Dass die Verkehrswende kommen muss, ist überwiegend Konsens, doch beim Wie streiten sich die Geister. Die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer reflektiert in einem Gastbeitrag Wege aus dem Autoland, zukunftsweisende Mobilitätsvisionen und die Rolle der Wissenschaft.
Die Mobilitätsvisionen der Vergangenheit dominieren heute immer noch unsere Lebenswirklichkeit. Ohne die damaligen Visionen wären unser heutiger wirtschaftlicher Erfolg und Lebenskomfort sicher nicht denkbar. Wir sind dadurch sehr viel mobiler geworden und viel mehr an sozialem Fortschritt wurde dadurch möglich. Denken Sie daran, welche Anerkennung die Ingenieurskunst mit dem Exportprodukt Auto genossen hat, wie Autos ihre Besitzerinnen und Besitzer mit Stolz erfüllt haben, welches Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit sich mit dem eigenen Auto verband und wie sich Automobilindustrie und Ingenieurwissenschaft an den Hochschulen gegenseitig in einer Innovationsspirale befruchtet haben. Die Innovationen waren und sind ein Produkt der damaligen Mobilitätsvision.
Weil wir an vergangene Erfolge anknüpfen wollen, wird es höchste Zeit, neue Mobilitätsvisionen zu entwickeln und umzusetzen. Dass es aus Klimaschutzgründen einer Verkehrswende bedarf, ist heute schon fast gesellschaftlicher Konsens. Bei der Frage, wie das Ganze zu bewerkstelligen ist, sodass es in der Lebenswirklichkeit ankommt und unseren Wohlstand sichert, stehen wir aber noch am Anfang. In einer Demokratie passiert die Veränderung nicht einfach „top-down“. Sie ist ein gesellschaftlicher Kraftakt und bedarf der Überzeugung und Kreativität von vielen.
Ich sehe die Universitäten und Hochschulen als Orte, die diese Veränderung hervorragend mitgestalten können. Hier haben sie die Freiheit, sich ganz grundlegend und unabhängig von einem Geschäftsmodell mit Mobilitätsvisionen und Machbarkeiten auseinanderzusetzen. Für den gesellschaftlichen Diskurs braucht es sichtbare Szenarien, um den Möglichkeitsraum aufzuspannen. Und es braucht Expertinnen und Experten, die die Bürgerinnen und Bürger mit fundierten Analysen informieren. Nicht zuletzt sind Begeisterung und Offenheit für das Neue unverzichtbar, wenn alte Pfade verlassen werden sollen. Das Format der Reallabore geht genau in diese Richtung.
Wir in Baden-Württemberg wollen auch in Zukunft Impulsgeber in Sachen Mobilitätstechnologien sein.
Wissenschaftsministerin Theresia Bauer
Der Campus als Zukunftslabor soll solche Erfahrungsräume ermöglichen. Die Universität Stuttgart hat beispielsweise mit ihrem „Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur“ die Stadtgesellschaft aktiv einbezogen und mit Aktionen für Diskussionsstoff gesorgt. Das steht für eine Wissenschaft, die bei der Zukunftsgestaltung den Dialog sucht, die Anlässe zur Diskussion schafft und eine informierte Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger moderiert. Davon bin ich immer wieder neu begeistert. Das hat uns im Wissenschaftsministerium inspiriert, noch einen Schritt weiter zu gehen. Im Ideenwettbewerb zu Mobilitätskonzepten für den emissionsfreien Campus haben wir elf Hochschulen im Land die Möglichkeit gegeben, mit ihren jeweiligen Stakeholdern ein lokal angepasstes klimaverträgliches Mobilitätskonzept zu entwickeln.
Hochschulen als geeignete Treiber von Veränderung
Gerade bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist der berufliche Erfolg bisher mit überdurchschnittlicher Mobilitätsaktivität verknüpft. Gelingt es hier, verkehrsverträgliche Alternativen zu entwickeln, kann das Vorbild für die Lebensmodelle anderer werden. Deshalb waren die Bedürfnisse der Mobilitätsnutzer*innen im Wettbewerb zentral. Es geht nicht darum, Mobilität einzuschränken, sondern um eine klimaverträgliche und gleichzeitig nutzerzentrierte und attraktive Mobilität. Die Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und Studierenden sind Teil des Experiments. Die Dynamik im Wettbewerb Ende letzten Jahres hat mir gezeigt, dass die Hochschulen geeignete Treiber von Veränderung sein können. Mit engagierten Akteuren, Begeisterung und Tatkraft gelingt es, eine neue Mobilitätspraxis ins Leben zu rufen, die technologisch und ökologisch ambitioniert ist.
Die Universität Stuttgart kann als Preisträger des Wettbewerbs nun die nächsten Schritte zur Umsetzung ihres Mobilitätskonzeptes gehen. Mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2035, mit einem infrastrukturell unterstützten Anreizsystem und innovativen Bausteinen, die die Forschungsleistungen der Universität deutlich machen, ist MobiLab unser Leuchtturm für eine zukunftsfähige Mobilitätsvision. Es geht darum, die Zukunft der Mobilität auf dem Campus erlebbar zu machen.
Musik: Corporate Upbeat Uplifting Pop by RomanSenykMusic.
Optimale Forschungsbedingungen
Gleichzeitig investieren wir in methodische und technologische Entwicklungen, die die Transformation der baden-württembergischen Kernindustrien antreiben. Im Innovationscampus „Mobilität der Zukunft“ bündeln Universität Stuttgart und KIT ihre Kompetenzen in den Bereichen Mobilität und Produktion. Damit wollen wir dem wissenschaftlichen Nachwuchs optimale Forschungsbedingungen bieten, um Technologien mit Impakt auf das Mobilitätssystem auf den Weg zu bringen.
Mit zwei Experimentierfeldern – dem Innovationscampus und den Mobilitätskonzepten – gestaltet das Wissenschaftsministerium das Forschungs- und Innovationsumfeld im Strategiedialog Automobilwirtschaft BW. Schließlich wollen wir in Baden-Württemberg auch in Zukunft Impulsgeber in Sachen Mobilitätstechnologien sein. Das gelingt, wenn Technologien in praxistaugliche Konzepte eingebettet sind, die den Klimazielen gerecht werden, die einfach Begeisterung wecken und die Absolventinnen und Absolventen und Arbeitsplätze im Land halten. Die Begeisterung für die Sache bringt neue Technologien voran, weckt den Unternehmergeist und wird auch unseren internationalen Ruf als Mobilitätsland prägen.