Mit den herausragenden Publikationen werde die ganze Breite und Vielfalt der Forschung an der Universität Stuttgart abgebildet, sagte Prof. Manfred Bischoff, Prorektor Forschung und wissenschaftlicher Nachwuchs, in seiner Begrüßung, und er betonte: „Wir wollen mit dem Tag der Forschung herausragende Stuttgarter Publikationen, besonders diejenigen des wissenschaftlichen Nachwuchses sichtbarer machen.“ Die mit je 2500 Euro dotierten Publikationspreise wurden für die Jahre 2021 und 2022 verliehen. Darüber hinaus wurde eine herausragende Absolventin der Universität mit dem PRIMA!-Preis 2022 ausgezeichnet. Wie schon in den letzten Jahren, wurden die Publikationen zunächst von den Dekanen der Fakultäten gewürdigt und anschließend von den Preisträgerinnen und Preisträgern auf sowohl informative als auch unterhaltsame Weise vorgestellt.
Städtebau und Diskurs
Viele Einreichungen gab es in allen Fakultäten. „Der Preis hat sich einen Stellenwert erarbeitet“, befand Prof. Jan Knippers, Dekan der Fakultät Architektur und Stadtplanung, der in die Arbeiten von Prof. Ulrike Böhm vom Städtebau-Institut und von Leo Herrmann vom Institut für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen einführte. Da ist zum einen ein Buch entstanden, das die überraschend aktuellen Ansätze des brasilianischen Stadtplaners Francisco Prestes Maia aufgreift, der schon in den 1930er-Jahren Verkehr, Freiraum und Architektur in São Paolo zusammenbrachte. Und da wurde zum anderen das 50-jährige Bestehen der Zeitschrift ARCH+ genutzt, um die komplexen Verflechtungen von Innovationen – unter anderem in den Bereichen Nachhaltigkeit, Ökologie, Digitalisierung, bezahlbares Wohnen – anhand des Architekturdiskurses zu untersuchen.
Von schnellen Tieren und stabilen Böden
Er war schon im irischen Radio gefragt – Dr. Michael Günther vom Institut für Modellierung und Simulation Biomechanischer Systeme. Kein Wunder, hat das Thema rund um die maximale Laufgeschwindigkeit bei Mensch und Tier doch auch Unterhaltungspotenzial. Um die Höchstgeschwindigkeit beim Laufen auf Beinen zu untersuchen, wurde ein biomechanisches Modell entwickelt.
Der Biomineralisierung hat sich Dr. Felix Weinhardt vom Lehrstuhl für Hydromechanik und Hydrosystemmodellierung am Institut für Wasser- und Umweltsystemmodellierung angenommen. Technisch angewendet, biete diese eine nachhaltige Möglichkeit, um Böden zu stabilisieren oder auch im Untergrund Leckagen zu sanieren, führte der Preisträger aus.
Abbaubare Fischernetze und besondere Katzen
Aus der Fakultät Chemie führte David Hunger vom Institut für Physikalische Chemie am Beispiel einer „quantenmechanischen Katze, die davon träumt, aktiv zu sein“, in seine Arbeit ein, die sich mit der Speicherung von Quantenzuständen bei Raumtemperatur beschäftigt, und dabei auf organische Radikale setzt.
Die inzwischen schon mit einem Patent geschützte Arbeit von Ayla Sirin-Sariaslan vom Institut für Polymerchemie könnte unter anderem etwa dazu beitragen, dass Fischernetze aus Kunststoffen zwar stabil sind, sich nach einer gewissen Zeit im Meerwasser aber abbauen.
Vom Morden und Tauchen
„Ich bin eine Massenmörderin“, sagte Dr. Nadine Pollak vom Institut für Zellbiologie und Immunologie nicht ohne Stolz, ist die Wissenschaftlerin doch hinter jenen „Töchtern“ von Krebszellen her, die eine Resistenz gegen Krebsmedikamente ererbt haben.
Es war ein Zufall, der Prof. Franz Brümmer und Dr. Ralph-Walter Müller vom Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme und ihre Mitstreiter von der Funktionseinheit Biodiversität und Wissenschaftliches Tauchen bei einem Tauchgang in Ägypten zu einem Schiffswrack führte, auf dem sich Kunststoff befand, dessen Potential sie aber sofort erkannten: „Wir wissen um das genaue Datum, wann das Schiff gesunken ist – nämlich am 29. Juni 1993“, erklärte Brümmer die Besonderheit. Der Vergleich von Kunststoffen am Sandstrand und jenen aus den Tiefen des Meers wird so nämlich noch aussagekräftiger.
Klare Nachrichten und ein Fußballspiel
Marvin Geiselhart hat sich der zuverlässigen Kommunikation angenommen. Verrauschte Nachrichten sind das Metier des Wissenschaftlers vom Institut für Nachrichtentechnik, er decodiert sie.
Zur Freude aller Fußballfans bediente sich Prof. Steffen Staab vom Institut für Parallele und Verteilte Systeme beim Erklären seiner preiswürdigen Arbeit, die sich der KI bedient, um Graphenprobleme zu lösen, des Fußballspiels: Knoten standen für Spieler, Kanten für einen Pass.
Im Sog schwarzer Löcher
Schwarze Löcher und deren Umgebung haben es Aaron Bryant vom Deutschen SOFIA Institut am Institut für Raumfahrtsysteme angetan. Seine Arbeit wurde in der Fachwelt so interessiert aufgenommen, dass er um ein Review gebeten wurde, verriet Prof. Nico Sneeuw, Prodekan der Fakultät Luft- und Raumfahrttechnik und Geodäsie.
Dr. Maren Scheel vom Institut für Luftfahrtantriebe wurde zu ihrer Arbeit zu Leichtbaumaterialien ausgezeichnet, konnte selbst an der Veranstaltung aber leider nicht teilnehmen.
Ein Weltrekord und Tiefenschärfe
Die Industrie hat schon Interesse bekundet. Immerhin handelt es sich um so etwas wie einen Weltrekord. Daniel Holder vom Institut für Strahlwerkzeuge hat es geschafft, die Abtragungsrate eines Hochleistungs-Ultrakurzzeitlasers enorm zu steigern.
Preisträgerkollege Simon Hartlieb, Christian Schober und Tobias Haist vom Institut für Technische Optik, stellten ihre neue Methode zur hochgenauen Einzelbild-Tiefenmessung vor.
Top in Mathe und Physik
Dr. Teresa Conde vom Institut für Algebra und Zahlentheorie hat mehrere offene Probleme aus der Algebra gelöst, und Prof. Ingo Steinwart, der Dekan der Fakultät Mathematik und Physik betonte, dass diese Lösung mithilfe eigens entwickelter Techniken gelungen sei.
Viele interessante Techniken zeichnet auch die Publikation zu thermodynamischer Inferenz aus, deren Preisträger Jann van der Meer und Benjamin Ertel am II. Institut für Theoretische Physik forschen.
Von alten Römern zur Gegenwartsliteratur
Dr. Kevin Kempke vom Institut für Literaturwissenschaft hat sich für seine Arbeit den Vorlesungsszenen der Gegenwartsliteratur angenommen und am Beispiel der Frankfurter Poetikvorlesungen eine Betrachtung zu den ästhetischen, medialen und institutionellen Eigenheiten dieser Vorlesungsgattung erstellt.
„Wir sind die Römer, Widerstand ist zwecklos“, fasste Dr. Jonas Scherr vom Historischen Institut seine Arbeit schlagfertig zusammen, in der er sich mit Polybios, der Gesandtschaft von 156/155 vor Christus und der Imperialismustheorie des Panaitios beschäftigte.
Digitalisierung und Virtual Reality
Für Unternehmen lohnt es sich, in die digitale Geschäftsfähigkeit zu investieren, das ist die Kurzzusammenfassung der prämierten Arbeit von Prof. Christina Kühnl vom Betriebswirtschaftlichen Institut. Der Unternehmenserfolg wird gesteigert, von den Kunden wird das Unternehmen innovativer wahrgenommen.
Mit virtuellen Unterrichtsszenarien in der Lehrpersonenbildung haben sich Katharina Kunz und Bernd Zinn vom Institut für Erziehungswissenschaft beschäftigt. Sie sind dabei auf eine hohe Akzeptanz gestoßen und liefern mit ihrer Arbeit Anregungen zur Konzeptionierung und Optimierung beim Einsatz virtueller Lernumgebungen.
Einfach Prima
Der mit 1000 Euro dotierte Prima!-Preis, der herausragende Abschlussarbeiten von Absolventinnen der Universität würdigt und anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des ersten Diplomabschlusses einer Frau an der damaligen Technischen Hochschule Stuttgart ins Leben gerufen wurde, ging an Alexa Braun. Die Gleichstellungsbeauftragte, Dr. Grazia Lamanna, würdigte die Preisträgerin, die am Historischen Institut in ihrer Masterarbeit der Frage nachging „Digital Humanities: disziplinäre Einheit oder multidisziplinäres Feld?“ und die Entwicklung und Institutionalisierung der Digital Humanities als Disziplin untersuchte.
Nach einem an Informationen reichen Nachmittag wurde in den Campus Beach geladen. Und vielleicht wurde da ja auch der Wunsch von Prof. Manfred Bischoff umgesetzt. Der Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs hatte sich für den Abschluss des Tags der Forschung gewünscht, dass sich die Preisträgerinnen und Preisträger informell austauschen und vielleicht gar zu neuen, interdisziplinären Arbeiten zusammenfinden mögen – ganz im Sinne des Stuttgarter Wegs.