Mensch denkt, Wolke lenkt

Forscher arbeiten an cloudbasierter Steuerungstechnik für die Produktion

Automatische Software-Updates aus der Cloud könnten die Produktionsabläufe effizienter gestalten und die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen.

Maschinen in Fabriken brauchen moderne Steuerungen, um effizient zu arbeiten. Doch oftmals ist die Software, die vor Ort im Einsatz ist, veraltet. Ein Forschungsprojekt der Universität Stuttgart arbeitet daran, Steuerungen aus der Ferne zu aktualisieren oder komplett zu erneuern. Das hätte zahlreiche Vorteile.

Moderne Produktionsmaschinen sind Multitalente. Das wird am Beispiel einer hochflexiblen Möbelfabrik deutlich: Holzplatten gleiten auf Förderbändern zum Bestimmungsort, werden von Sägen zerteilt und mit Fräsern bearbeitet. Es sind viele Arbeitsschritte, die diese Maschinen vollautomatisch verrichten – hochpräzise und sauber. Dabei garantieren komplexe Steuerungen, dass jede Maschine stets genau weiß, welches Teil sie wie bearbeiten muss. Zum Kunden gehen schließlich maßgefertigte Anrichten, Regale oder Kommoden, die industriell hergestellt wurden. Steuerungen sind das Gehirn einer Produktionsanlage – egal, ob hier Möbel, Maschinenteile oder Autozubehör gefertigt werden. Die elektronischen Baugruppen sitzen bislang entweder direkt in den Maschinen oder aber in verkabelten Schaltschränken, die einige Meter von der Produktionslinie entfernt in der Fabrikhalle stehen. In ihnen arbeitet komplexe Software, die den Fertigungsprozess nach den Vorgaben des Unternehmens lenkt. Auf solche Computerprogramme sind Fabriken heute angewiesen, um Aufträge effizient abzuwickeln.

Doch besagte Programme sind häufig veraltet. Denn anders als im Windows-Rechner werden sie nicht alle paar Monate via Internet auf den neuesten Stand gebracht. Im Gegenteil: Das Update von Maschinen ist in vielen Unternehmen eine organisatorische Herausforderung. „Nicht selten läuft ein Techniker mit einem USB-Stick in der Halle herum, um auf diese Weise ein notwendiges Update aufzuspielen“, sagt Prof. Alexander Verl. Der Wissenschaftler leitet an der Universität Stuttgart das Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen. In seinem Forschungsgebiet geht er der Frage nach, inwiefern sich industrielle Steuerungstechnik in die Cloud verlagern lässt. Unter der Cloud versteht man eine zentrale Recheneinheit, die sich möglicherweise Hunderte Kilometer entfernt bei einem Dienstleister befindet, aber mit dem Netzwerk der Fabrik verbunden ist. Eine solche virtuelle Maschinensteuerung hätte den Vorteil, dass Fertigungssoftware in Minuten auf den neuesten Stand gebracht oder sogar komplett ausgetauscht werden könnte.

Software ist der Schlüssel zum Erfolg

Damit würden sich neue Möglichkeiten in der Produktion ergeben. Bislang sind automatisierte Fertigungsprozesse hierarchisch organisiert. Das heißt: Die oberen Führungsebenen treffen die Entscheidung über eine Modernisierung, die Stufen darunter setzen den Plan um – bis schließlich die jeweilige Maschine mit einer neuen Software ausgestattet ist. Dieses Vorgehen hat Vorteile, hemmt aber die in der heutigen Fertigung immer wichtiger werdende Flexibilität. Aus einer Cloud heraus könnten Maschinen automatisch ein Software-Update erhalten, sobald dieses zur Verfügung steht.

Im Werkzeugmaschinenbau ist die Software inzwischen das entscheidende Element. Antrieb oder Mechanik sind ausgereift und lassen sich kaum mehr besser machen. „Die Hardware ist oft austauschbar“, sagt Verl. Nicht zuletzt deshalb, weil die Werkzeugmaschinenbauer diese Komponenten bei einer immer kleiner werdenden Zahl von Zulieferern kaufen. „Im Wettbewerb kann man sich ohne eigene Software kaum mehr absetzen“, so Verl, denn: Die Güte der im Hintergrund laufenden Programme bestimmt die Qualität einer Maschine. Wenn beispielsweise eine vollautomatische Fräse eine Holzplatte bearbeitet, soll sie das möglichst präzise und schnell tun. Je moderner die Software, desto effizienter kann auch eine in die Jahre gekommene Mechanik die Aufgabe verrichten. Aktualisierte Steuerungsprogramme könnten künftig per Mausklick von der Cloud direkt auf die Maschine gespielt und sofort angewendet werden.

Die moderne Fertigung beruht auf Vernetzung: Gemeinsam bilden Maschinen intelligente Lösungen, indem die einzelnen Geräte Hand in Hand arbeiten – voll vernetzt mit durchgängigem Datenfluss.
Die moderne Fertigung beruht auf Vernetzung: Gemeinsam bilden Maschinen intelligente Lösungen, indem die einzelnen Geräte Hand in Hand arbeiten – voll vernetzt mit durchgängigem Datenfluss.

Neue Dienste mit Mehrwert

Ähnliches gilt für besondere Funktionen – wie etwa die Kollisionsüberwachung. Die dazugehörige Software stellt sicher, dass mechanische Arme, die ein Werkzeug führen, keinen Schaden durch kollisionsbehaftete Bewegungen verursachen. Das Programm kennt Länge, Breite und Höhe der Maschine sowie das Aktionsfeld von Werkzeug und Arm. Mit diesen Angaben kann die Software im Vorfeld berechnen, welche Bewegungen in den nächsten Arbeitsschritten erfolgen – und lässt vom ersten Arbeitsschritt an das Werkstück so bearbeiten, dass es zu keinen Zusammenstößen kommt.

Ob eine Kollisionskontrolle mitlaufen muss, hängt auch davon ab, was und wie gefertigt wird. Manchmal ist sie gar nicht nötig und kann abgeschaltet werden. Was Ressourcen schont, denn der zusätzliche Prozess kostet Rechenleistung und manchmal auch Zeit. „Die Kollisionsüberwachung könnte also als Mehrwertdienst nur dann bezahlt und von der Cloud aus zugeschaltet werden, wenn sie wirklich benötigt wird“, sagt Felix Kretschmer, Experte für vernetzte Produktion am Lehrstuhl von Professor Verl. Kretschmer ist Koordinator des Projekts Industrielle CloudbASierte SteuerungsplattfOrm für eine Produktion mit cyberphysischen Systemen, kurz pICASSO. Technologieunternehmen forschen dort gemeinsam mit Instituten der Universität Stuttgart daran, wie die Industrieproduktion durch die flexible Bereitstellung von Steuerungstechnik effizienter arbeiten kann. Das Projekt wird vom Bundesforschungsministerium gefördert und vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) betreut.

Viele Funktionen von Fertigungsanlagen können herauslöst und in die Cloud ausgelagert werden – aber nicht jede. Sensoren, die Abmessungen eines Werkstücks ermitteln, müssen selbstverständlich an der Maschine bleiben. „Aber alles, was daraus berechnet wird, kann in der Cloud gelöst werden“, sagt Verl. Diese Vorgänge müssen sehr schnell erfolgen. In der Regel in einigen Millisekunden. Wer häufig im Internet surft, weiß, wie schwierig das sein kann. Doch während der Nutzer im Büro nur genervt ist, wenn das Internet hängt, können lange Übertragungszeiten in der Fertigung ernste Folgen haben. „Eine drehende Sanduhr, die man vom PC kennt, bedeutet bei Werkzeugmaschinen eventuell einen Totalausfall“, verdeutlicht Kretschmer. Oder verursacht teure Produktionsfehler: Schneidet sich ein Fräser durchs Holz und bleibt an einer Stelle stehen, entsteht ein schwarzer Brandfleck. Das Werkstück ist beschädigt und kann nicht weiter verarbeitet werden. Die Qualität der Kommunikationsverbindung ist deshalb entscheidend.

Auch in der Möbelindustrie gewinnt die Digitalisierung an Bedeutung: Inzwischen fertigen vernetzte Produktionsanlagen wie zum Beispiel bei der Dürr-Tochter HOMAG Group individuelle Küchen in Losgröße 1, aber mit der Effizienz einer hochautomatisierten Serienproduktion.

Lichtgeschwindigkeit setzt die Grenze

Die Übertragungsgeschwindigkeit hängt auch von der verwendeten Netzwerktechnik ab. Sie muss sicherstellen, dass die Signale einer Fertigungsanlage Vorfahrt in dem genutzten Kommunikationsnetz haben. Zudem müssen die Daten aus der Cloud exakt zum selben Zeitpunkt an der Fertigungsanlage ankommen. „Wir erforschen Mechanismen, die das möglich machen“, erklärt Verl.

Eine Lösung bieten sogenannte zeitsensible Netzwerke (Time-sensitive Networking). Ihre Funktion lässt sich an Heimlautsprechern verdeutlichen, die über das WLAN-Netz miteinander verbunden sind. Auch dort ist es wichtig, dass Signale bei mehreren Boxen zeitgleich ankommen. Zum ersten Mal möglich gemacht hat das eine Technologie der Firma Sonos. „Ihnen ist es gelungen, eine Vorfahrtsregelung im WLAN-Netz zu schaffen“, so Verl. Auf ähnliche Weise wird heute versucht, Datenpakete für die Produktion zu verschicken. Einer der wichtigsten Belange dabei ist, die derzeit noch sehr verschiedenen Standards zu vereinheitlichen. Unendlich schnell werden sich Daten allerdings nicht übertragen lassen: Die Lichtgeschwindigkeit, mit der sich elektronische Signale bewegen, setzt Grenzen. Im Rahmen von pICASSO wurde zum Beispiel die Zeit gemessen, die ein elektronisches Signal benötigt, um vom Google-Rechenzentrum in Nordeuropa nach Stuttgart und zurück zu gelangen. Die untere Grenze lag bei 20 Millisekunden. In der Fertigung gibt es aber Funktionen, bei denen eine Millisekunde der kritische Wert ist. „Das heißt, die Steuerung für eine Anwendung in Stuttgart darf in so einem Fall höchstens 150 Kilometer entfernt stehen, zum Beispiel in Frankfurt“, beschreibt Verl die Herausforderung. Für ein unüberwindbares Hindernis hält er diese Einschränkung nicht. Die Clouds könnten sich in verschiedenen Rechenzentren befi nden, von denen aus sie Fabriken in der Region schnell erreichen. Auch sei es denkbar, dass sich Unternehmen eigene Clouds einrichten, möglichst zentral, in der Nähe ihrer Standorte.

Kampf gegen Hacker aus der Cloud

Eine weitere Herausforderung für cloudbasierte Steuerungen ist das Thema Sicherheit. Auch damit beschäftigen sich die Forschenden im Projekt pICASSO. Dass es möglich ist, über ein IT-System in Industrieanlagen einzudringen, haben Hacker schon mehrfach bewiesen. Cyberkriminellen gelang es zum Beispiel 2014 den Hochofen eines Stahlwerks in Deutschland lahmzulegen. Der israelische Geheimdienst nutzte vor einigen Jahren den Computerwurm Stuxnet, um das iranische Atomprogramm zu sabotieren. Läuft die Verbindung zwischen Steuerung und Anlage künftig über offene Netze, könnten Hacker theoretisch Wege finden, um dort einzudringen. Der Anspruch an die IT-Sicherheit ist deshalb hoch. Nur wer berechtigt ist, darf Zugang zu den Daten bekommen. Eine Manipulation muss ausgeschlossen sein. Zugleich sollen die Daten aber immer dann verfügbar sein, wenn sie gebraucht werden. Selbstverständlich müssen die Daten verschlüsselt werden.

Ob das auf der gesamten Strecke von der Cloud bis zur Maschine passieren soll, ist jedoch nicht unumstritten. Denn die Interessen der Beteiligten sind unterschiedlich. Der Betreiber der Fertigungsanlage will den Zugang zu seinen Maschinen streng kontrollieren. Das heißt, er will wissen, woher die Daten kommen, die auf seine Anlagen zugreifen bzw. dort eingespeist werden. Für ihn kommt es deshalb nicht infrage, dass die Übermittlung von Anfang bis Ende verschlüsselt wird. Zumindest bevor die Daten seine Maschine erreichen, will er kontrollieren, woher sie kommen. Daran ist der Betreiber der Cloud aber nicht interessiert. Er will sein Know-how schützen, das in den übertragenen Daten enthalten ist. Niemand außer er selbst soll Einblick haben. Der Interessenausgleich zwischen Absender und Empfänger ist deshalb eine wichtige Voraussetzung, um den Datenstrom wirksam zu überwachen.

Neue Dimension der IT-Sicherheit

Inzwischen ist die Verschlüsselungstechnik weitgehend sicher. „Selbst Geheimdienste knabbern heute ziemlich lange daran, die Codes zu knacken“, sagt Verl. Sie werden heute meist deshalb entziffert, weil jemand ausspioniert wurde, der den Schlüssel besitzt. Das passiert zum Teil mit ganz einfachen Mitteln. Zum Beispiel, indem sich jemand Zugang zu Firmenräumen verschafft und die entsprechenden Kennwörter stiehlt. Ein wichtiges Einfallstor für Hacker sind jedoch nicht nur die neuen IT-Anwendungen, sondern vor allem auch die alten.

„In einigen Fabriken wird noch mit Betriebssystemen gearbeitet, die 20 Jahre alt sind“, weiß Verl. Eine einzige USB-Schnittstelle kann hier reichen, um eine Maschine zu manipulieren. Die Maschinenhersteller sind allerdings froh, wenn ihre Technik funktioniert und sie sich verkauft. Die meisten sind deswegen gar nicht daran interessiert, sie ständig zu modernisieren. Doch genau dadurch können sie zum Ziel von Cyberkriminellen werden. Für Verl ist das ein wichtiges Argument: „Von der Cloud aus lässt sich eine Maschine stets auf dem neuesten technischen Stand halten – auch, was die Sicherheit betrifft.“

Heimo Fischer

  • Prof. Dr.-Ing. Alexander Verl, Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW), Tel. +49 711 685-82422, E-MailWebsite
  • Dipl.-Ing. Felix Kretschmer, Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW), Tel. +49 711 685-82534, E-MailWebsite

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