Rendering eines Minisatelliten

Minisatellit erprobt schnellere Daten­übertragung aus dem All

forschung leben – das Magazin der Universität Stuttgart

Die Mobilität und Logistik der Zukunft erfordern hohe Datenraten. Ein Satellitenprojekt an der Universität Stuttgart erschließt dafür ein neues Frequenzband.
[Foto: Universität Stuttgart/IRS]

Da oben ist es voll: Mehr als 2000 funktionsfähige Satelliten umrunden die Erde. Und es wird noch voller: Einige Unternehmen wollen in den kommenden Jahren zigtausend zusätzliche Satelliten ins All schießen. Allein die Raumfahrtfirma SpaceX, an deren Spitze Tesla-Chef Elon Musk steht, plant, bis 2022 mit mehr als 1500 Satelliten Breitbandinternet anzubieten. „Satelliten sind schon heute Teil der weltweiten Internetinfrastruktur“, erklärt Sabine Klinkner, Professorin am Institut für Raumfahrtsysteme (IRS) der Universität Stuttgart. „Einerseits bilden sie zusammen mit Unterseekabeln das Rückgrat der interkontinentalen Datenübertragung, andererseits bieten sie Nutzern in telekommunikationstechnisch schlecht erschlossenen Regionen einen alternativen Breitbandzugang zum Internet.“

Porträtbild
Prof. Sabine Klinkner

Wenn nun Unternehmen wie SpaceX viele zusätzliche Satelliten starten wollen, dann hat das unmittelbar mit der fortschreitenden Digitalisierung vieler Lebensbereiche zu tun. „Das autonome Fahren oder die logistische Überwachung der Warenströme weltweit werden große Mengen an Sensor- und Navigationsdaten erzeugen, die ohne Verzögerung den Nutzern über das Internet zur Verfügung stehen müssen“, sagt Klinkner. 

„Die heutigen Frequenzbänder, die für den Datentransfer via Satelliten bereitstehen, sind aber schon ziemlich ausgelastet.“ Es ist also nicht nur in der Erdumlaufbahn voll, sondern auch bei der Datenübertragung zwischen Satelliten und Bodenstationen. 

Damit die Daten künftig nicht nur in den Glasfaser- und den neuen 5G-Mobilfunknetzen flott unterwegs sind, müssen daher auch die Funkverbindungen zu den betreffenden Satelliten aufgebohrt werden. „Hierfür müssen wir neue Frequenzbänder erschließen“, sagt die Stuttgarter Raumfahrtingenieurin. Daran forscht sie mit ihrem Team im 2019 gestarteten Projekt EIVE (Exploratory In-Orbit Verification of an E/W-Band Satellite Communication Link).

Nachweis unter Weltraumbedingungen

EIVE, gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, wird koordiniert vom Institut für Robuste Leistungshalbleitersysteme (ILH) unter Leitung von Prof. Ingmar Kallfass. Zum Stuttgarter Team aus ILH und IRS kommen weitere Partner: das Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik IAF sowie die beiden Unternehmen RPG-Radiometer Physics und Tesat-Spacecom. In dem auf drei Jahre angelegten Forschungsprojekt entsteht ein Minisatellit, mit dem eine breitbandige Funkverbindung zu einer Bodenstation in einem bislang ungenutzten Frequenzbereich zwischen 71 und 76 Gigahertz erprobt werden soll.

„Dieses sogenannte E-Band liegt oberhalb der etablierten Frequenzbereiche, die in der Satellitenkommunikation und beim Militär eine Rolle spielen“, sagt Kallfass. Jene Frequenzbereiche liegen zwischen einem und 40 Gigahertz. Das E-Band dagegen ist Neuland. Ob dort überhaupt eine Übertragung mit hoher Datenrate möglich ist, das soll untersucht werden. 

„Das Funksignal zwischen Bodenstation und Satellit muss durch die Erdatmosphäre hindurch“, erklärt Kallfass. „An einem klaren, sonnigen Tag ist das kein Problem. Aber Regenwolken streuen das Signal stark, wegen der vielen Wassermoleküle.“

Die Voraussetzungen für eine schnelle Datenübertragung im E-Band sind jedenfalls nicht schlecht. Theoretisch, weil aufgrund physikalischer Gesetzmäßigkeiten die Datenrate mit der Übertragungsfrequenz steigt. Praktisch, weil das ILH-Team bereits zwei Weltrekorde im E-Band geschafft hat: die höchste Kombination aus Datenrate und Distanz bei einer Funkübertragung zwischen zwei Orten auf der Erde sowie zwischen einem Flugzeug und einer Bodenstation – 6 Gigabit pro Sekunde über eine Distanz von 37 Kilometern beziehungsweise 9,8 Gigabit pro Sekunde vom Flugzeug. Das entspräche einer Versorgung von 120 beziehungsweise knapp 200 DSL-Anschlüssen mit 50 Megabit pro Sekunde. Doch in den Ingenieur- und Naturwissenschaften geht es letztlich nicht nur um die Extrapolation von bekanntem Wissen, sondern auch um den experimentellen Nachweis, im konkreten Fall unter Weltraumbedingungen. Den will das Projektteam mit EIVE erbringen.

Satellit von der Größe eines Schuhkartons

Klinkners Team baut den Satelliten. „Wir nutzen dazu den CubeSat-Standard, der inzwischen für Minisatelliten in der Raumfahrt etabliert ist“, sagt die Professorin. Ein CubeSat besteht aus würfelförmigen Einheiten mit zehn Zentimetern Kantenlänge. Ähnlich wie bei Legosteinen lassen sich solche Würfel zu größeren Einheiten zusammensetzen. Der große Vorteil: Praktisch alle kommerziell verfügbaren Raketen können solche CubeSats in einer ebenfalls standardisierten Vorrichtung transportieren und im All aussetzen. Und weil die Satelliten so klein sind, können sie verhältnismäßig günstig mitfliegen, quasi als Beifang. Durch dieses vor zwei Jahrzehnten etablierte Konzept sinken die Entwicklungs- und Startkosten drastisch – und werden kleine Satelliten für Hochschulen erschwinglich. „Flying Laptop“ nannten Klinkner und ihr Team aus Studierenden und Promovierenden den ersten Satelliten, den sie entwickelten und 2017 mit einer russischen Sojus-Rakete ins All beförderten. Er beruhte allerdings nicht auf dem CubeSat-Konzept.

Rendering des Minisatelliten EIVE-CubeSat
Der EIVE-CubeSat besteht aus würfelförmigen Elementen und wird ungefähr so groß wie ein Schuhkarton.

Der EIVE-Satellit wird ungefähr so groß sein wie ein Schuhkarton. Außen trägt er zwei Solarmodule, die sich im All ausklappen lassen. In seinem Innern befinden sich wie bei jedem Satelliten die Elektronik, mit der sich der Satellit auf der Erdumlaufbahn ausrichten und orientieren kann, sowie ein Energiespeicher und die Funktechnik für die Kontrolle durch die Bodenstation. Das verbleibende Volumen, gut ein Drittel, ist der Nutzlast vorbehalten – also der Technik, die für die E-Band-Tests erforderlich ist. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine Antenne, mehrere Verstärker und eine Videokamera.

„Wenn wir Glück haben, könnten wir die Ersten sein, denen es tatsächlich gelingt.“

Raumfahrtingenieurin Prof. Sabine Klinkner

Wenn der Satellit 2022 ins All gelangt, wird er sich in etwas größerer Höhe um die Erde bewegen als die Internationale Raumstation. Klinkners Team wird an der Stuttgarter Bodenstation auf dem Uni-Campus den Satelliten überwachen, während das Team von Kallfass die Funkexperimente durchführen wird. Es will die Funkqualität im E-Band bei verschiedenen Wetterbedingungen untersuchen und dafür zunächst künstlich erzeugte Daten vom Satelliten verwenden. Später will das Team die unkomprimierten Videodaten der zur Erde gerichteten Kamera in Echtzeit und vierfacher Full-HD-Auflösung übertragen. Die Datenrate soll dabei zehn Gigabit pro Sekunde erreichen. Schließlich will das Team Kameradaten von verschiedenen Orten der Erde aufnehmen, auf dem Satelliten zwischenspeichern und jeweils beim Überflug zur Stuttgarter Bodenstation übertragen.

„Obwohl das E-Band als vielversprechender Frequenzbereich für die breitbandige Satellitenkommunikation gilt, befassen sich nur wenige Institute mit der experimentellen Erforschung unter realen Bedingungen“, sagt Klinkner. „Aber wenn wir Glück haben, könnten wir die Ersten sein, denen es tatsächlich gelingt.“

Text: Michael Vogel

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