Mit Diamant zu kleineren Festplatten

Quantentechnologie erlaubt die Vermessung des Magnetfelds von Schreibköpfen im Nanobereich

Immer mehr Information auf immer weniger Fläche – so lautet seit Jahrzehnten der Trend bei der Speicherung digitaler Daten. Doch die Miniaturisierung ist an Grenzen gestoßen. An der Universität Stuttgart durchbricht man sie gerade.

Die erste IBM-Festplatte aus dem Jahr 1956 wog über eine Tonne und hatte bei einem Durchmesser von 61 Zentimetern eine Speicherkapazität von knapp 4 MB. Heute passen fünf Terrabyte auf wenige Zentimeter, und der Speicherplatz für ein einzelnes Bit beträgt noch 20 Nanometer, tausende Male kleiner als ein menschliches Haar. Doch für die im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung rasant wachsenden Datenmengen der Zukunft sind weitaus höhere Speicherdichten erforderlich.

Will man die Herausforderungen dabei verstehen, muss man wissen, wie eine Festplatte beschrieben wird: Ein Bit wird gespeichert, indem der Schreibkopf, ein winziger Elektromagnet, einen Fleck auf der Festplatte magnetisiert. Dabei muss er innerhalb von milliardstel Sekunden ein starkes Magnetfeld präzise anlegen, ohne benachbarte Bits zu überschreiben. Schon jetzt ist jedoch ein Bit weitaus kleiner als die Auflösung gängiger Mikrosensoren. Daher sind diese kaum noch in der Lage, genaue Daten über die Beschaffenheit des Magnetfelds zu liefern. „Neue Schreibköpfe können derzeit nur mit Hilfe von Simulationen nach dem Prinzip ‚trial and error‘ entwickelt werden“, erklärt Ingmar Jakobi, Doktorand am 3. Physikalischen Institut der Universität Stuttgart. „Für die weitere Miniaturisierung ihrer Geräte ist die Industrie auf neue Sensoren angewiesen.“

Um ein Schreibfeld auf der dafür erforderlichen Längenskala zu vermessen, setzten die Physiker auf Diamant.
Um ein Schreibfeld auf der dafür erforderlichen Längenskala zu vermessen, setzten die Physiker auf Diamant.

Der 32-jährige Forscher gehört einer Gruppe um Prof. Jörg Wrachtrup an, der es erstmals gelungen ist, ein Schreibfeld auf der dafür erforderlichen Längenskala zu vermessen. Hierfür setzten die Physiker auf einen Stoff, der sonst eher beim Juwelier zu bewundern ist: auf Diamant. Genauer gesagt auf die Stickstofffehlstellen darin, die in hohen Konzentrationen einem Schmuckstein eine pinke Färbung verleihen. Diese Farbzentren sind atomare Störungen im Kristallgitter des Diamanten, bei denen ein Kohlenstoffatom durch ein Stickstoffatom ersetzt ist und ein benachbarter Gitterplatz leer steht. In dieser Struktur verfangen sich einzelne Elektronen, die mit ihrem Spin, also einem quantenmechanischen Elementarmagneten, sensibel auf Magnetfelder reagieren, ansonsten aber weitgehend von der Umgebung abgeschirmt sind. Das Verhalten des Spins wirkt sich auf die Fluoreszenz des Farbzentrums aus. Somit kann ein Magnetfeld am Ort eines einzelnen Farbzentrums mit einem Mikroskop optisch ausgelesen werden.

Feldstärken von wenigen Mikrotesla bis zu hunderten Millitesla messbar

Die Wissenschaftler um Wrachtrup rasterten nun im Experiment einen Festplattenschreibkopf schrittweise über die Oberfläche eines Diamantkristalls, in dem sich die Farbzentren dicht unter der Oberfläche befinden. Dabei konnten sie mit einem Farbzentrum Feldstärken von wenigen Mikrotesla bis zu hunderten Millitesla messen - sowohl statische Felder, als auch Wechselfelder mit Frequenzen bis zum Gigahertz-Bereich.

„Das Einzigartige an unserem Magnetfeldsensor ist seine ‚Größe‘. Der Gitterabstand von Atomen in Diamant beträgt nur 150 Pikometer, das ist 1000 Mal kleiner als der Pol des Schreibkopfs und 100 Mal kleiner als ein Bit auf der Festplatte“, erklärt Ingmar Jakobi, der als Erstautor die Ergebnisse der Studie in der Fachzeitschrift Nature Nanotechnology* veröffentlichen konnte. Zudem sei der Sensor leicht handhabbar: „Da der Spin in der Fehlstelle gefangen ist, vermessen wir nur das Volumen eines Atoms, können aber die Position dank der Größe des gesamten Kristalls sehr einfach steuern. Die Auflösungen hängen dann nur davon ab, wie genau wir den  Diamanten bewegen und wie dicht der Festplattenkopf auf der Oberfläche aufsitzt.“

Die Ergebnisse zeigen, dass sich Schreibköpfe für unsere Experimente eignen und wir die außerordentlichen Eigenschaften des Schreibfeldes ausnutzen können.

Institutsleiter Prof. Jörg Wrachtrup

Das Projekt sei auch ein Vorzeigebeispiel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Industrie und Wissenschaft, heißt es bei Seagate Technology, einem der führenden Hersteller von Festplatten: „Schreibköpfe sind darauf ausgelegt, gewaltige Magnetfelder auf kleinstem Raum zu erzeugen, um größtmögliche Speicherdichten zu erreichen. Diese Felder auch auf Nanometern vermessen zu können ist, eine großartige Entwicklung für unsere Industrie“, sagt Dr. Fadi El Hallak, leitender Entwickler bei Seagate und Koautor der Studie.

Kernspintomographie an einzelnen Molekülen

Für Institutsleiter Prof. Jörg Wrachtrup sind die Ergebnisse, die im Rahmen des Sonderforschungsbereichs SFB/TR 21 erzielt wurden, ein wichtiger Schritt, um die Quantentechnologie einer weiteren praktischen Anwendung nahezubringen. Für das Forschungsgebiet selbst eröffnen sich Perspektiven, die weit über die Mikroelektronik hinausweisen, hofft Wrachtrup: „Die Ergebnisse zeigen, dass sich Schreibköpfe für unsere Experimente eignen und wir die außerordentlichen Eigenschaften des Schreibfeldes ausnutzen können. Der starke Gradient des Feldes könnte es uns zum Beispiel ermöglichen, mit Stickstofffehlstellen Kernspintomographie an einzelnen Molekülen zu betreiben.“ Derartige Folgeprojekte könnten in das internationale Zentrum für Angewandte Quantentechnologien ZAQuant an der Universität Stuttgart eingebunden werden, in dem Physik, Ingenieurwissenschaften und Industrie gemeinsam neuartige Quantensensoren bis zum einsatzfähigen Prototypen erforschen und entwickeln wollen. Andrea Mayer-Grenu

Ingmar Jakobi, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, 3. Physikalisches Institut, Tel. +49 711 685-65578, E-Mail

Originalpublikation: „Measuring broadband magnetic fields on the nanoscale using a hybrid quantum register“, Ingmar Jakobi, et al., Nature Nanotechnology 12, 67-72 (2017).

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