Prof. Laura Na Liu, Leiterin des 2. Physikalischen Instituts der Universität Stuttgart, und Prof. Blazej Grabowski, Leiter der Abteilung für Materialdesign am Institut für Materialwissenschaften der Universität Stuttgart, haben beim Europäischen Forschungsrat (ERC) für ihre Projekte einen mit jeweils 2,5 Millionen Euro dotierten ERC Advanced Grant erhalten. ERC Advanced Grants zählen zu den renommiertesten Forschungspreisen weltweit und richten sich an etablierte Forschende mit einer herausragenden wissenschaftlichen Leistungsbilanz.
Blazej Grabowskis ERC Advanced Grant Projekt „META-LEARN“ zielt darauf ab, die Entwicklung von Simulationsmethoden für das Materialdesign zu optimieren. Dafür kombiniert er quantenmechanisch-fundierte Methoden mit Konzepten aus dem Maschinellen Lernen.
Laura Na Liu und ihr Team werden mit Unterstützung des ERC Advanced Grants wissenschaftliches Neuland im Bereich der Nanotechnologie erkunden: Im Rahmen des Projekts „Engineered DNA Moiré Superlattices (DMoS)“ sollen spezifische Eigenschaften von DNA genutzt werden, um neuartige Moiré-Materialien zu entwickeln und neue Möglichkeiten etwa in der Spintronik und Nanophotonik zu eröffnen.
Prof. Peter Middendorf, Rektor der Universität Stuttgart, freut sich über den Doppelerfolg: „Professorin Laura Na Liu und Professor Blazej Grabowski setzen mit ihrer Forschung Maßstäbe. Ich gratuliere beiden herzlich zur verdienten Auszeichnung durch den Europäischen Forschungsrat! Die Grants unterstreichen das hohe wissenschaftliche Niveau und die Innovationskraft, die an unserer Universität gelebt werden. Gleichzeitig verdeutlichen die Grants die internationale Strahlkraft unserer strategischen Profilbereiche Biomedical Systems and Robotics for Health, Quantum Technologies und Simulation Science.“
Blazej Grabowski: “META-LEARN - Meta-Learned Machine-Learning Interatomic Potentials for Ab initio Engineering of Chemical and Microstructural Complexity”
Sei es die hitze- und korrosionsbeständige Hochleistungsturbine, die schwer entflammbare Batterie, oder der effiziente Wasserstoffspeicher: Gezieltes Materialdesign kann die Leistung, Sicherheit und Lebensdauer vieler Produkte deutlich verbessern. Die Entwicklung von Werkstoffen mit bestimmten Wunscheigenschaften setzt allerdings ein genaues Verständnis der komplexen chemischen Zusammensetzung und Mikrostruktur von Stoffen voraus. Um dieses Verständnis zu erlangen, greifen Materialdesigner*innen heute nicht mehr nur auf Experimente, sondern auch auf quantenmechanisch-fundierte Computersimulationen zurück.
Durch den Einsatz sogenannter maschinell gelernter interatomarer Potentiale (Englisch: Machine learning interatomic potentials; MLIPs) konnte die Präzision und Flexibilität dieser Simulationen in den letzten Jahren enorm gesteigert werden. MLIPs sind mathematische Modelle, die Wechselwirkungen zwischen Atomen beschreiben. Statt nur auf starren Formeln basieren sie auch auf Methoden des Maschinellen Lernens. „MLIPs könnten das Materialdesign revolutionieren – sofern wir lernen, ihr volles Potential auszuschöpfen“, sagt Prof. Blazej Grabowski.
Komplexität beherrschbar machen
„Atomare Materialstrukturen sind hochkomplex. Die Konstruktion von MLIPs ist dementsprechend extrem anspruchsvoll. Das Projekt META-LEARN zielt darauf ab, MLIP- Entwickler*innen ein Hilfsmittel an die Hand zu geben, welches die Komplexität beherrschbar macht.“ Im Rahmen seines neuen, fünfjährigen ERC Advanced Grant Vorhabens arbeitet Grabowski auf einer Meta-Ebene: Gemeinsam mit einem Team aus sieben Nachwuchsforschenden wird er bestehende MLIP- Algorithmen, Parameter, Trainingsdaten und -sequenzen großflächig zu einer Datenbank zusammenführen, um darauf aufbauend einen Wissensgraphen zu entwickeln. Damit will das Team die Basis für den sogenannten „MLIP Co-Pilot“ schaffen, ein KI-gestütztes Tool, das bei der Parametrisierung von MLIPs unterstützt. „Der MLIP Co-Pilot soll Entwickler*innen in Echtzeit zu optimalen Parametern für maschinell gelernte Potentiale verhelfen, indem er das Know-how aus zahlreichen erfolgreichen Simulationen bündelt und zur Verfügung stellt“, erklärt Grabowski.
META-LEARN knüpft an bisherige Arbeiten Grabowskis an: Im Rahmen eines ERC Starting Grants und eines ERC Consolidator Grants gelang es Grabowskis Forschungsgruppe, die Möglichkeiten der Generierung und des Arbeitens mit MLIPs aufzuzeigen.
Laura Na Liu: “Engineered DNA Moiré Superlattices (DMoS)”
Laura Na Lius Projekt ist führend auf dem Gebiet der DNA-Nanotechnologie – einem Forschungsfeld, das DNA als programmierbares Material nutzt, um funktionale Strukturen oder Geräte zu bauen. „Das DMoS-Projekt wird die Grenzen der DNA-Nanotechnologie erweitern und einen völlig neuen Kosmos für Forschung und Anwendungen erschließen“, sagt Laura Na Liu. Ihr interdisziplinäres Team verfolgt eine ehrgeizige Vision: In den nächsten fünf Jahren wollen sie neuartige Klassen von Moiré-Materialien ausschließlich aus DNA konstruieren.
Moiré-Strukturen entstehen, wenn zweidimensionale periodische Materialien wie Graphen mit einer leichten Drehung überlagert werden. Obwohl solche Interferenzeffekte in Natur und Technik gut bekannt sind, betreffen sie typischerweise Gitterkonstanten entweder im atomaren Bereich (Angström) oder in deutlich größeren Dimensionen (Submikrometerbereich und darüber hinaus). Das DMoS-Projekt versucht, diese Lücke zu schließen: Die Forschenden wollen Moiré-Supergitterstrukturen auf der kritischen Nanometerskala entwickeln, an der Schnittstelle von molekularer Programmierbarkeit und Materialfunktionalität. „Moiré-Strukturen in dieser mittleren Skala sind bislang weitgehend unerforscht“, sagt Liu. „Die präzise Steuerung von Strukturen in der Größenordnung von mehreren Nanometern könnte die Art, wie wir funktionelle Materialien entwickeln, revolutionieren.“
Neuartige DNA-Moiré-Materialien für die Nanotechnologie der Zukunft
Das Team wird programmierbare DNA nutzen, um anpassbare Moiré-Strukturen zu konstruieren und zwei zukunftsweisende Forschungsbereiche zu untersuchen: die Spintronik, die sich mit der Steuerung und Nutzung des Elektronenspins für zukünftige Quanten- und Spin-basierte Geräte befasst; und die Nanophotonik, die darauf abzielt, Licht-Materie-Wechselwirkungen im Nanomaßstab für fortschrittliche optische Funktionen zu kontrollieren.
„Programmierbare DNA-Moiré-Supergitter ermöglichen es uns, zu erforschen, wie gezielt gestaltete Geometrien die Spin-Dynamik und optische Phänomene im Nanomaßstab beeinflussen“, erklärt Liu. Ihre bisherigen Durchbrüche in der DNA-Nanotechnologie legten den Grundstein für die Realisierung dieses neuen Materialparadigmas. Die vom ERC finanzierte Forschung könnte letztlich eine beispiellose Kontrolle über Quanten- und optische Phänomene ermöglichen und den Weg für innovative Nanogeräte für Anwendungen in der Wissenschaft und Technologie ebnen.
Persönliches
Der Physiker Blazej Grabowski promovierte am Max-Planck-Institut für Eisenforschung (jetzt: Max- Planck-Institut für Nachhaltige Materialien) Düsseldorf und der Universität Paderborn. Als Postdoc arbeitete er am Lawrence Livermore National Laboratory in den USA und als Gruppenleiter am Max- Planck-Institut in Düsseldorf. 2019 wurde er als Professor an das Institut für Materialwissenschaft der Universität Stuttgart berufen. Hier leitet er die Abteilung für Materialdesign. 2015 warb er einen ERC Starting Grant und 2019 einen ERC Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrats ein.
Laura Na Liu promovierte in Physik an der Universität Stuttgart. Nach akademischen Positionen an der University of California (Berkeley) und der Rice University in Texas wurde sie 2015 als Professorin an die Universität Heidelberg berufen. 2020 wechselte sie als Direktorin des 2. Physikalischen Instituts an die Universität Stuttgart. Zu ihren zahlreichen Auszeichnungen und Stipendien zählen die Adolph Lomb Medal (OSA), Max Planck Fellow (MPG) und der EU-40 Materials Prize (E-MRS). 2014 erhielt sie einen ERC Starting Grant.
Fachlicher Kontakt:
Prof. Blazej Grabowski, Universität Stuttgart, Institut für Materialwissenschaft, Abteilung für Materialdesign, Tel.: +49 711 685-61555, E-Mail
Prof. Laura Na Liu, Universität Stuttgart, 2. Physikalisches Institut, Tel.: +49 711 685-65218, E-Mail
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Lena Jauernig
Redakteurin Wissenschaftskommunikation / Wissenschaftlicher Nachwuchs