Die Universität Stuttgart hat sich zum Ziel gesetzt, in den kommenden Jahren klimaneutral zu werden. Das Forschungsprojekt „CampUS hoch i – Campus intelligent gemacht“ ist ein Reallabor und unterstützt die Universität bei diesem Vorhaben. Es konzentriert sich auf den Gebäudebereich. In einem ersten Schritt untersuchten die Wissenschaftler*innen nun, welche Wege zum Ziel der Klimaneutralität die Mitarbeitenden und Studierenden bevorzugen würden. Die nicht repräsentative Befragung zeigt, dass eine klare Mehrheit der über 1.700 Teilnehmenden dem eigenen Handeln vor Ort sowie der konsequenten Reduktion der uniinternen CO2-Emissionen höchste Priorität einräumt. Hingegen sind Kompromisse wie zum Beispiel Zertifikatslösungen, bei denen Klimaschutz durch die Finanzierung von Kompensationsmaßnahmen an anderen Orten der Welt geleistet wird, bei den Teilnehmenden eher unbeliebt.
Im Rahmen des Projektes CampUS hoch i sind mehrere Befragungen unter den Studierenden und Mitarbeitenden vorgesehen. Die erste Erhebung mit dem Titel „Umfrage zur Klimaneutralität an der Universität Stuttgart: Wo wollen wir hin? Wie kommen wir da hin?“ fand im Wintersemester 2021/22 statt. Die Klimaumfrage wurde federführend vom Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung (ZIRIUS) mit Unterstützung der weiteren wissenschaftlichen Projektpartner als Onlineerhebung durchgeführt. Insgesamt nahmen 1.767 Personen an der Befragung teil. Obwohl eine Repräsentativität im engeren Sinne nicht gegeben ist, stimmen Alter, Geschlecht und Fakultätszugehörigkeit der Befragten weitgehend mit der allgemeinen Struktur der Universitätsangehörigen überein. Da das Reallabor möglichst die gesamte Universität im Blick haben möchte, ist dieser Punkt von großer Bedeutung. Entsprechend erfreut zeigte sich Prof. Dr. Cordula Kropp, Direktorin des ZIRIUS: „Der immens große Rücklauf sowie die bunte Mischung der Teilnehmenden haben mich positiv überrascht. Es zeigt das große Interesse am Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit an unserer Universität. Darauf kann man im weiteren Projektverlauf sicher aufbauen“.
Generell ist es so, dass für den menschengemachten Klimawandel Emissionen von Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), Stickstoffoxide (NOx) sowie weiterer Gase mit Treibhauspotential ursächlich sind. Die unterschiedliche Wirksamkeit für den Klimawandel wird durch Umrechnung in sogenannte CO2-Äquivalente berücksichtigt. Unter Treibhausgasneutralität wird gemäß dem Pariser Klimaabkommen verstanden, dass nicht mehr CO2-Äquivalente freigesetzt werden als im gleichen Zeitraum in der Natur wieder gebunden werden.
Teilnehmende wünschen sich echte Klimaneutralität
In der Klimaumfrage wurden nun drei mögliche Modelle der Treibhausgas- bzw. Klimaneutralität zur Diskussion gestellt, welche die Teilnehmenden bewerteten. Ein Großteil der Befragten würde eine Universität bevorzugen, die mit größter Konsequenz vor Ort Klimaschutz verfolgt und die Treibhausgasemissionen soweit wie möglich minimiert. 83% der Befragten bewerten dieses Modell als eher oder sehr positiv. Ebenfalls viel Zustimmung (72%) erhält das zweite Modell, nach dem gewisse Schwankungen bei den Treibhausgasemissionen erlaubt sind. Hingegen können lediglich 30% der Befragten dem dritten Modell etwas abgewinnen: Dieses will Emissionen am Campus durch die Finanzierung von Kompensationsmaßnahmen ausgleichen, etwa durch Emissionsminderungsprojekte in anderen Teilen der Welt. Stellt man die Teilnehmenden vor die Wahl, welcher der drei Ansätze ihrer Meinung nach an der Universität Stuttgart für die Zielerreichung zu Grunde gelegt werden sollte, ist die Antwort entsprechend eindeutig: 59% sprechen sich für die selbst hart erarbeitete und durchgehende Klimaneutralität aus, 35% für das Modell der schwankenden Emissionen und lediglich 6% für die Variante mit Kompensationen.
Diese Präferenz für einen konsequenten Klimaschutz vor Ort zeigt sich in der Umfrage auch im selbst berichteten Handeln bzw. der Handlungsbereitschaft. Die Teilnehmenden wurden hierbei gefragt, welche Maßnahmen zum Klimaschutz in den Bereichen Ernährung, Gebäude und Mobilität sie in ihrem Umfeld als Student*in oder Mitarbeiter*in der Universität Stuttgart (z. B. im Home Office, Seminarraum, Büro) bereits ergriffen haben. Die klare Mehrheit nutzt nach eigenen Angaben bereits vermehrt den ÖPNV, fährt mehr Rad, geht häufiger zu Fuß, verzichtet mindestens einmal in der Woche auf den eigenen PKW, passt sein Lüftungsverhalten an, achtet auf eine sparsame Beleuchtung und zieht lieber einen Pullover an anstatt mehr zu heizen. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass das tatsächliche Verhalten vom selbst berichteten Verhalten zum Beispiel aufgrund von Erinnerungsfehlern oder sozialer Erwünschtheit zu einem gewissen Grad abweichen kann.
Diverse Meinungen zu Ernährung und Gebäuden
Bei einer genaueren Betrachtung des Themenbereichs „Ernährung“ divergiert das Meinungsbild. Hier gibt nicht einmal jede*r Zweite an, sich rein vegetarisch beziehungsweise vegan zu ernähren. Immerhin 14% der Befragten könnten sich dies generell vorstellen. 17% haben auch zukünftig nicht vor, sich klimafreundlicher zu ernähren und beispielsweise ihren Fleischkonsum signifikant zu reduzieren. Im Themenbereich „Gebäude“ berichtet lediglich jeder Fünfte von der Durchführung baulicher Maßnahmen wie beispielsweise Wärmedämmung oder Fensterisolierung. 42% der Befragten sehen das Potenzial in diesem Bereich jedoch als sehr groß an. Aus den Antworten kann geschlossen werden, dass bei vielen die notwendigen Voraussetzungen für ein Umsetzen der baulichen Maßnahmen (zum Beispiel Eigenheim, Eigentumswohnung bzw. Möglichkeiten am Arbeitsplatz) nicht gegeben sind. Ein ähnlicher Befund zeigt sich bei der Nutzung eines automatischen Sonnenschutzes von Räumen, automatisierter/maschineller Lüftung oder zentraler Heizungssteuerung. 17% tun dies bereits, 37% würden es gerne tun und für 37% trifft dies nicht zu, weil sie vermutlich nicht über installierte, automatisierte Systeme verfügen. Dieser letzte Befund ist für das Reallabor CampUS hoch i von besonderer Relevanz, da der Energieverbrauch im Gebäudebereich, mögliche Reduktionen durch automatisierte Steuerungen sowie die Mensch-Technik-Interaktion im Fokus der Betrachtung stehen.
Insgesamt kann aus der Befragung auf ein relativ hohes Interesse am Thema Klimaneutralität an der Universität Stuttgart bei Studierenden und Mitarbeitenden geschlossen werden. Die Teilnehmenden haben eine klare Präferenz für einen ernsthaften Klimaschutz. Außerdem wird – gemessen am selbstberichteten Verhalten der befragten Personen – eine hohe Bereitschaft für ein Engagement im Klimaschutz beobachtet. „Diese Ergebnisse sind äußerst ermutigend. Für unser Vorhaben der Förderung des Klimaschutzes an der Universität Stuttgart sind das hervorragende Voraussetzungen. Wir werden diese Wünsche der Befragten nun in unseren nächsten Forschungsschritten aufnehmen“, resümiert ZIRIUS-Direktorin Cordula Kropp.
Vollständige klimaneutrale Energieversorgung des Campus vor Ort ist kaum möglich
Angesichts dieser Ergebnisse stellt sich aber auch die Frage, wie realistisch der Wunsch nach einem konsequenten und selbst praktizierten Klimaschutz ist. Hier ist der Projektleiter von Campus hoch i, Prof. Dr. Kai Hufendiek vom IER, eher skeptisch: „Technisch-physikalisch gesehen ist schon eine vollständige klimaneutrale Energieversorgung des Campus vor Ort kaum möglich. Dafür reichen die Flächen und das Potenzial an erneuerbaren Energien nicht aus.“ Dies zeigt sich auch deutlich in der Energiebilanz und der damit verbundenen Emissionsbilanz der Universität Stuttgart. Ein Teil der Emissionsreduktion kann zwar durch Maßnahmen vor Ort wie beispielsweise Energieeinsparung durch Sanierung von Gebäuden, Abwärmenutzung, Verhaltensänderungen oder auch die Nutzung erneuerbarer Energien vor Ort erreicht werden.
Ein weitaus größerer Teil der Energie wird jedoch auch bei einer klimaneutralen Energiebereitstellung auf den Campus „importiert“ werden müssen. Hier ist dann relevant, welche Energieträger eingesetzt und wie diese bereitgestellt werden. Ein Grund, weshalb Wunsch und Wirklichkeit noch nicht zusammenpassen, könnte auch darin liegen, dass den meisten Befragten nicht klar ist, wie hoch die der Universität Stuttgart zuzurechnenden Treibhausgasemissionen sind und wo die größten Quellen an Treibhausgasemissionen liegen. Kai Hufendiek hat deshalb ein klares Plädoyer: „Wir sollten das Reallabor nutzen, um genau dieses Spannungsfeld aufzuzeigen und vor allem für den Gebäudebereich Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten, denn derzeit werden mit 70% mit Abstand die meisten Treibhausgasemissionen der Universität durch den Wärme-, Kälte- und Strombedarf am Campus Vaihingen verursacht. Ich bin mir sicher, dass an einer Hochschule wie der Universität Stuttgart, die sich Innovationen auf die Fahnen geschrieben hat, noch eine Menge guter Ideen gefunden werden können.“
Projektsteckbrief CampUS hoch i
Das Projekt CampUS hoch i wird im Format eines Reallabors durchgeführt. Dies bedeutet unter anderem die intensive Beteiligung verschiedener Gruppen im Forschungsprozess. Im vorliegenden Fall sind es sowohl Wissenschaftler*innen der Universität Stuttgart als auch Universitätsbeschäftigte aus unterschiedlichen Bereichen (Leitung, Verwaltung, Gebäudemanagement etc.), Studierende aller Fachrichtungen sowie Interessensvertreter*innen aus Wirtschaft und Industrie.
Ein besonderer Fokus liegt auf dem Gebäudebereich. Die Gebäude am Campus Vaihingen tragen im Moment durch ihren Energieverbrauch zu einem relativ hohen Ausstoß an klimaschädlichem Kohlendioxid bei. Für diese Herausforderung gibt es durchaus technische Lösungen. Beispielsweise könnten durch eine automatisierte Steuerung der Heizungsanlage bestimmte Räume nur noch bei Unterschreiten einer vorher festgelegten Außentemperatur erwärmt werden. Oder es wird nur noch dann geheizt, wenn auch tatsächlich jemand anwesend ist. Dadurch hätten jedoch die Nutzenden weniger Kontrolle und ihre Anwesenheit würde in gewisser Weise „überwacht“.
Die entscheidende Frage lautet also: Wie können Mensch und Technik zusammenkommen, um diese Herausforderung zu bewältigen? Durch gemeinsam entwickelte Praxistests der neuen Technologien sollen im Reallabor Antworten auf diese wichtige Frage gefunden werden. Idealerweise stehen am Ende Handlungsempfehlungen, die auch in anderen Kontexten (zum Beispiel für andere Quartiersgebäude) angewandt werden können. Insgesamt soll somit eine Blaupause für partizipative Planungsprozesse im Bereich von klimaneutralem Wohnen, Leben und Bauen entstehen.
Das Vorhaben hat eine Laufzeit von insgesamt drei Jahren und wird mit Mitteln des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg gefördert. Die Koordination hat das Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart inne. Im universitären Forschungsteam sind außerdem das Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung (ZIRIUS), das Institut für Gebäudeenergetik Thermotechnik und Energiespeicherung (IGTE), das Institut für Werkstoffe im Bauwesen (IWB) sowie das neu gegründete Green Office. Assoziierte Kooperationspartner sind unter anderem die Universitätsleitung, das Universitäts-Bauamt Stuttgart und Hohenheim, die Studierendenvertretung (stuvus), die Architekten- bzw. Ingenieurkammer Baden-Württemberg sowie diverse Industriepartner (z. B. Bosch, EnBW, ENGIE Deutschland, MVV Energie AG, Viessmann).
Kontakt | Prof. Kai Hufendiek, Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung, Universität Stuttgart Prof. Cordula Kropp, Institut für Sozialwissenschaften, Universität Stuttgart |
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