Styropor, Lebensmittelverpackungen, Schaumstoffe oder Bauelemente: In zahlreichen Produkten findet sich Mischplastik. „Am Ende ihres Lebenswegs werden diese Produkte zu Problemmüll“, sagt Hannah Storm, Doktorandin am Institut für Feuerungs- und Kraftwerkstechnik (IFK) der Universität Stuttgart.
Kreislaufwirtschaft: Wertstoffe aus Abfall gewinnen
„Unser Ansatz ist zweistufig“, sagt Russell Ngo, Doktorand am Institut für Bioverfahrenstechnik. „Zuerst wenden wir ein Vergasungsverfahren an, um den Mischkunstoff in seine molekularen Bestandteile zu zerlegen. Der zweite Schritt nennt sich Gasfermentation: Das Gasgemisch wird von anaeroben Bakterien verwertet. Diese nutzen spezielle biochemische Prozesse, mit deren Hilfe wir letztlich zum Beispiel Isobutanol gewinnen wollen.“ Isobutanol dient in der Chemieindustrie als Wertstoff für vielfältige Produkte, zum Beispiel als Lösungsmittel in Lacken und Farben oder als Zusatz für Enteisungsmittel, Reinigungsmittel und Polituren.
Zweistufiger Prozess
Für den ersten Prozessschritt, die Vergasung der Mischkunststoffe, ist Hannah Storm zuständig. Die Verfahrenstechnikerin nutzt für ihre Forschung die Wirbelschichtanlage der Universität Stuttgart. Mithilfe der über drei Meter hohen Versuchsanlage lassen sich verschiedene Verbrennungs-, Vergasungs- und CO2-Abscheidetechnologien flexibel testen. „In der Wirbelschichtanlage erhitzen wir das Mischplastik auf über 700 °C. Außerdem wird Wasserdampf zugegeben. So werden die langen Kohlenstoffketten der Kunststoffe in ihre Einzelteile zerlegt. Am Ende erhalten wir ein energiereiches Synthesegas das unter anderem aus Kohlenstoffmonoxid und Wasserstoff besteht“, sagt Storm. Das Synthesegas bildet das Ausgangsprodukt für den zweiten Prozessschritt, die Gasfermentation. „Ziel meiner Doktorarbeit ist es, das Vergasungsverfahren so zu optimieren, dass ein möglichst sauberes Synthesegas entsteht“, sagt Storm.
Um die Gasfermentation kümmert sich Chemieingenieur Russell Ngo. „Die Bakterien, die das Synthesegas verwerten, ernähren sich von Kohlendioxid, Wasserstoff und Kohlenmonoxid.“ Ngo testet momentan verschiedene Mikroorganismen, um herauszufinden, welche Stämme sich am besten für das Verfahren eignen. Seine Versuche führt er zuerst im kleinen Maßstab im gasdichten Reagenzglas durch. Erweist sich ein Bakterienstamm als brauchbar, startet er Testreihen im Bioreaktor, einem großtechnischen Gerät, in dem biologische Prozesse unter kontrollierten Bedingungen ablaufen. Das erlaubt es ihm, noch genauere Messungen durchzuführen.
Projekt geht in die zweite Phase
Bevor das Verfahren in der Praxis eingesetzt werden kann, gilt es für die Forschenden noch eine Reihe von Fragestellungen zu lösen. „In der ersten, einjährigen Projektphase konnten wir zeigen, dass in der Wertschöpfungskette Potential steckt,“ sagt Prof. Ralf Takors, Leiter des Instituts für Bioverfahrenstechnik. „Daraufhin hat das baden-württembergische Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst die Projektförderung um weitere drei Jahre verlängert. In der zweiten Phase wollen wir die beiden Prozessschritte Vergasung und Gasfermentation optimieren.“
Um das zu erreichen, bekommen Ngo und Storm demnächst Unterstützung von drei weiteren Doktorand*innen. „Dass meine Promotion einen so direkten praktischen Nutzen hat, finde ich sehr motivierend. Und durch meine Experimente an der Wirbelschichtanlage lerne ich viel über den richtigen Umgang mit großtechnischen Anlagen“, sagt Verfahrenstechnikerin Storm. Für Chemieingenieur Ngo, der für seine Promotion von Singapur nach Stuttgart zog, macht der interdisziplinäre Aspekt den Reiz des Projekts aus: „Hannah und ich arbeiten eng zusammen. Wir sehen also nicht nur unseren eigenen Forschungsbereich, sondern haben gemeinsam auch die gesamte Prozesskette im Blick. Das ist eine sehr lehrreiche Erfahrung.“
Mikroorganismen als Helfer im Klimaschutz
Am Projekt „Mischkunststoffe: vom Problemfall zur Problemlösung durch Inwertsetzung mit Mikroorganismen (MiMiWin)“ sind Forschende des Instituts für Bioverfahrenstechnik und des Instituts für Feuerungs- und Kraftwerkstechnik (IFK) der Universität Stuttgart und Forschende der Universität Ulm beteiligt. Die Forschungspartner an der Universität Ulm ergänzen die Zusammenarbeit, indem sie Mikroben genetisch optimieren, die den Gasstrom verwerten und Isobutanol produzieren, als auch eine Lebenszyklusanalyse und eine technisch-ökonomische Analyse durchführen.
Finanziert wird das Projekt im Rahmen der Förderlinie „Mikroorganismen als Helfer im Klimaschutz – mit innovativen Verfahren mikrobielle Prozesse für eine klimaneutrale Zukunft nutzen“. Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg unterstützte im Rahmen dieses Programms neun Projektvorhaben für ein Jahr. Vier von ihnen wurden jüngst um weitere drei Jahre verlängert, darunter zwei Projekte der Universität Stuttgart: „MiMiWin“ und das Projekt „SimBioZe“, in dem an einer Wertschöpfungskette „Abwasser-Biobeton-Düngemittel“ geforscht wird.
Der Stuttgarter Weg
Interdisziplinarität in Forschung und Lehre: Dafür steht der „Stuttgarter Weg“. Die Universität Stuttgart schlägt Brücken zwischen den Ingenieur-, Natur-, Geistes‑, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, arbeitet über institutionelle Grenzen hinweg, betrachtet Themen aus verschiedenen Perspektiven und setzt auf Dialog. So bietet sie Forschenden, Lehrenden und Studierenden ideale Rahmenbedingungen, um gemeinsam neue Fragen zu stellen, an Lösungen zu arbeiten und den Nutzen der eigenen Forschung zu reflektieren.
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Lena Jauernig
Redakteurin Wissenschaftskommunikation / Wissenschaftlicher Nachwuchs