Prof. Michael Saliba vom Institut für Photovoltaik hat sich mit der ViPerCon2020 auf eine digitale wissenschaftliche Konferenz eingelassen. Wie es gelaufen ist und worauf es ankommt, erläutert er in einem Gastbeitrag in Nature Energy – und hier im Interview.
Was für eine Konferenz ist die ViPerCon2020?
Michael Saliba (MS): Auf der ViPerCon2020 (Virtual Perowskite Conference 2020) wurden Forschungsergebnisse zu Perowskiten vorgestellt, das ist eine neue Halbleiterklasse, von der man sich unter anderem effizientere Solarzellen verspricht. Die eintägige digitale Konferenz wurde angesetzt, weil das Frühjahrstreffen der Materials Research Society in diesem Jahr aufgrund der Corona-Beschränkungen abgesagt werden musste. Das Experiment hat 680 Teilnehmende angezogen, weit mehr, als wir erwartet hatten.
Was muss man bei einer solchen Konferenz beachten?
MS: Die Organisation einer Online-Konferenz ist zunächst weniger komplex und auch kostengünstiger als die einer physischen Tagung. Man braucht keinen Veranstaltungsraum, keine komplizierte Reiseplanung, kein Catering, keine Abendveranstaltung. Daher ist die Vorbereitung mit einem kleineren Team und in kürzerer Zeit zu machen. Für die ViPerCon2020 hatten wir einen Vorlauf von nur vier Wochen, die Werbung lief ausschließlich in den sozialen Medien. Dafür müssen jedoch andere Aspekte beachtet werden:
- Wichtig ist die Wahl einer geeigneten Konferenz-Software, zum Beispiel Zoom, Webex, Microsoft Teams, Jitsi und andere. Die Tools unterscheiden sich hinsichtlich der Funktionalitäten, Kosten, Zuverlässigkeit und der möglichen Teilnehmerzahl. Zudem ist die Vertrautheit der Teilnehmenden mit einem bestimmten System zu berücksichtigen.
- Man muss die Teilnehmenden rechtzeitig vor Konferenzbeginn über die technischen Anforderungen informieren, wie Lautsprecher, schnelles Internet, Headset und Webcam.
- Der Ablauf braucht eine klare Struktur, die es dem Publikum auch ermöglicht, Fragen zu stellen. Gerade bei großen Konferenzen ist dies eine Herausforderung. Hier bieten sich schriftliche Fragen an, zum Beispiel in einem moderierten Online-Chat. Nonverbale Hinweise wie Applaus können durch Piktogramme oder Emoticons kommuniziert werden.
- Ganz wichtig sind der Zeitplan und die Konferenzlänge. Bei der ViPerCon2020 hatten wir an einem Tag vier Slots mit jeweils 90 Minuten und 15 Minuten Pause. In den Pausen können sich die Teilnehmenden erfrischen, bewegen und neu fokussieren. Das braucht man, weil es ermüdet, wenn man zu lange auf den Bildschirm und sich selbst starrt.
Welche Vorteile haben Online-Konferenzen?
MS: Online-Konferenzen machen es vielen Forschenden überhaupt erst möglich, in dieser Dimension am wissenschaftlichen Austausch teilzunehmen. Man denke nur an Nachwuchswissenschaftler*innen aus Ländern wie China, Indien, Lateinamerika oder auch Europa, die für teure Auslandsreisen und Konferenzgebühren nicht die Mittel haben oder kein Visum bekommen. Auch Forschende mit familiären Verpflichtungen – meist Frauen – wird die Teilnehme erleichtert, ebenso Menschen mit einer Behinderung oder gesundheitlichen Problemen. Insgesamt vergrößern Online-Konferenzen den Kreis potentieller Teilnehmer*innen und Referent*innen. Zudem verlaufen sie offener und dynamischer. Jungen Forscher*innen gelingt es in der Anonymität des Webs eher, sich Gehör zu verschaffen. Das wirkt der (oft unfreiwilligen) Tendenz bei Offline-Konferenzen entgegen, dass hauptsächlich die etablierten Wissenschaftler*innen Aufmerksamkeit bekommen. All dies fördert die Qualität einer Konferenz und den „Community Spirit“. Last but not least mindern digitale Veranstaltungen den CO2-Ausstoß aufgrund der Fliegerei – gerade bei uns in der Energieforschung ist das ein nicht zu vernachlässigender Aspekt.
Und wo sind die Grenzen?
MS: Konferenzen sind mehr als nur Gespräche, sie verbinden die wissenschaftliche Community. Diese informellen Gespräche finden vor allem auch in den Kaffeepausen, beim Essen oder während des Rahmenprogramms statt. Für junge Wissenschaftler*innen sind die Poster-Sessions wichtig, die es ihnen ermöglichen, ihre Sichtbarkeit zu erhöhen und Kontakte zu künftigen Arbeitgebern zu knüpfen. Diese Aspekte sind online nur schwer zu ersetzen. Das Manko kann aber abgemildert werden, zum Beispiel mit virtuellen „Nebenräumen“ für drei bis fünf Teilnehmende oder eine Virtual Reality-Umgebung.
Würden Sie eine solche Konferenz auch online durchführen, wenn Corona einmal vorbei ist?
MS: Auf jeden Fall! Corona hat vielen von uns erst die Augen geöffnet, dass man nicht bei jeder Konferenz persönlich anwesend sein muss. Zwar mag sich nicht jeder Aspekt einer Offline-Konferenz online abbilden lassen, aber Online-Konferenzen haben diverse Vorteile und ich bin daher zuversichtlich, dass sie zukünftig einen festen Platz einnehmen werden.
Herr Prof. Saliba, vielen Dank für das Gespräch!
Auch IFAC-Weltkongress 2020 digital
Der Weltkongress der International Federation of Automatic Control (IFAC), der in diesem Jahr in Berlin stattfinden sollte, wurde auch als Online-Konferenz durchgeführt. Prof. Frank Allgöwer, Leiter des Instituts für Systemtheorie und Regelungstechnik der Universität Stuttgart, war in den vergangenen drei Jahren Präsident der IFAC und in dieser Funktion – zusammen mit 50 weiteren Mitgliedern – für die Vorbereitung des Kongresses verantwortlich. Die Online-Konferenz umfasste rund 5000 Teilnehmende und 3.000 Präsentationen in knapp 500 Sessions, unter anderem zu den Themen Corona, Industrie 4.0, Robotik und künstliche Intelligenz.