Prof. Dr. Stefan Legewie

Wie Zellen Entscheidungen treffen

Neu an der Uni

Der Systembiologe Prof. Stefan Legewie kombiniert Zellbiologie, Informatik, Biophysik und Mathematik, um komplexe biologische Datensätze ganzheitlich zu analysieren.
[Foto: Universität Stuttgart, Uli Regenscheit]

Wie gehen Zellen Entscheidungen ein, wenn sich die Umwelt verändert und wie wird die Aktivität von Genen gesteuert? Diese Fragen spielen in der Krebsforschung eine wichtige Rolle. Stefan Legewie, neuer Professor für Systembiologie an der Universität Stuttgart, möchte diese Prozesse verstehen und setzt dabei auf mathematische Modellierung und Künstliche Intelligenz. „Wir beschäftigen uns zum einen mit Signalübertragungskaskaden, die Informationen von der Zellmembran in den Zellkern weiterleiten, und zum zweiten mit der Prozessierung, also der Veränderung von RNA“, fasst Legewie seine Forschungsinteressen zusammen. „In der Krebsforschung zum Beispiel – im Vordergrund stehen insbesondere Brustkrebszelllinien – beschäftigen wir uns mit einem Signalweg, der eine tumor-suppressive Wirkung hat, das heißt, er blockiert den Tumor.“ 

Vorstellen kann man sich diesen Signalweg so: Ein kleines Protein, das Hormon TGFß, dockt an die Rezeptoren auf der Zelloberfläche einer normalen Zelle an und löst dabei enzymkatalysierte Reaktionen aus, die das Signal in den Zellkern weiterleiten. Dadurch wird die Zelle so stimuliert, dass das Wachstum des Gewebes gebremst wird. „Der Signalweg ist also wichtig für die Homöostase, für das Gleichgewicht des Gewebes. Verändert er sich, dann kann das Hormon das Wachstum nicht mehr blockieren. Dann kommt es zu einem überschießenden Wachstum der Zellen und es entsteht Krebs.“

 

Kontrolle einer Agarplatte mit E. Coli-Kulturen

Dabei schalten die Zellen den Signalweg nicht komplett aus, sondern verändern ihn. Dementsprechend kann der Signalweg nicht nur das Zellwachstum stoppen, er kann auch die Zellen zum Wandern anregen. Bei Tumoren führt dies zu Metastasen an anderen Stellen im Körper. „Wir wollen verstehen, wie diese Spezifität, also das Verhalten des Signalwegs geändert wird. Allerdings verhalten sich nicht alle Zellen gleich: In einer Zellpopulation stoppen einige das Wachstum, während andere migrieren, manche machen auch beides.

 „Daher analysieren wir neben verschiedenen Stadien der Tumorentwicklung auch eine große Zahl einzelner Zellen und nutzen die Heterogenität, um zu verstehen, in welche Richtung sich das Verhalten der Zelle entwickelt," sagt Legewie. Dabei helfen mathematische Methoden. Denn so unpräzise die Zellen bei einem bestimmten Hormonstimulus auch reagieren, so präzise ist doch die Prozentzahl, wie viele Zellen reagieren: „Es braucht einen kritischen Schwellenwert an Stimulation, dann wird der Schalter umgelegt und die Zelle entscheidet, sich zu teilen. Ziel unserer Grundlagenforschung ist es, Biomarker zu finden, mit denen man den Prozess der Tumorentstehung und Metastasierung umkehren kann.“ Irgendwann, so die Hoffnung, wird man dann Medikamente entwickeln können, durch die sich metastasierende Tumoren zurückbilden.

 

„Durch systembiologische Ansätze wollen wir quantitative Modelle entwickeln, mit denen die Effekte komplexer Mutationen auf Genprodukte vorhergesagt werden können.“

Prof. Stefan Legewie

Hoffnung für Leukämiekranke

Bereits sehr viel näher an den Therapien ist Legewies zweites Forschungsfeld, die Prozessierung der messenger RNA, die bei der zellulären Proteinsynthese eine zentrale Rolle spielt. Diese Prozessierung, das sogenannte alternative Spleißen, führt dazu, dass menschliche Zellen zwar gar nicht so viel mehr Gene haben als Hefezellen oder andere niedere Organismen, aber sehr viel mehr Proteinvarianten. „Diesen Prozess wollen wir verstehen“, sagt Legewie. So gibt es zum Beispiel eine Therapie zur Behandlung von Leukämien im Endstadium, bei der Patienten die eigenen Immunzellen (T-Zellen) entnommen und umprogrammiert werden (CAR-T-Zell-Therapie). Dabei werden die T-Zellen so modifiziert, dass sie nach der Reinjektion in den Körper der Kranken Leukämie–Zellen angreifen. Prinzipiell ist diese Behandlungsmethode sehr effizient, es kommt aber vor, das die Leukämie-Zellen nicht mehr auf die T-Zellen reagieren. Denn die T-Zellen sind auf einen ganz bestimmten Rezeptor auf der Zelloberfläche programmiert. Genau dieser wird in resistenten Leukämie–Zellen einer veränderten Prozessierung unterworfen, so dass die Therapie nicht mehr wirkt.

Lösen will die Gruppe um Legewie dieses Problem mit Big Data: In Kooperation mit Arbeitsgruppen aus Mainz und Frankfurt hat sie einen Screeningansatz entwickelt, mit dem im hohen Durchsatz mehrere 10.000 Mutationen charakterisiert und quantifiziert werden können. „Auf dieser Datenbasis versuchen wir schon zu Beginn der Therapie vorherzusagen, ob der Patient oder die Patientin Resistenzen entwickeln wird und der Einsatz des teuren Medikaments überhaupt Sinn macht. Unser Ziel ist es außerdem, Strategien zu entwickeln, wie man die CAR-T-Zell-Therapie mit anderen therapeutischen Ansätzen kombinieren kann, um Resistenzentwicklung vorzubeugen“, sagt Legewie.

Prof. Stefan Legewie vor einer quantitativen PCR-Maschine.

Eine Herausforderung ist die große Komplexität der Datensätze. Schon aus einem relativ kurzen Genabschnitt des Oberflächenproteins entstehen im Rahmen der mRNA-Prozessierung etwa 100 Varianten. Des Weiteren gibt es sehr viele mögliche Kombinationen von Mutationen. Wie diese Mutationen miteinander wechselwirken, ist schwer zu prognostizieren. Um diese Komplexität aufzulösen, entwickelt die Gruppe Legewie mathematische Modelle. „Durch systembiologische Ansätze wollen wir quantitative Modelle entwickeln, mit denen die Effekte komplexer Mutationen auf Genprodukte vorhergesagt werden können.“

Dabei profitiert Legewie von der langjährigen Etablierung des Stuttgart Research Center Systems Biology (SRCSB) der Universität Stuttgart, den starken Ingenieurwissenschaften und den zahlreichen Forschungsgruppen im Bereich der „roten Biotechnologie“, also der Biotechnologie menschlicher Zellen. In das SRCSB wird Legewies Gruppe die genomischen Ansätze und Methoden zur Charakterisierung der Genexpression auf großer Skala in Theorie und Experiment einbringen. Umgekehrt profitiert er von den Ergebnissen der Forschungsgruppen um Monilola Olayioye, Albert Jeltsch, und Nicole Radde, die sich – teils ebenfalls im Kampf gegen den Brustkrebs - mit den Wechselwirkungen der Signalübertragungswege auf die Genregulation beschäftigen.

Data Sciences in das Biologiestudium bringen

Die Verknüpfung zwischen Theorie, Experiment und Modellentwicklung möchte Legewie auch seinen Studierenden vermitteln. Von diesen erwartet er Begeisterung für interdisziplinäre Forschung und quantitative Ansätze in der Biologie. „Sie sollen verstehen, wie eine Vielzahl an Proteinen zusammenwirkt und dies in quantitatives Verhalten übersetzen. Dabei spielen auch Data Sciences, die Auswertung großer Datensätze, eine wichtige Rolle.“

 

Über Stefan Legewie

Stefan Legewie, geboren 1977 in Aachen, studierte Biochemie an der Universität Witten/Herdecke und spezialisierte sich schon im Studium auf das damals junge Feld der Systembiologie. Im Jahr 2008 promovierte er mit Auszeichnung (summa cum laude) im Fach Biophysik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach einem kurzen Aufenthalt am Deutschen Krebsforschungszentrum wechselte Stefan Legewie 2010 als Gruppenleiter an das neu gegründete Institut für Molekulare Biologie (IMB) in Mainz. Dort arbeitete er zur Robustheit und Heterogenität biologischer Systeme und beschäftige sich zudem mit der Frage, wie die Aktivität von Genen verlässlich gesteuert werden kann. Seit 1.September 2020 ist er Professor für Systembiologie an der Universität Stuttgart.

Kontakt

Prof. Stefan Legewie, Institut für Industrielle Genetik (IIG), Abt. Systembiologie, Tel. +49 711 685 64573, E-Mail

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