„Intelligente Transformation von Energieinfrastrukturen. Wie machen wir unsere Energieinfrastrukturen krisensicher?“ Zu diesem Thema hatten das Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung (ZIRIUS), Interchange Forum for Reflecting on Intelligent Systems (IRIS), das Internationale Zentrum für Kultur- und Technikforschung (IZKT) und der Hospitalhof am 27. April 2023 zu Podiumsgespräch und Diskussion geladen. Gut 30 Interessierte aus Wissenschaft und Stadtöffentlichkeit waren gekommen, um die einschlägigen Expert*innen aus Wissenschaft, Politikberatung, Praxis und Zivilgesellschaft zu hören: Prof. Cordula Kropp von ZIRIUS, Prof. Sabine Löbbe von der Hochschule Reutlingen und Mitglied im Klima-Sachverständigenrat des Landes Baden-Württemberg, Jean-Claude Schmiedle als Leiter des Geschäftsbereichs Recht und Unternehmensentwicklung der Stadtwerke Stuttgart und Sina Reisch, von 2019 bis 2022 Pressesprecherin der Bewegung „Ende Gelände“.
Als dringende, von der Gesellschaft zu beantwortende Kernfragen kristallisierten sich heraus:
Wie machen wir unsere Energieinfrastrukturen krisensicher, klimaneutral und klimagerecht? Was wäre eine wirklich intelligente Umsetzung der Energiewende? Wie können wir die damit verbundenen Konflikte intelligent austragen?
Denn dass die Energiewende umgesetzt werden muss, dass das Zeitfenster extrem schmal ist, und dass es Konflikte um die Umsetzung gibt und geben wird, darin waren sich die ExpertInnen einig. Derzeit, so Prof. Löbbe, steuern wir auf eine 2,3 Grad Erwärmung zu.
Dabei konzentrierte sich die Diskussion vor allem auf Fragen und Probleme der Wärmewende. Diese, auch hier herrschte Übereinstimmung, wurde in den letzten Jahrzehnten auf katastrophale Weise vernachlässigt. Die Situation, dass viele Menschen sich im Winter 2022/23 zwischen Heizen und Essen entscheiden mussten, wäre vermeidbar gewesen, wenn die Umstellung auf regenerative Energie eher und konsequenter in die Wege geleitet worden wäre. Die Technologien für eine Umstellung auf klimaneutrale Energien, auch hier kein Dissens auf dem Podium, stehen heute zur Verfügung. Es muss nicht immer und für jeden Zweck „grüner“ Wasserstoff sein, aber z.B. Wärmepumpen, so Jean-Claude Schmiedle, sind einsetzbar, marktfähig, und ohne dramatische Umbaumaßnahmen nutzbar zu machen.
Warum, so die große Frage, sind wir dann in Deutschland nicht schon weiter? Warum ist die notwendige Transformation nicht schon lange passiert? Warum hängen wir Jahre oder Jahrzehnte hinter den eigenen Vorgaben hinterher?
Die Frage wäre also nicht mehr, welche intelligenten Technologien wir brauchen, um Energie klimaneutral zu produzieren und zu nutzen, sondern welche Ansätze es gibt, um die Verzögerungen zu verstehen und daraus Ansatzpunkte für wirksame institutionelle, wirtschaftliche und politische Veränderungen abzuleiten. Die Fragestellung müsste umgekehrt werden: Warum hat es in Deutschland keine intelligente Transformation der Energieinfrastrukturen gegeben? Was – oder wer - hat eine intelligente Transformation der Energieinfrastrukturen bisher weitgehend verhindert?
Wenngleich dies an diesem Abend nicht systematisch von allen Seiten beleuchtet werden konnte, gab es doch eine Reihe von Anregungen und Überlegungen, die im Folgenden kurz zusammengefasst werden sollen:
Infrastrukturen statt nur Individuen in den Blick nehmen
Die Organisation der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge, zu der die Energieinfrastrukturen wesentlich hinzugehören, wäre, so Cordula Kropp, ein so viel wirksamerer Hebel als alle Appelle an das individuelle Konsumverhalten. Würden die Versorgungsstrukturen vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt und dekarbonisiert, so wären 87% der deutschen CO2-Emissionsquellen unter Kontrolle. Wir brauchen einen neuen Fokus im Diskurs auf die nachhaltige und klimagerechte Transformation unserer Infrastruktursysteme; dies ist eine gesellschaftliche und politische Aufgabe.
Verursacher*innen in die Pflicht nehmen
Zum anderen muss sich der Fokus stärker auf die VerursacherInnen der Treibhausgasemissionen richten. Die Kosten und Lasten einer nachhaltigen und klimagerechten Transformation müssten vor allem von denen getragen werden, die für den Großteil der Emissionen verantwortlich sind und zwar nicht nur auf lokaler und nationaler, sondern auch auf globaler Ebene. Cordula Kropp schlug vor, das Verursacherprinzip zur Verschwendungsbremse zu machen und eine emissionsabhängige Umlage auf jeden verbrauchten Liter fossiler Brennstoffe und jeden Quadratmeter Wohnfläche oberhalb einer gewissen Grenze zu erheben, um die Transformation damit zu finanzieren.
Organisationsstrukturen verändern
Sabine Löbbe wies darauf hin, dass Organisationen im System der Energieerzeugung, -bereitstellung und -nutzung verschiedene Interessen und Aufgaben haben. Insgesamt sei die Aufgabe des Energiesystems, für Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und inzwischen auch Klimaneutralität der Energie zu sorgen. Aber: Strukturell gesehen ist für keine der beteiligten Organisation das Erreichen von Klimaneutralität der primäre Organisationszweck. Klimaneutralität rangiert strukturell immer an nachgeordneter Stelle. Hier wäre zu überlegen, wie die beteiligten Organisationen stärker auf Erreichen dieses Ziels verpflichtet werden können.
Politische Führung einfordern
Dabei, so ergänzte Jean-Claude Schmiedle, muss festgehalten werden, dass „Klimaneutralität“ ein nicht geschützter Begriff ist. Was als klimaneutral gilt, wann Klimaneutralität auf welcher Ebene erreicht ist oder nicht, ist politisch nicht klar definiert. Hier, wie auch in vielen anderen Fällen, haben die politischen Entscheidungsträger die Festlegung von Vorgaben gescheut. Das klimapolitische Engagement von Kommunen, Behörden, Unternehmen und auch Individuen, so die ExpertInnen, braucht gesetzliche Rahmenbedingungen und positive Anreizsysteme bzw. die Abschaffung von Fehlanreizen. Hier ist der Gesetzgeber gefordert. Hat die Politik Angst, so Cordula Kropp, der (Wahl-?)Bevölkerung Veränderungen zuzumuten? Andererseits kann man feststellen, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung von regenerativen Energien oder bspw. einem generellen Tempolimit laut Umfragen durchaus gegeben ist und trotzdem die entsprechenden Schritte nicht ergriffen werden. Diese zögerliche Haltung der politisch Verantwortlichen ist erklärungsbedürftig.
Lokales Handeln und Kommunalisierung zivilgesellschaftlich unterstützen
Positiv gesehen wurden Ansätze der Rekommunalisierung von Infrastrukturen wie in Stuttgart im Fall der Stadtwerke. Bemerkenswert ist dabei, dass dies aufgrund von Druck und Engagement der Zivilgesellschaft geschehen ist, wie ein Beitrag aus dem Publikum klarmachte. Dennoch, so war klar, wird es Interessen- und Zielkonflikte, z.B. in Bezug auf Flächennutzung geben („Dachgarten oder Wärmepumpe?“), aber es gibt auch die Möglichkeit, dass diejenigen, die über nachhaltige Transformationen mitentscheiden und diese umsetzen müssen, auch einen Nutzen davon haben.
Insgesamt gibt es jedoch zur Frage, warum eine intelligente, nachhaltige und klimagerechte Transformation unserer Energieinfrastrukturen bisher nicht stattgefunden hat, noch viel Forschungs- und Diskussionsbedarf. Das Gespräch muss fortgesetzt werden.
Der Artikel erschien im Rahmen des ZIRIUS-Blogs.