Eine Studentin balanciert über die Slackline, ein Mann genießt seine Mittagspause auf einer Parkbank, eine Rentnerin spaziert mit ihrem Hund über den Rasen: ein typisches Bild für den Stadtgarten direkt an der Universität Stuttgart. Der Park bietet mitten im Trubel der Stadt Erholung und ist gerade bei Studierenden ein beliebter Treffpunkt – und zugleich ein ziemlich versteckter Schatz: Denn durch vielspurige Straßen ist der Stadtgarten von den umgebenden Stadtquartieren abgeschnitten. Und obwohl es zu Fuß nur zehn Minuten bis zum Schlossplatz im Stadtzentrum oder zum Hauptbahnhof sind, gibt es kaum direkte Zugänge. Deshalb ist zwar der Slackline-Parcours bei jungen Menschen beliebt, doch viele andere Angebote – etwa ein Spielplatz oder Sportangebote – werden wenig genutzt. Das möchten Prof. Klaus Jan Philipp und Lena Engelfried vom Institut für Architekturgeschichte der Universität Stuttgart ändern.
Anfang 2021 haben sie die Initiative „Quartier Stadtgarten“ gegründet, um in der Stadtverwaltung die seit vielen Jahren kontrovers diskutierte Entwicklung rund um den Stadtgarten wieder anzustoßen. Ursprünglich entstand der Park bereits 1870 zur ersten Württembergischen Gartenausstellung, er wurde nach seiner weitgehenden Zerstörung im Zweiten Weltkrieg von 1973 bis 1975 neu gestaltet.
Debatten über den Stadtgarten anstoßen
Fast 50 Jahre später will die Initiative neue Anstöße geben. „Die Interessen liegen klar da, aber keiner will das Geld bezahlen“, sagt Klaus Jan Philipp. Im ersten Schritt schrieben er und Lena Engelfried alle Anlieger des Stadtgartens wie das Krankenhaus, Ministerien, Restaurants und Hochschulen an. Ein erstes Ergebnis war ein Brief an den Stuttgarter Oberbürgermeister Frank Nopper, in dem die Beteiligten ihre Vorstellungen zur Zukunft des Stadtgartens darlegten. Seitdem ist die Initiative in Gesprächen mit vielen Ansprechpartnern in der Stadt.
Unsere Motivation ist es, wieder Geschwindigkeit in die Thematik Stadtgarten zu bringen.
Lena Engelfried
Ziel der Initiative ist es, den Stadtgarten bis zur Internationalen Bauausstellung 2027 der Stadtregion Stuttgart (IBA’27) aufzuwerten. „Bis dahin werden keine Neubauten oder großen planerischen Veränderungen des Gartens möglich sein“, sagt Philipp. Aber er möchte, dass man bis 2027 zumindest einen Unterschied sieht. Engelfried ergänzt: „Unsere Motivation ist es, wieder Geschwindigkeit in die Thematik Stadtgarten zu bringen. Die Gründung der Initiative funktioniert neben dem Verbund der Anlieger auch als Druckmittel, das die Relevanz der Thematik deutlich machen soll. Gemeinsam haben wir eine lautere Stimme.“
Studierende entwickeln Ideen für die Neugestaltung
Parallel zur Initiative „Quartier Stadtgarten“ bietet Engelfried gemeinsam mit Johannes Nöldeke vom Institut für Sozialwissenschaften ein Praxisseminar im interdisziplinären Masterstudiengang „Planung und Partizipation“ an. Dies unterstützt die Initiative und gibt zugleich Studierenden die Möglichkeit, praktisch zu arbeiten: „Der Stadtgarten eignet sich für Partizipation, weil es sich um ein laufendes Planungsverfahren mit öffentlichem Interesse handelt – und das auch noch auf dem Campus Stadtmitte, direkt vor unserer Haustür“, sagt Nöldeke. „Mir ist es wichtig, den Studierenden eine Möglichkeit zu geben, sich selbstverantwortlich einzubringen, wirkungsvoll tätig zu sein und daran zu wachsen.“
Im Wintersemester 2021/2022 haben die Studierenden die Ausgangssituation analysiert und Ideen für Partizipationsverfahren entwickelt. Eine Gruppe setzt sich zum Beispiel dafür ein, einen Teil des Parkplatzes in der Breitscheidstraße nahe der Universität für einen Tag autofrei zu machen. Dort wollen die Studierenden dann einen Mehrgenerationentreffpunkt schaffen.
Die Studierenden wollen zudem in Befragungen herausfinden, wie sich die Bürger*innen den Stadtgarten in Zukunft vorstellen. Dazu sollen etwa Bänke aus Paletten aufgestellt werden, an denen ein QR-Code zu einer Umfrage angebracht ist. Auch eine Art Wohnzimmer mit Sofa, Bücherregal und Tischtennisplatte soll entstehen.
Jedes Möbelstück symbolisiert dabei eine Funktion des Gartens wie Ruhe, Bewegung und Gastronomie. Besucher*innen können dort ihre eigenen Ideen zu jedem Bereich einbringen. Eine weitere Gruppe möchte mit Kreide Fußspuren auf den Boden sprühen, um das Vernetzungspotential des Stadtgartens aufzuzeigen. Die Ergebnisse des Seminars werden am Ende im Rahmen des Wissenschaftsfestivals der Stadt Stuttgart präsentiert – und geben so womöglich einen weiteren Anstoß, um den historischen Stadtgarten weiter zu beleben.
Text: Carina Lindig
Prof. Klaus Jan Philipp, Institut für Architekturgeschichte, Universität Stuttgart
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