Die Natur als Vorbild

Von der Grille zum behaarten Flugzeugflügel: Doktorand Gabriel Axtmann will Oberflächenströmungen verbessern und deren Messung vereinfachen. Dabei orientiert er sich an der Natur.

Es ist die große Vision der Ingenieure: höchste Treibstoffeffizienz bei Flugzeugen, Autos und Zügen dank nahezu turbulenzfreier Oberflächenströmung. Dazu ist allerdings noch viel Grundlagenforschung mit bisher sehr aufwendigen Forschungsmethoden notwendig. Gabriel Axtmann vom Institut für Aerodynamik und Gasdynamik der Universität Stuttgart arbeitet an einer Lösung, die nicht nur die Strömungsmessung erleichtert, sondern auch technisch leicht umzusetzen wäre. Dazu nimmt sich der Doktorand die Natur zum Vorbild – ganz speziell: die Grille.

Im Mittelpunkt des Forscherinteresses steht die Schwelle, an der laminare Strömung in turbulente Strömung umschlägt.
Im Mittelpunkt des Forscherinteresses steht die Schwelle, an der laminare Strömung in turbulente Strömung umschlägt.

Die Grille kann mithilfe von feinen Härchen an ihren Hinterleibsanhängen akustische Wellen aus der Umgebung wahrnehmen und interpretieren. Das ist überlebensnotwendig: Je nachdem, wie Druckwellen die sensorischen Härchen verbiegen, kann die Grille zum Beispiel einschätzen, wie groß und gefährlich ein sich näherndes Objekt ist. Dieses Prinzip nutzt Gabriel Axtmann für seine Forschungsarbeit. Die Grundidee lässt sich am Beispiel eines Flugzeugflügels verdeutlichen. Im Mittelpunkt des Forscherinteresses steht die Schwelle, an der laminare Strömung in turbulente Strömung umschlägt. 

Strömungsereignisse sind am Comupter sichtbar

Der erste große Schritt ist, diesen sogenannten Transitionspunkt sichtbar zu machen und zu interpretieren. Die Experimente dazu führte der Ingenieur ausschließlich am Computer durch – ein Vorteil gegenüber aufwendigen Strömungsmessmethoden wie der „Particle Image Velocimetry“ (PIV). In Axtmanns Forschungsdesign sind die Härchen als mathematisches Gitternetz dargestellt. Auf diese Matrix treffen virtuelle Wirbel. Je nachdem, welche Form, Geschwindigkeit und Ausbreitung diese Wirbel aufweisen, biegen sich die Härchen auf eine spezifische Weise. Deren sensorische Reaktion spiegeln also das Strömungsereignis wider.

Je nachdem, welche Form, Geschwindigkeit und Ausbreitung diese Wirbel aufweisen, biegen sich die Härchen auf eine spezifische Weise.
Je nachdem, welche Form, Geschwindigkeit und Ausbreitung diese Wirbel aufweisen, biegen sich die Härchen auf eine spezifische Weise.

Die programmierten Algorithmen können so Strömungsunterschiede erkennen und damit den Transitionspunkt bestimmen.
Im nächsten Schritt untersucht der Nachwuchsforscher, wie Flügel laminarer konstruiert werden können. Die Idee: Die Härchen reagieren nicht nur, sondern wirken aktiv auf die Strömung ein. Etwa indem sie steifer oder vibrierend modelliert werden. So können sie einen Impuls zurückgeben, der die Strömung mit Energie auflädt und sie dadurch dazu bringt, länger an der Oberfläche zu haften. Die Folge: Der Transitionspunkt verschiebt sich. In der Praxis könnten Flugzeugflügel an definierten Stellen mit Haarteppichen beklebt werden, die dann auf die Strömung einwirken und den Flügel deutlich treibstoffeffizienter machen. Die Idee ist auch auf Züge, Autos, Ventilatoren, stationäre Gasturbinen und Windenergieanlagen übertragbar. Ihr Ursprung aber liegt in der Natur – bei einer einfachen Grille. Linny Bieber

Bionik - was ist das?

Die Bionik befasst sich mit der kreativen Übertragung von Naturphänomenen auf die Technik. Diesem interdiszipliniären Forschungsfeld liegt die Idee zugrunde, dass sich in der belebten Natur durch die evolutionären Entwicklungen Strukturen, Prozesse und Lösungen herausgebildet haben, die der Mensch - systematisch auf technische Objekte und Verfahren angewandt - nutzen kann. Auch an der Universität Stuttgart spielt die Bionik in vielen Forschungsbereichen eine wichtige Rolle.

Zum Seitenanfang