Hinter dem Kürzel 3R - Replacement (Vermeidung), Reduction (Verringerung), Refinement (Verbesserung) - verbirgt sich ein international anerkanntes und auch im deutschen Tierschutzgesetz verankertes Prinzip für den Umgang mit Tierversuchen. Wie nötig dies ist, zeigt eine Zahl: 2,9 Millionen Tiere wurden nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft alleine im Jahr 2019 für Tierversuche eingesetzt – auch in Baden-Württemberg. „Baden-Württemberg ist ein herausragender Standort für die biomedizinische Grundlagenforschung und den Transfer, das hat nicht zuletzt die schnelle Entwicklung von Impfstoffen gegen das Corona-Virus im vergangenen Jahr gezeigt“, erläuterte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer in ihrem Grußwort. „Ohne Tierversuche wäre dies nicht möglich gewesen.“ Daher sei es wichtig und ethisch geboten, ambitionierte Strategien zu verlässlichen Alternativmethoden zu entwickeln, um den Einsatz von Tieren auf ein Minimum zu reduzieren. „Mit dem Aufbau eines flächendeckenden 3R-Netzwerks, das alle wesentlichen biomedizinischen Standorte im Land einbezieht, wählt Baden-Württemberg einen neuen Ansatz, um die wissenschaftliche Forschung und den Tierschutz gleichermaßen zu verbessern.“
Menschliches Tumorgewebe statt Mäuse
Wie dies im Rahmen des 3R-Netzwerks umgesetzt werden soll, zeigten die zehn Netzwerkpartner*innen bei der Tagung in jeweils 10-minütigen Kurzvorträgen. Mit dabei war auch Prof. Monilola Olayioye vom Institut für Zellbiologie und Immunologie (IZI) der Universität Stuttgart, die das von ihr koordinierte Projekt 3R-US vorstellte. Ziel dieses Projekts, an dem auch das Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme (IBBS) der Universität Stuttgart sowie das Robert Bosch-Krankenhaus beteiligt sind, ist die Entwicklung einer Technologie-Plattform für das Wirkstoff-Screening für Krebserkrankungen, eine der Haupttodesursachen weltweit.
Zulassungsquote von Wirkstoffen bisher oft nur bei fünf Prozent
„Viele Wirkstoffe gegen das Tumorwachstum werden präklinisch erfolgreich getestet, doch die spätere Zulassungsquote liegt bei eben mal fünf Prozent. Und selbst auf zugelassene Therapien sprechen Tumoren häufig nicht an“, schildert Monilola Olayioye das Problem. „Einer der Gründe dafür liegt darin, dass die gängigen Versuche an Mäusen nur sehr bedingt auf Menschen übertragbar sind. Humanes Tumorgewebe hat eine sehr komplexe Zusammensetzung, die im Mausmodell nur unzureichend abgebildet wird.“ Daher will 3R-US Technologien und Analysemethoden zur Verfügung stellen, die auf primärem Tumorgewebe beim Menschen basieren und die Versuche an Mäusen nach und nach ersetzen sollen.
Gewebeschnitte, 3D-Druck und Simulationen
Die Bausteine auf dem Weg dahin lauten ex vivo (vaskularisierte Gewebeschnitte), de novo (3D-Druck von Tumormodellen) und in silico (mathematische Modellierung). Ex vivo bedeutet, dass ein Wirkstoff direkt an Schnitten von menschlichem Tumorgewebe getestet wird, die kontinuierlich mit Nähr- und Wirkstoffen versorgt werden. „Dies gewährleistet eine hohe Zuverlässigkeit und Übertragbarkeit der gewonnenen Daten auf die Patientinnen und Patienten“, erklärt Olayioye. Weil die Gewebe jedoch nur einmal verwendet werden können, fertigt die Gruppe um Prof. Michael Heymann am IBBS gewebeähnliche Strukturen aus Biomaterialien und Zellen und kultiviert diese in einem mikrofluidischen System – winzigen Kammern, die eine dosierte Zufuhr von Wirkstoffen erlauben (de novo). Die Daten aus beiden Stufen sollen schließlich in die Entwicklung von mathematischen Modellen einfließen (in silico), die realistische Vorhersagen über die Wirkstoffverteilung im Gewebe ermöglichen. Die Tumorgewebe-Plattform soll weiterhin eingesetzt werden für die Testung von therapeutischen Antikörpern, die in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Prof. Roland Kontermann (IZI) entwickelt werden.
„Mit dem Projekt wollen wir verlässliche Zusammenhänge zwischen molekularen und zellulären Tumormerkmalen, klinischen Parametern und der Therapieeffizienz herstellen“, sagt Olayioye. „Wir hoffen, so die Lücke zwischen präklinischer Forschung und Medikamentenzulassung schließen und Tierversuche erheblich reduzieren oder sogar vermeiden zu können.“
Kontakt:
Prof. Dr. Monilola Olayioye. Institut für Zellbiologie und Immunologie, Tel. 0711 685 69301, E-Mail