Lebende Chemiefabrik

Forschung Erleben

Umprogrammierte Bakterien schonen Erdölressourcen
[Foto: Universität Stuttgart/ IBVT]

Farben, Lacke oder Reinigungsmittel: Diemeisten chemischen Erzeugnisse werdenheute aus Erdöl und Erdgas hergestellt. EU-Forscherinnen und -Forscher, darunter von der Universität Stuttgart, wollen stattdessen das Bodenbakterium Pseudomonas putida Grundchemikalien aus Zucker produzieren lassen. Dafür nutzen sie Werkzeuge der synthetischen Biologie.

Schon seit Jahrtausenden nutzen Menschen Mikroorganismen, um Bier, Wein, Sauerteig oder Käse herzustellen. Eine der ersten industriellen Massenproduktionen startete 1916 mit der Vergärung von Stärke oder Zucker zu den Lösungsmitteln Aceton und Butanol durch Bakterien der Gattung Clostridium acetobutylicum. Der Biochemiker und spätere erste Präsident Israels, Chaim Weizmann, hatte die Bakterien zuvor isoliert und das biotechnische Verfahren optimiert. Doch mit der aufkeimendenErdölchemie nach dem ZweitenWeltkrieg wurde es billiger, Chemikalien aus Erdöl zu synthetisieren, anstatt Bakterien die Arbeit machen zu lassen. Heute werden Bakterienfabriken angesichts des knapper werdenden Erdöls wieder interessant.

Prof. Ralf Takors, Leiter des Instituts für Bioverfahrenstechnik an der Universität Stuttgart, interessiert sich nicht so sehr für das Aceton, sondern unter anderem für mikrobiologisch hergestellte Butanole und deren gasförmigen Abkömmlinge, Butene und Butadiene. Butanol war anfangs vor allem gefragt, umsynthetisches Gummi herzustellen. Mittlerweile ist es etwa als Lösungsmittel in der Farb- und Lackindustrie und als Zusatz in Reinigungsmitteln weitverbreitet, dient als Ausgangsstoff für Parfümduftstoffe oder ist als Komponente von Biokraftstoff im Gespräch. Die Butanol-Derivate dienen zum Beispiel als Zwischenprodukte für Kunststoffe oder Reifenkautschuk. Sie werden bislang ausschließlich chemisch synthetisiert.

Wie Weizmann vor über 100 Jahren nutzt auch Takors Team Zucker als Basis für die mikrobiellecVergärung, setzt jedoch andere, von Biotechnologen eher unbeachtete Bakterien ein. In der trüben Kulturflüssigkeit eines drei Liter umfassenden gläsernen Fermenters am Institut für Bioverfahrenstechnik schwimmen Bakterien der Gattung Pseudomonasputida, genauer des Stammes KT2440, die über einausgedehntes Schlauchsystem im Kreis gepumpt werden. In einem weiteren 200-Liter-Bioreaktor testen und optimieren Takors Wissenschaftler die biotechnische Produktion von Biobutanol und Co. in größerem Maßstab.

Der Bioreaktor, ist Heimat und Arbeitsstätte der Bakterien der Gattung Pseudomonas putida. Die Anlage steht im Institut für Biover- fahrenstechnik, wo das Team um Professor Takors die biotechnische Produktion von Biobutanol und Co. testet und optimiert.

„Allesfresser“ mit großem Potenzial

„Der Stamm hat mehrere Vorteile: Er toleriert sowohl die Akkumulation organischer Lösungsmittel wie Butanol als auch oxidativen Stress, der bei der Kultivierung in riesigen Bioreaktoren auftreten kann“, sagt der Bioverfahrenstechniker. Ursprünglich stammen Takors Labor-„Haustiere“aus dem Boden, wo sie auf Pflanzen wurzeln leben. Dort ernähren sie sich von nahezu allem, was sie finden können. Selbst toxische Substanzen können sie abbauen oder dank Exportpumpen aus der Zellebefördern, weshalb sie oft an schadstoffbelasteten Orten zu finden sind.

Außerdem stellen sie große Mengen der zellulären Reduktionsmittel NADH und NADPH her. Sie dienen – beispielsweise für die Enzyme – als Co-Faktoren, die oxidativem Stress entgegenwirken. Andererseits könnten Biotechnologen dieses Plus an Reduktionsmitteln nutzen, um Zucker in chemisch wesentlich reduziertere Produkte umzuwandeln als es biotechnisch bisher möglich war. Es ist diese natürliche Robustheit, die Pseudomonas putida womöglich zu den neuen Stars in der Biotechnologie avancieren lässt.

Bisher scheiterten die Biotechnologen meist ander geringen Toleranz der verwendeten Bakterien gegenüber organischen Lösungsmitteln. Selbst Weizmann erzielte nur eine geringe Ausbeute mit seinen Bakterien. „Bei hohen Konzentrationen verbrauchen bisher verwendete Bakterien viel Zucker und Energie, nur um mit diesen harschen Bedingungen umzugehen. Die Leistungsfähigkeit geht dadurch herunter“, erklärt Takors. Hohe Produktausbeuten sind allerdings nötig, um die Herstellungskosten gering zu halten, denn die erdölbasierten Produkte gibt es bereits zum Spottpreis von weniger als einem Euro pro Kilogramm. Da Pseudomonas putidaanders als Weizmanns Bakterien kein natürlicher Produzent von Biobutanol und dessen Derivaten ist, muss es dazu erst „befähigt“ (englisch empower) werden – mithilfe der synthetischen Biologie.

Die Methoden, um den Stoffwechsel von Pseudomonas putida genetisch so umzuprogrammieren, dass es diese Produkte, aber auch ein Herbizid, herstellt, entwickeln Forscher und Forscherinnen zurzeit im EU-Projekt EmPowerPutida. „Wir wollen an diesen Beispielen zeigen, dass es erfolgreich funktioniert und so den Stamm für die industrielle Anwendung salonfähig machen“, sagt Takors. Er ist zusammen mit seinem Kollegen Bernhard Hauer, Leiter des Instituts für Technische Biochemie, und weiteren Partnern aus Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden, Portugal, Schweiz und Spanien an dem Projekt beteiligt.

Das Schöne an dem EU-Projekt ist, dass wir durch die vielen anderen Partner alles zu einem funktionierenden Bakterienstamm zusammenbauen konnten.

Bernhard Hauer, Leiter des Instituts für Technische Biochemie

Umbau zu Bakterienfabriken

„Die größte Herausforderung war es, den ‚Allesfresser‘ Pseudomonas putida dazu zu bringen, dass er die Produkte, die er herstellt, nicht selbst wieder ‚frisst‘“, erzählt Takors. Daher reduzierten die Partner zunächst das Erbgut der Bakterien bis auf die Grundfunktionen, die es zum Überleben braucht. Bernhard Hauers Team verpasste dem Bakterium anschließend die Erbinformation für neue Stoffwechselwege, die zum gewünschten Produkt führen. „Wir gehen von Enzymen auch aus anderen Bakterien aus, sehen uns die Struktur an und entwickeln die Enzyme mithilfe von computerbasierten und evolutiven Methoden weiter, sodass sie zum Beispiel auch andere Substrateakzeptieren“, sagt Hauer.

Um die Ausbeute weiter zu erhöhen, sorgten die Partner dafür, dass die Bakterienzelle alle Schleusen für die Aufnahme von Zucker öffnet und diesen hauptsächlich in die spätere Produktion steckt, anstatt ins eigene Wachstum. Takors Arbeitsgruppe designte neue, patentrelevante Regelkreiseund Genschalter, die dafür sorgen sollen, dass die Bakterien auch unter Mangelbedingungen die gewünschten Produkte herstellen. „Das Bakterium soll nicht unter schlecht wachsenden Bedingungenden Stoffwechsel herunterfahren, sondern maximal produzieren“, erklärt Takors.

Die EU fördert das vierjährige Projekt über ihr Rahmenprogramm Horizont 2020 mit mehr als 5 Millionen Euro. Bis zum Projektende im kommenden Jahr wollen die Forscherinnen und Forscher die Produktionsstämme und die Produktion in großen Fermentern noch optimieren, um die Ausbeute weiter zu erhöhen.„Alleine hätten wir nur die Enzyme entwickeln können“, sagt der Biochemiker Hauer: „Das Schönean dem EU-Projekt ist, dass wir durch die vielen anderen Partner alles zu einem funktionierenden Bakterienstamm zusammenbauen konnten“. Bei der Ausschreibung damals zur „Synthetischen Biologie“ war es eines von lediglich drei geförderten Projekten, davon waren zwei zu Pseudomonas putida. „Das zeigt die Bedeutung, die diesen Bakterien zukommt“, unterstreicht Takors.

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