Nicht jeder Fachexperte, der eine Softwarelösung braucht, kann programmieren, und andererseits verstehen Softwareentwickler*innen oft nicht, welche Anforderungen auf der Anwendungsseite an eine solche Lösung gestellt werden. Andreas Wortmann, neuer Juniorprofessor am Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) der Universität Stuttgart, möchte diese Kluft überwinden.
Software verwendet heute noch dieselben Konzepte und Paradigmen wie vor 40 Jahren, mit sehr techniknahen Programmiersprachen, geringer Abstraktion und Werkzeugen, die für Softwareentwickler*innen gedacht sind. Menschen also, die mit der Komplexität eines solchen Prozesses umgehen können und denen Herausforderungen wie Speicherverwaltung, Nebenläufigkeit oder Sicherheit kein Fremdwort sind. „Wir befinden uns aber auf dem Weg in eine programmierbare Welt“, konstatiert Andreas Wortmann. „Immer mehr Dinge um uns herum werden nicht von professionellen Softwareentwickler*innen programmiert, sondern von Domänenexpert*innen, oder sogar von uns selbst.“
„Wir befinden uns auf dem Weg in eine programmierbare Welt“
Jun.Prof. Andreas Wortmann
Das ist ein Problem, wenn nicht formal ausgebildete Softwareentwickler*innen aus einer spezifischen Domäne wie zum Beispiel Chemie, Maschinenbau, Elektrotechnik oder anderen einen Mehrwert leisten sollen, der in Software realisiert wird. Dabei entsteht eine konzeptuelle Kluft: Hier die Domänenexpert*innen, die zwar wissen, wie man zum Beispiel eine Fertigungsanlage optimal steuert oder einen Pflegeroboter führt, dies aber nicht programmieren können. Und auf der anderen Seite Informatiker*innen, die zwar programmieren können, aber von der spezifischen Problemdomäne nicht viel verstehen. Die Folgen beschrieb der Informatiker Edsger Dijkstra mit dem Konzept einer fiktiven Brandmauer: Auf der einen Seite sitzen die Anwendungsexpertinnen und werfen ihre Anforderungen über die Mauer. Die Informatiker auf der anderen Seite der Mauer verstehen das irgendwie und setzen es um. „Das das nicht funktioniert, sieht man überall da, wo man sich über Software ärgert, zum Beispiel beim Betriebssystem oder beim Drucker“, mokiert sich Wortmann und fordert: „Da es keinen Sinn macht, alle Domänenexpert*innen zu Programmierexpert*innen zu machen, muss die Softwaretechnik in die Domäne kommen.
Lösungen selbst modellieren
Daher entwickelt der Professor für modellgetriebene Entwicklung mit seinem Team Modellierungstechniken, -sprachen und -werkzeuge, die spezifische, auf die Domäne zugeschnittene Konzepte maschinell nutzbar machen. Mit diesen kann ein Domänenexperte seine Lösung selbst modellieren und diese Lösungen dann automatisiert in Software übersetzen. Wie dies in der Praxis aussehen kann, erläutert Wortmann am Beispiel einer großen deutschen Fernsehsendergruppe. Dort mussten die Domänenexpert*innen in der Rechtsabteilung bestimmte vertragliche Vorgaben berücksichtigen, zum Beispiel, dass ein bestimmter Film nicht im Vormittagsprogramm oder auf Nebensendern laufen darf. Auf dieser Basis sollte die IT-Abteilung eine Programmplanung erstellen. Auch hier bestand die bereits erwähnte Kluft: Die IT-Expertinnen verstehen die juristische Terminologie nur begrenzt, während umgekehrt die Juristen wenig Verständnis für die Probleme der IT mitbringen. „Das Problem haben wir gelöst, indem wir eine neue Modellierungssprache entwickelt haben, die Begriffe wie Hauptsender, Nebensender, Hauptzeit oder Werbung kannte und durch geeignete Verknüpfungen die Beschränkungen aus den Rechtstexten darstellen konnte“, erklärt Wortmann. Damit konnten die Beschäftigten in der Rechtsabteilung diese Bedingungen selbstständig in den Computer eingeben und die Programmplanung berechnen“, erklärt Wortmann.
Ein zweiter Aspekt von Wortmanns Forschung bezieht sich auf die Entwicklungszeit von komplexen Systemen. Bei abstrakter Betrachtung gibt es in der Softwareentwicklung verschiedene Zeitpunkte: Die Definition der Anforderungen, die des Designs, die Implementierung, das Testen und schließlich die Inbetriebnahme des Systems. Gerade im Bereich Industrie 4.0 stellt sich jedoch die Herausforderung, dass die Systeme sehr langlebig und komplex sind. Eine Spritzgussanlage zum Beispiel hat eine Lebensdauer von 15-20 Jahren und während dieser Zeit muss deren Software auf der Basis neuer Daten oder Erkenntnisse immer wieder optimiert werden. Das wird dann nicht durch die IT-Abteilung des Herstellers, sondern vor Ort gemacht. „Um nun die Bediener*innen der Anlage zu befähigen, die Maschine optimal zu nutzen, setzen wir digitale Zwillinge ein, die über eine No-Code- Programmierung, also mit geringem Aufwand konfiguriert werden“, erklärt Wortmann. Mit solchen digitalen Zwillingen könnte man zum Beispiel in der Industrie am Wochenende Konfigurationen durchführen und am Montag die Produktion sofort mit voller Stückzahl wiederaufnehmen.
Softwareentwicklung soll effizienter und robuster werden
Ein dritter Forschungsbereich Wortmanns sind formale Softwarearchitekturen, eine Software-Beschreibungsmethode, der eine mathematisch-semantische Fundierung zu Grunde liegt und mit der die Softwareentwicklung allgemeingültig gestaltet werden soll. Wortmann selbst beschreibt das recht abstrakte Verfahren mit einem Vergleich zu realer Architektur: „Ein Architekt schichtet beim Bau einer Kathedrale auch nicht gleich Steine aufeinander, sondern entwirft ein Gesamtkonzept und untersucht dieses bezüglich Kosten, struktureller Integrität und anderer relevanter Kriterien.“ Ähnlich entwickele man bei formalen Softwarearchitekturen zunächst ein Gerüst, welches kontinuierlich analysiert werden kann und dessen einzelne Elemente durch verschiedene Ableitungen schrittweise implementiert werden können. Aus diesem Gerüst kann man bereits viel Code unter Berücksichtigung etablierter Best Practices generieren. „Das macht die Softwareentwicklung effizienter und robuster.“
An der Universität Stuttgart reizt Wortmann, der an der RWTH Aachen studiert, promoviert und als Akademischer Oberrat gelehrt hat, der Sprung aus der Informatik in den Maschinenbau. „Die Zukunft der Informatik liegt in den Anwendungen“, so sein Credo. Das ISW, wo bereits viele neuartige Informatikmethoden im Einsatz sind, sei hierfür eine gute Basis, ebenso wie die ARENA2036 und das spannende industrielle Umfeld vor Ort.
Über Jun. Prof. Dr. Andreas Wortmann
Andreas Wortmann, geboren 1982, studierte Informatik an der RWTH Aachen und promovierte dort 2016 am Lehrstuhl für Software Engineering. Nach Aufenthalten in Frankreich und Schweden leitete er als akademischer Oberrat an der RWTH Aachen eine Arbeitsgruppe in der modellgetriebenen Systementwicklung. Seit Januar 2021 verstärkt er als Juniorprofessor die Leitung des Instituts für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) der Universität Stuttgart.
Wortmann ist Vorstandsmitglied der Europäischen Gesellschaft für Programmiersprachen und Systeme (EAPLS) und gehört der Redaktionsleitung des Journal on Software and Systems Modeling, des Journal of Object Technology sowie des Journal of Automotive Software Engineering an. Zudem leitet er die Arbeitsgruppe Modellbasierte Systementwicklung der Deutschen Gesellschaft für Systems Engineering (GfSE).