Man darf Tony Lynch mit Fug und Recht als umtriebig bezeichnen. Mehr als zwei Jahrzehnte arbeitete er bei Mercedes-Benz of South Africa als Prozessingenieur. Dann wechselte er zu einem südafrikanischen Zulieferer, wo er allerdings nach kurzer Zeit im Zuge eines Personalabbaus seinen Job verlor.
Doch Lynch wusste sich zu helfen. Wenige Monate später fing er als Berufsschullehrer am Buffalo City TVET College an, das über mehrere Standorte verfügt. Dort unterrichtet er nun seit 2008 Elektrotechnik. Er machte berufsbegleitend einen Abschluss als Pädagoge, schrieb ein Buch über die Ausbildung in der Elektrotechnik und wirkte am Nationalen Bildungsplan für diesen Bereich mit. „Vor einigen Jahren wies mich unser Campusmanager auf das Projekt TRAINME hin und schlug mir vor, daran teilzunehmen“, erzählt Lynch. „Es war die richtige Entscheidung.“
Weiterbildungsprojekt mit vielen Partnern
TRAINME ist ein binationales Forschungs- und Entwicklungsprojekt, das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Es hat die Weiterbildung von südafrikanischen Berufsschullehrkräften zum Ziel. Partner*innen des Projekts sind die Abteilung Berufspädagogik mit Schwerpunkt Technikdidaktik (BPT) am Institut für Erziehungswissenschaften (IfE) der Universität Stuttgart, das Überbetriebliche Bildungszentrum Ostbayern (ÜBZO) sowie das südafrikanische Department of Higher Education and Training (DHET).
Das Projekt lief von 2018 bis 2021. „Im Projekt war das ÜBZO für die fachwissenschaftliche Professionalisierung zuständig, wir für die fachdidaktische und pädagogisch-psychologische Professionalisierung“, sagt Prof. Bernd Zinn, Geschäftsführender IfE-Direktor. Das Projekt ist Teil der deutschen Bemühungen, die berufliche Ausbildung und Berufsschullehrerbildung im Sinne des hier etablierten dualen Systems zu internationalisieren: lernen, indem Theorie und Praxis eng miteinander verzahnt sind.
In Südafrika ist die Ausgangssituation anders, wie Gerda Magnus erläutert: „Wir möchten die berufliche Ausbildung populärer machen.“ Magnus ist Leitende Direktorin Programmes and Curriculum Innovation in der Abteilung Berufsbildung am südafrikanischen DHET. „Bei uns können die Schülerinnen und Schüler mit 16 eine Ausbildung beginnen, was allerdings die Ausnahme ist. Viele gehen stattdessen weiter bis zur zwölften Klasse zur Schule, doch machen viele keinen Abschluss.“ Und selbst mit Abschluss sei kein Studienplatz an einer Universität garantiert. „Eine berufliche Ausbildung ist daher für sehr viel mehr junge Menschen eine sehr gute Alternative“, sagt Magnus.
„Jetzt schule ich auch Pädagoginnen und Pädagogen."
Tony Lynch
Derzeit gibt es drei Wege, wie diese dreijährige Ausbildung in Südafrika verläuft: ausschließlich theoretisch in einer Berufsschule, Theorie und Praxis an einer Berufsschule oder Berufsschulunterricht verbunden mit Praxisphasen in Unternehmen. „Letzteres ist die seltenste Form, deshalb wollen wir diesen Weg ausbauen“, sagt Magnus. „Dazu ist die Weiterbildung der Lehrkräfte wichtig, denn deren Werdegänge unterscheiden sich häufig stark voneinander.“ Die Teilnehmenden des TRAINME-Projekts kamen von den 50 Berufsschulen im Land, die in den Bereichen Elektrotechnik, Elektronik und Mechanik ausbilden. Letztlich nahmen 20 Lehrkräfte am Projekt teil. „Sie taten es wirklich sehr gerne und hatten das Gefühl, viel zu lernen“, erzählt Magnus. Das DHET wählte aus den Teilnehmenden so genannte Mastertrainer aus. Tony Lynch ist einer von ihnen. „Jetzt schule ich auch Pädagoginnen und Pädagogen“, freut er sich.
Wille zu Reformen
Zu Beginn von TRAINME analysierte das Stuttgarter BPT-Team die Situation in Südafrika: anhand der Bildungspolitik und der Lehrpläne, durch Interviews und Diskussionen mit Fokusgruppen sowie mit einer Umfrage, an der 300 Lehrkräfte von Berufsschulen teilnahmen. „Hierbei wurde der Wille zu Reformen deutlich, die zu einer Stärkung der dualen Ausbildung führen“, sagt Zinn. „Zudem ließen sich Minimalanforderungen an die Qualifikation der Lehrkräfte formulieren, die jedoch ein Fünftel nicht erfüllen konnte.“ Auch die Ausstattung der Berufsschulen mit modernen Technologien, die in produzierenden Unternehmen eine Rolle spielen, erwies sich als verbesserungsfähig. „Unterm Strich führte diese Situation zu starken Unterschieden in den Lehrkompetenzen der Lehrkräfte“, resümiert Zinn.
Die Schulung der südafrikanischen Projektteilnehmenden erfolgte in einer Mischform aus E-Learning und Präsenzveranstaltungen. „Durch die Pandemie mussten wir den Präsenzteil leider stark reduzieren“, sagt Stefanie Holler, Doktorandin in der BPT und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Projekt. Die Lehrkräfte griffen fürs E-Learning auf eine Plattform zu, die das Bildungszentrum ÜBZO bereitstellte. „Eine erste Lernphase, die uns auch als Testlauf diente, endete im November 2019“, so Holler. „Nach einer Evaluation und Optimierung fand dann die zweite Lernphase statt.“ Die Teilnehmenden nahmen am Projekt parallel zur eigenen Unterrichtstätigkeit teil.
Digitalisierung künftig im Fokus des Projekts
In einem Folgeprojekt wollen die Partner das Erreichte nun verstetigen und deutlich ausbauen. TRAINME2 startete im Oktober 2021 und ist erneut auf drei Jahre angelegt. „Der inhaltlich-didaktische Fokus liegt dabei auf der zunehmenden Digitalisierung in der Bildung und auf dem Umgang mit der Heterogenität von Schülerinnen und Schülern“, sagt Bernd Zinn. „Zudem wollen wir Unternehmen vor Ort stärker miteinbeziehen.“ Dabei gelten dieselben Qualitätsanforderungen wie in der deutschen dualen Ausbildung, gerade auch im Hinblick auf die Kriterien Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Recht und Sicherheit, wie sie das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) formuliert hat.
„Wir möchten die berufliche Ausbildung populärer machen.“
Gerda Magnus
Aufgeteilt ist TRAINME2 in vier Phasen. Zunächst konzipieren die Beteiligten bedarfsorientierte Bildungsmodule unter Einbeziehung der relevanten südafrikanischen Institutionen, die für die formalen Standards der Berufsbildung verantwortlich sind. „In einer zweiten Phase wollen wir diese Bildungsmodule in der bewährten Mischung aus Präsenzschulungen und E-Learning mit einer Gruppe von Lehrkräften erproben, die bereits am Vorgängerprojekt teilgenommen hatten“, so Bernd Zinn. Daran schließt sich die dritte Phase an, in der die Beteiligten die Mastertrainer weiter schulen, um die Inhalte von TRAINME2 zu verbreiten. Eine Gruppe neuer Projektteilnehmenden wird dann unter Supervision der Mastertrainer die Bildungsmodule bearbeiten. Die vierte Phase steht schließlich unter den Schlagworten Evaluation, Transfer und Öffentlichkeitsarbeit. „Wir wollen die Lehr- und Lerninhalte umfassend verschriftlichen und sie im Rahmen einer Creative-Commons-Lizenz als Dateien frei zur Verfügung stellen“, sagt Zinn. Pro Modul wird es wie im Vorgängerprojekt jeweils ein Lehrbuch und eine Lehrerhandreichung geben.
Prof. Dr. Bernd Zinn, E-Mail, Tel.: +49 711 685 84360