microactuator, Advanced Materials Technologies, 09 April 2024.

Prof. Udo Seifert stellte die Forschungsergebnisse vor.

Fakultät 8: Weniger Energieverlust in komplexen Systemen

Komplexe Systeme wie molekulare Motoren operieren unter Nichtgleichgewichtsbedingungen und führen damit zwangsläufig zu Verlusten von freier Energie – und zwar umso mehr, je präziser das System arbeitet. Dr. Julius Degünther, Dr. Jann van der Meer und Prof. Udo Seifert vom Institut für Theoretische Physik II haben eine Theorie entwickelt, die es erstmals erlaubt, diese Verluste räumlich und zeitlich zu lokalisieren, selbst wenn nur vergröberte Informationen über das komplexe System zugänglich sind. In der Arbeit haben die Autoren diese Theorie für zeitabhängiges Treiben entwickelt und am Beispiel der kraftinduzierten Entfaltung eines Proteins illustriert.

Publikation: Julius Degünther, Jann van der Meer, Udo Seifert: General theory for localizing the where and when of entropy production meets single-molecule experiments, Proceedings of the National Academy of Science, 13. 08.2024, Vol. 121 (33), e2405371121. 

Selina Seibel (links) nimmt Glückwünsche von Prof. Kirsten Dickhaut, Direktorin des Instituts für Literaturwissenschaft, und Prorektor Manfred Bischoff entgegen.

Fakultät 9: Verbergen als ästhetische Kategorie

Die bisherige Forschung zu Pierre Corneilles Tragödie Pompée (1641) hat sich vornehmlich auf Fragen der politischen Legitimation, der Figurenpsychologie und der klassischen Stoffadaption konzentriert.  Selina Seibel am Institut für Literaturwissenschaft rückt erstmals die dissimulatio artis in Corneilles Werk in den Mittelpunkt, also die gezielte und kunstvolle Täuschung als Ausdruck von Macht. In der Beziehung zwischen Cäsar, Ptolemäus und Kleopatra zeigt sich ein Spiel aus geschickten rhetorischen Strategien, bei dem die Grenzen zwischen politischem Kalkül und persönlicher Moral verschwimmen. Seibel zeigt, wie das Prinzip der Dissimulation nicht nur das dramatische Geschehen strukturiert, sondern auch als ästhetische Kategorie fungiert und damit faktisch als konstitutives Prinzip frühneuzeitlicher Theatergenese verstanden werden muss.

Publikation: Selina Seibel: Vers pompeux – cadavre oratoire. Rhetorische, galante und dramaturgische Ausformungen der dissimulatio artis im frühneuzeitlichen Theater am Beispiel von Corneilles Pompée, de Gruyter 2024.

Von links: Prorektor Prof. Manfred Bischoff, Stefan Papenkort, Dekanin Prof. Kristina Kögler, Julian Geldner, Simon Kiem

Fakultät 10: Realistischere Organmodelle für glatte Muskulatur

Wie viel Dehnung hält eine volle Blase aus und was geschieht dabei auf muskulärer Ebene? Diese Frage illustriert vereinfacht die Arbeit von Julian Geldner am Institut für Sportwissenschaft. Gemeinsam mit seinen Koautor*innen hat er die mechanischen Eigenschaften der Harnblasenwand uniaxial sowie erstmals auch biaxial (in zwei Richtungen) untersucht, um besser zu verstehen, wie das Gewebe sich bei Dehnung verhält. Die Ergebnisse ermöglichen ein detaillierteres Verständnis des Zusammenhangs zwischen Deformation und aktiver Spannungserzeugung und helfen, realistischere Organmodelle für glatte Muskulatur zu erstellen. Die Forschenden konnten ein faserverstärktes Materialmodell entwickeln, das dem Blasengewebe entspricht. Auf einer solchen Basis könnten mit Hilfe des 3D-Bioprinting Ersatzorgane geschaffen werden, was einmal den Verbrauch von Spenderorganen reduzieren soll.

Publikation: Geldner, Julian, Papenkort, Stefan, Kiem, Simon, Böl, Markus und Siebert, Tobias (2024): Active and passive material response of urinary bladder smooth muscle tissue in uniaxial and biaxial tensile testing. Acta Biomater., doi.org/10.1016/j.actbio.2024.12.045.

Dr. Grazia Lamanna (rechts) gratuliert Nandni Shah, einer der beiden des Prima!Preis-Preisträgerinnen. Die zweite Preisträgerin, Tanzila Ahmed, schaltete sich per Videobotschaft dazu.

Prima!Preis für herausragende Master-Absolventinnen

Am Tag der Forschung wurde auch wieder der Prima!Preis vergeben. Die mit insgesamt 1.000 Euro dotierte Auszeichnung ehrt Absolventinnen der Universität für ihre herausragenden Masterarbeiten. Der Preis wurde in diesem Jahr von der „Stiftung Universität Stuttgart“ gefördert und ging an zwei junge Frauen aus der Fakultät I, die je 500 Euro erhielten. Die Gleichstellungsbeauftragte der Universität, Dr. Grazia Lamanna, stellte die Preisträgerinnen vor. Nandni Shah befasste sich in ihrer Masterarbeit „Configured Urban Informality – Understanding the Dynamics of Planning: The case of Ahmedabad” mit der Weiterentwicklung informeller Siedlungen in Ahmedabad, der fünftgrößten Stadt Indiens. Dort hat sich – vorrangig aus Gründen religiöser Diskriminierung – eine informelle Siedlung mit ghettoartigem Charakter herausgebildet. Nandni Shas Erkenntnis aus der Fallstudie: „Bei der Sanierung informeller Siedlungen darf man den Menschen keine formellen Planungskonzepte überstülpen, sondern muss die informellen Strukturen integrieren.“ Tanzila Ahmed wurde für ihre Masterarbeit „Women-led Upgrading Processes in Informal settlements. The Case of Freedom Square, Gobabis“ ausgezeichnet. Im Mittelpunkt stand die Rolle von Frauen beim Aufwertungsprozess von informellen Siedlungen am Beispiel der schnell wachsenden Siedlung „The Freedom Square“ in Gobabis/Namibia.

Kontakt

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Lena Jauernig

 

Redakteurin Wissenschaftskommunikation / Wissenschaftlicher Nachwuchs

 

Hochschulkommunikation

Keplerstraße 7, 70174 Stuttgart

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