Das Internet hat die Gesellschaft in den letzten 30 Jahren zum Teil radikal verändert – allerdings in andere Richtungen als zunächst erhofft und erwartet. In den 1990er-Jahren beherrschten Vorstellungen eines freien, dezentral organisierten und selbstregulierten Internets, das weitgehend ohne staatliche Eingriffe auskommen sollte, die gesellschaftspolitischen Debatten. Dies beschreiben Ulrich Dolata, Professor für Organisations- und Innovationssoziologie am Institut für Sozialwissenschaften (SOWI) und Jan-Felix Schrape, Senior Researcher am SOWI, im einleitenden Text zu dem von ihnen herausgegebenen 62. Sonderheft der renommierten Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie.
Originalpublikation
Dolata, U. & Schrape, J.-F. (Hg.) (2022): Internet, Big Data und digitale Plattformen. Politische Ökonomie – Kommunikation – Regulierung. 62. Sonderheft der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Wiesbaden: SpringerVS: doi.org/10.1007/s11577-022-00843-6 bzw. die gesamten Beiträge: SpringerLink (Open Access)
Kommerzialisierung des Internets
Aus heutiger Sicht stellen die beiden Sozialwissenschaftler fest: „Das Internet und die darauf aufbauenden datenbasierten Infrastrukturen haben Wirtschaft, Politik, Öffentlichkeit und Gesellschaft in der Tat auf breiter Front und in zum Teil radikaler Art und Weise verändert. Doch nicht Dezentralisierung und Demokratisierung, sondern massive Konzentrationsprozesse und neue Monopole sind die mittlerweile überall sichtbaren Folgen.“
Die markanteste Entwicklung der vergangenen drei Jahrzehnte sei die großflächige kommerzielle Aneignung und privatwirtschaftliche Übernahme weiter Teile des Internets, die von Technologieunternehmen vor allem aus dem Umfeld des Silicon Valley vorangetrieben worden ist. Die Öffentlichkeit und Politik habe diese Entwicklungen lange kaum reflektiert und erst seit Mitte der 2010er-Jahre begonnen, über Ansatzpunkte für eine Regulation der Internetplattformen und ihrer Unternehmen nachzudenken.
Mittlerweile wird das Web geprägt von zahllosen kommerziell betriebenen Plattformen, die spezialisierte Dienstleistungen und Konsumangebote offerieren. Darüber hinaus haben sich weitläufig strukturierte Social Media- und Messaging-Plattformen herausgebildet, über die wesentliche Teile der onlinebasierten Kommunikation, Meinungsbildung und Öffentlichkeit organisiert und strukturiert werden.
Großer Einfluss der Konzerne
„Der strukturbildende und regelsetzende Einfluss, den insbesondere führende IT-Konzerne wie Amazon, Apple, Alphabet (Google) und Meta (Facebook) mit ihren ineinander verflochtenen Plattformen erlangt haben, reicht inzwischen deutlich über rein ökonomische Machtpositionen hinaus und tief in die Gesellschaft hinein“, erklärt Ulrich Dolata. Sie kontrollieren damit nicht nur zentrale Zugänge zum Internet, sondern strukturieren und überwachen auch die Bewegungsmöglichkeiten der auf ihren Plattformen aktiven Onliner nahezu lückenlos und filtern in großem Stil Inhalte und Informationsflüsse. „Die großen Social Media-Plattformen haben damit einen erneuten Strukturwandel der Öffentlichkeit angestoßen“, führt Jan-Felix Schrape aus.
Öffentliche Aufmerksamkeit ändert sich
Dieser Strukturwandel äußere sich unter anderem in einer gegenseitigen Durchdringung verschiedenartiger Medienformate und Öffentlichkeitsarenen. Dadurch würden etablierte Muster der öffentlichen Aufmerksamkeit signifikant verändert. Zusammen mit dem klassischen Journalismus ergibt sich dadurch ein hybrides Mediensystem, das nach einer substanziellen Neujustierung der regulativen Instrumente verlange. Die Leistungen von Plattformen wie Instagram oder Twitter würden dabei vor allem in der algorithmisch personalisierten Auswahl und Verknüpfung von andernorts veröffentlichten oder nutzergenerierten Inhalten bestehen. „Genau das macht ihre Regulierung so notwendig wie schwierig“, ergänzt Schrape.
Die 18 Beiträge des Sonderheftes befassen sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln – empirisch, theoretisch und historisch rekonstruierend – mit den organisationalen, sozioökonomischen und regulativen Eigenheiten des plattformbasierten Internets und präsentieren damit den State-of-the-Art der soziologischen Internetforschung. Die Beiträge des Sonderheftes lassen sich kostenfrei auf SpringerLink abrufen.