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Ein selbstlernendes Programm erkennt, ob Solarzellen noch intakt sind
[Foto: Jenny/stock adobe]

Mehrere Zehntausend Photovoltaik-Module erzeugen in großen Solarparks gemeinsam Strom. Ob Unwetter oder Alterung einzelne Solarzellen beschädigt haben, ermitteln Experten bislang, indem sie Fotos jeder einzelnen Zelle in diesen Modulen begutachten. Forscherinnen und Forscher der Universität Stuttgart haben ein Computerprogramm darauf trainiert, Millionen Bilder zuverlässig und schnell zu analysieren.

Der Hagelschlag hat dem Solarmodul zugesetzt: Ganze Bereiche auf dem Foto, das das Solarzentrum Stuttgart (SZS) von einem Photovoltaik-Modul aufgenommen hat, sind schwarz. Das heißt, diese Bereiche sind ausgefallen. Denn nur dort, wo die Elektrolumineszenz- Aufnahmen (EL) hell sind, fließt Strom. Die weltweit patentierte Methode der Tageslicht-EL (Daylight Luminescence System DaySy) zur Inspektion großer Solarparks hat das SZS, eine Ausgründung des Instituts für Photovoltaik (IPV) der Universität Stuttgart, zusammen mit dem IPV entwickelt. In einem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Forschungsprojekt mit dem Titel „PARK“ entwickeln die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit dem Institut für Signalverarbeitung und Systemtheorie (ISS) ein Programm, das mit DaySy EL-Aufnahmen von Solarparks automatisiert untersucht. „Photovoltaik leistet einen wichtigen Beitrag beim Umstieg auf Erneuerbare Energien“, sagt Alexander Bartler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am ISS. Er hat über das selbstlernende künstliche Prüfer-Auge seine Masterarbeit verfasst. Große Parks erzeugen schon heute ein Gigawatt und mehr Leistung. „Das kann jedoch im Laufe der Zeit absinken, wenn in den Modulen Defekte auftreten.“

Photovoltaik leistet einen wichtigen Beitrag beim Umstieg auf Erneuerbare Energien.

Alexander Bartler

Augenschein allein genügt nicht

Schon um einen mittelgroßen Solarpark mit 300 Megawatt Leistung auf diese Defekte hin zu untersuchen, müssen beim DaySy EL-Verfahren mehr als 86 Millionen Bilder einzelner Solarzellen begutachtet werden. Vereinfacht gesagt, wird dabei die Arbeitsweise der Zelle umgekehrt: Normalerweise trifft Strahlung auf die Siliziumzelle, die sie in elektrische Energie umwandelt. Schickt man stattdessen Strom durch die Zelle, so sendet sie infrarote Strahlung aus – aber nur dort, wo sie intakt ist. „Indem dies mit einer speziellen Kamera und einem speziellen Messverfahren aufgezeichnet wird, lässt sich erkennen, welche Strukturen im Halbleiter defekt und welche intakt sind. Das geht mit bloßem Auge nicht“, erklärt Bartler. „Bis vor eineinhalb Jahren mussten Expertinnen und Experten jedes Bild manuell analysieren", berichtet der Forscher. Bei der Vielzahl der Bilder kann das für die Betreiber von Solarparks ein teures Unterfangen werden. Denn nach Angaben von Michael Reuter, Geschäftsführer des SZS, empfiehlt es sich nicht nur, nach Lieferung, Montage und vor Ablauf der Gewährleistung alle Module zu prüfen, sondern auch nach jedem schweren Unwetter.

Solar-Testanlage mit schwarzen Flecken auf den Panels
Die schwarzen Flecken auf den Panels der Testanlage sind das Ergebnis eines Hagelschauers.

Deshalb entstand die Idee, das Verfahren zu automatisieren: „Wir haben bereits ausgewertete Zellbilder des SZS genommen und diese als Trainingsdaten für ein künstliches neuronales Netz verwendet“, führt Bartler aus. In der ersten Stufe sollte das Programm „intakt“ und „defekt“ unterscheiden. „Damit erreichen wir eine enorme Zeitersparnis.“ Für ein Modul mit 60 Zellen benötigt der Computer maximal eine Sekunde. Ein Mensch braucht bei gleicher Genauigkeit für diese Begutachtung etwa 60 bis 120 Sekunden – kann dies aber nicht über einige Stunden hinweg tun, da die Tätigkeit anstrengt und Konzentration erfordert. Eine noch statische Software korrigiert nun im ersten Schritt die Perspektive der Aufnahmen, die das SZS aus weltweiten Messkampagnen erhält. Danach unterteilt sie das Bild in Einzelaufnahmen jeder Solarzelle. Erst im folgenden Schritt übernimmt die künstliche Intelligenz die bisherige Arbeit der Photovoltaik-Experten: die einzelnen Zellen zu begutachten und im Falle eines Defekts diesen als solchen zu klassifizieren.

Genauigkeitstraining mit 1.800.000 Bildern

Für seine ersten Versuche verwendete das Team ein bestehendes künstliches neuronales Netz der Visual Geometry Group (VGG) der University of Oxford als Ausgangsarchitektur, das es anpasste und neu trainierte. Dazu spielten die Forscherinnen und Forscher 98.000 Bilder ein, auf denen die Experten des SZS markiert hatten, welche Defekte zu sehen sind. „Wir wissen, in welchem Modul an welcher Stelle die Solarzelle sitzt und wie das Unternehmen sie klassifiziert hat. Diese Klassifikationsaufgabe übernimmt jetzt das neuronale Netz“, erklärt Bartler. Es lernt dabei lediglich die Vorschriften, wie von den Zellbildern auf die Fehler geschlossen werden kann. Schon mit dem angepassten VGG-Netz erreichte das Team eine Genauigkeit von 93 Prozent. „Das größere Problem war, dass der Datensatz sehr ungleich verteilt war: In den Daten waren etwa 95 Prozent der Solarzellen intakt, wir wollen jedoch die anderen fünf Prozent finden – und dafür hatten wir wenige Beispiele.“ 

Deshalb mussten die Forscher das Training speziell hierfür anpassen: Sie spielten die Bilder defekter Zellen mehrfach und leicht abgewandelt zu ihrem eigentlichen Auftreten in das Training ein. Inzwischen verwenden sie weitere Netzarchitekturen, die dem aktuellen Stand der Technik entsprechen. „Jetzt brauchen wir noch einen größeren Trainingsdatensatz, mit dem wir eine finale Version erstellen“, sagt Bartler. Dieser umfasst 1.800.000 Zellbilder. Wenn es damit trainiert hat, soll das intelligente künstliche Gutachter-Auge noch im ersten Halbjahr 2019 endgültig einsatzbereit sein. Gleichzeitig arbeiten die Wissenschaftler daran, das System weiter zu verfeinern: Wenn es unterschiedliche Defektarten erkennt, könnte sich damit in Zukunft auch genau vorhersagen lassen, wie stark der Leistungseinbruch bei einem Modul ausfällt, berichtet Bartler. „Wenn bekannt ist, dass die Leistung um fünf Prozent pro Jahr bei einer Restlaufzeit von 15 Jahren sinkt, kann man genau ausrechnen, ob sich ein Austausch lohnt.“

Daniel Völpel

Solarzentrum Stuttgart

Alexander Bartler
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Signalverarbeitung und Systemtheorie (ISS), Universität Stuttgart

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