„Mit dem mit je 2.500 Euro dotierten Publikationspreis ehren wir Forscherinnen und Forscher, die mit ihren herausragenden Publikationen zur Sichtbarkeit unserer Universität beigetragen haben“, betonte der Prorektor für Forschung und nachhaltige Entwicklung, Prof. Manfred Bischoff. „Heute wollen wir etwas zurückgeben und Ihnen zu der Sichtbarkeit verhelfen, die Sie verdienen.“ Bischoff hob die Qualität und Breite der Beiträge hervor und schlug den Bogen zur Wissenschaftsfreiheit, die es zu schützen gelte: „Nur eine freie Wissenschaft gewährt Raum für kreative Forschungsideen, davon profitieren nicht nur Universitäten, sondern die gesamte Gesellschaft.“
Die Publikationen wurden in Kurzvorträgen durch die Laudator*innen und die Wissenschaftler*innen selbst vorgestellt. Letztere ließen von Pappkameraden über Comics bis Video kein Stilmittel aus, um ihre Forschung kurz und unterhaltsam zu erläutern.
Fakultät 1: Baustellentagebuch des Straßburger Münsters
Dombauhütten sind spezialisierte Werkstätten, die sich um den Bau, die Erhaltung, Restaurierung und Pflege von großen Kathedralen kümmern. Über die Rolle dieser Dombauhütten im europäischen Kulturerbe wird derzeit lebhaft diskutiert. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet ein deutsch-französisches Forschungsprojekt von Prof. Christiane Weber (Institut für Architekturgeschichte, ifag) und Alexandre Kostka (Universität Straßburg): Es beleuchtet die Restaurierung des Straßburger Münsters zu Beginn des 20. Jahrhunderts und verbindet dabei die Geschichte des Bauingenieurwesens, Kulturgeschichte und Geschichte des Denkmalschutzes. Die Forschenden transkribierten das ursprünglich in alter deutscher Kurrentschrift verfasste Baustellentagebuch, übersetzten es ins Französische und versahen es mit Kommentaren. Damit macht die Publikation eine wertvolle historische Quelle für heutige Forscher*innen zugänglich und leistet grundlegende Arbeit für die französische Denkmalpflege.
Publikation: Kostka, Alexandre und Weber, Christiane (Hrsg.): La restauration des fondations du pilier de la tour de la cathédrale de Strasbourg. 2 Bände, Innsbruck University Press, 2024. DOI: 10.15203/99106-124-3-1 und 10.15203/99106-124-3-2.
Fakultät 2: Computer ohne Elektronik
Vollständig mechanische Computer kommen ohne Elektronik aus, brauchen keinen Strom und können zum Beispiel in der Soft Robotik eingesetzt werden. Dr. Aniket Pal, Juniorprofessor am Institut für Mechanik, und sein Team entwickeln systematische Konstruktionsprinzipien für den Bau solcher Computer. Die Forschenden haben Materialien entwickelt, die winzige mechanische „Impulse" zur Ausführung von Logik verwenden – ähnlich, wie digitale Computer Einsen und Nullen. Diese mechanischen Impulse können ein Netzwerk von federähnlichen Komponenten durchlaufen, die wie Schalter funktionieren und Entscheidungen auf der Grundlage der Impulsmuster treffen. Demonstriert wurde das Prinzip an weichen, autonomen Maschinen, bei denen mechanische Eingaben die Berechnungen steuern und Aktoren auf Hydrogelbasis auslösen.
Fakultät 3: Schutz vor unerwünschter DNA-Aktivität
Thyagarajan T. Chandrasekaran, Doktorand am Institut für Biochemie, zeigte in einer Art Figurentheater mit Barack Obama, Mickymaus und anderen Akteuren, wie epigenetische Proteine in unterschiedliche Rollen schlüpfen. In Kooperation mit weiteren Forschenden der Universitäten Stuttgart und Ulm hat er herausgefunden, dass eine bestimmte Region des Enzyms SETDB1, die sogenannte 3TD-Domäne, eine wichtige Rolle für die Bindung dieses Enzyms an die DNA-Struktur spielt. Die Arbeit vertieft das Verständnis, wie Zellen ihre DNA vor unerwünschter Aktivität schützen und bestimmte Abschnitte dauerhaft deaktivieren. Dies könnte Krankheiten erklären, die durch eine fehlerhafte DNA-Inaktivierung entstehen (zum Beispiel bestimmte Krebsarten oder genetische Störungen) und zur Entwicklung neuer Therapien und Medikamente beitragen.
Fakultät 4: Wie sich Tumore der Wachstumskontrolle entziehen
Lisa Brenner, eine ehemalige Doktorandin bei Prof. Monilola Olayioye am Institut für Zellbiologie und Immunologie, Dr. Cristiana Lungu, Prof. Albert Jeltsch und weitere Forschende haben in ihrer Publikation ein unerwartetes Zusammenspiel zwischen den Bindungsmechanismen von Zellen und epigenetischer Regulierung aufgedeckt. Eine wichtige Rolle spielt dabei die die Wahrnehmung der Umwelt durch eine Zelle. „Der Kontakt zur Nachbarzelle verändert die Zelle innerlich“, erklärten die Forschenden. Ihre Arbeit zeigt, wie Epithelgewebe unkontrolliertes Zellwachstum verhindert, ein Prozess, der bei der Krebsentstehung eine zentrale Rolle spielt.
Fakultät 5: Quantenberechnungen mit weniger Qubits
Ein Forschungsaufenthalt von Sebastian Brandhofer, damals Doktorand bei Prof. Ilia Polian (Institut für Technische Informatik), am Forschungszentrum IBM Quantum in den USA mündete in eine Publikation, die sich mit der Partitionierung von Quantenschaltungen befasst. Die zentrale Frage lautete: Wie kann eine Quantenberechnung auf einer Plattform mit weniger Qubits laufen, als sie eigentlich benötigt? Hierzu betrachtete Brandhofer so genannte Gate- und Wire-Cuts (zwei verschiedene Arten der Trennung) erstmals gemeinsam und integrierte sie in ein formales Modell. Dies ermöglichte gegenüber früheren Ansätzen eine Effizienzsteigerung von 40 bis 60 Prozent, was eine deutliche Reduktion der Kosten nach sich zieht.
Fakultät 6: Transparente Entscheidungen für KI
Warum trifft Künstliche Intelligenz (KI) manchmal so seltsame Entscheidungen? Die Frage nach der Transparenz von KI steckt hinter der Arbeit von Doktorand Hannes Mandler und Prof. Bernhard Weigand am Institut für Thermodynamik der Luft- und Raumfahrt (ITLR). Mandler untersuchte, welche Eingangsgrößen neuronale Netze, die KI-Anwendungen zugrunde liegen, als wichtig erachten und stellte dafür verschiedene Definitionen von Wichtigkeit gegenüber. Er fand dabei heraus, dass einige davon nicht mit der für Menschen intuitiven Definition übereinstimmen. Folglich führen verschiedene Methoden auch zu unterschiedlichen Erklärungen desselben Modells – Trugschlüsse inklusive, weil Anwender eine angenehme Erklärung der geeigneten vorziehen.
Fakultät 7: Autofokus für Endoskope
Antriebe, die feiner sind als ein Haar: Photonischer 3D-Druck erlaubt extrem kleine Objekte – zum Beispiel einen magnetischen Mikroaktuator, der auf kleinster Skala Bewegungen erzeugen kann und der Bewegungssteuerung in der Medizintechnik dient. Florian Rothermel, Doktorand am Institut für Technische Optik, entwickelte neuartige Lösungen für den Einsatz der Zwei-Photonen-Polymerisation (2PP) zur Herstellung eines solchen magnetischen Mikroaktuators. Die Technologie soll per 3D-Druck hergestellte mikrooptische Anwendungen ermöglichen mit dem Ziel, mechanische Funktionen wie Autofokus, Zoom oder Scan in endoskopischen Anwendungen zu erreichen.
Fakultät 8: Weniger Energieverlust in komplexen Systemen
Komplexe Systeme wie molekulare Motoren operieren unter Nichtgleichgewichtsbedingungen und führen damit zwangsläufig zu Verlusten von freier Energie – und zwar umso mehr, je präziser das System arbeitet. Dr. Julius Degünther, Dr. Jann van der Meer und Prof. Udo Seifert vom Institut für Theoretische Physik II haben eine Theorie entwickelt, die es erstmals erlaubt, diese Verluste räumlich und zeitlich zu lokalisieren, selbst wenn nur vergröberte Informationen über das komplexe System zugänglich sind. In der Arbeit haben die Autoren diese Theorie für zeitabhängiges Treiben entwickelt und am Beispiel der kraftinduzierten Entfaltung eines Proteins illustriert.
Fakultät 9: Verbergen als ästhetische Kategorie
Die bisherige Forschung zu Pierre Corneilles Tragödie Pompée (1641) hat sich vornehmlich auf Fragen der politischen Legitimation, der Figurenpsychologie und der klassischen Stoffadaption konzentriert. Selina Seibel am Institut für Literaturwissenschaft rückt erstmals die dissimulatio artis in Corneilles Werk in den Mittelpunkt, also die gezielte und kunstvolle Täuschung als Ausdruck von Macht. In der Beziehung zwischen Cäsar, Ptolemäus und Kleopatra zeigt sich ein Spiel aus geschickten rhetorischen Strategien, bei dem die Grenzen zwischen politischem Kalkül und persönlicher Moral verschwimmen. Seibel zeigt, wie das Prinzip der Dissimulation nicht nur das dramatische Geschehen strukturiert, sondern auch als ästhetische Kategorie fungiert und damit faktisch als konstitutives Prinzip frühneuzeitlicher Theatergenese verstanden werden muss.
Fakultät 10: Realistischere Organmodelle für glatte Muskulatur
Wie viel Dehnung hält eine volle Blase aus und was geschieht dabei auf muskulärer Ebene? Diese Frage illustriert vereinfacht die Arbeit von Julian Geldner am Institut für Sportwissenschaft. Gemeinsam mit seinen Koautor*innen hat er die mechanischen Eigenschaften der Harnblasenwand uniaxial sowie erstmals auch biaxial (in zwei Richtungen) untersucht, um besser zu verstehen, wie das Gewebe sich bei Dehnung verhält. Die Ergebnisse ermöglichen ein detaillierteres Verständnis des Zusammenhangs zwischen Deformation und aktiver Spannungserzeugung und helfen, realistischere Organmodelle für glatte Muskulatur zu erstellen. Die Forschenden konnten ein faserverstärktes Materialmodell entwickeln, das dem Blasengewebe entspricht. Auf einer solchen Basis könnten mit Hilfe des 3D-Bioprinting Ersatzorgane geschaffen werden, was einmal den Verbrauch von Spenderorganen reduzieren soll.
Prima!Preis für herausragende Master-Absolventinnen
Am Tag der Forschung wurde auch wieder der Prima!Preis vergeben. Die mit insgesamt 1.000 Euro dotierte Auszeichnung ehrt Absolventinnen der Universität für ihre herausragenden Masterarbeiten. Der Preis wurde in diesem Jahr von der „Stiftung Universität Stuttgart“ gefördert und ging an zwei junge Frauen aus der Fakultät I, die je 500 Euro erhielten. Die Gleichstellungsbeauftragte der Universität, Dr. Grazia Lamanna, stellte die Preisträgerinnen vor. Nandni Shah befasste sich in ihrer Masterarbeit „Configured Urban Informality – Understanding the Dynamics of Planning: The case of Ahmedabad” mit der Weiterentwicklung informeller Siedlungen in Ahmedabad, der fünftgrößten Stadt Indiens. Dort hat sich – vorrangig aus Gründen religiöser Diskriminierung – eine informelle Siedlung mit ghettoartigem Charakter herausgebildet. Nandni Shas Erkenntnis aus der Fallstudie: „Bei der Sanierung informeller Siedlungen darf man den Menschen keine formellen Planungskonzepte überstülpen, sondern muss die informellen Strukturen integrieren.“ Tanzila Ahmed wurde für ihre Masterarbeit „Women-led Upgrading Processes in Informal settlements. The Case of Freedom Square, Gobabis“ ausgezeichnet. Im Mittelpunkt stand die Rolle von Frauen beim Aufwertungsprozess von informellen Siedlungen am Beispiel der schnell wachsenden Siedlung „The Freedom Square“ in Gobabis/Namibia.
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Lena Jauernig
Redakteurin Wissenschaftskommunikation / Wissenschaftlicher Nachwuchs