Tübingen war mehrfach Station sowohl in Vischers Leben als auch in seinem akademischen Arbeiten. Die theologische Ausbildung führte in zweimal ins Tübinger Stift - einmal als Schüler, zum anderen Mal als Lehrer - und nach seiner Habilitation durfte er an der Universität ab 1837 als außerordentlicher Professor erste Kostproben seiner außerordentlichen Redegewandtheit und energischen Rhetorik geben. Ob Faust, Ästhetik oder Philosophie - Vischer war immer penibel vorbereitet, identifizierte sich ganz mit seinem Thema und hielt bis ins hohe Alter hinein seine Vorträge und Reden stets frei mit teils drastischen Worten und voll eigenwilligen Humors.
Als streitbarer Geist machte er sich im Senat der Universität nicht nur Freunde, jedoch waren seine Vorlesungen bei den Studenten äußerst beliebt und so gut besucht, dass ihm 1844 nach dem vierten Anlauf die ordentliche Professur nicht länger verweigert werden konnte. Mit einem Paukenschlag leitete er sie ein und überschritt in seiner Antrittsrede alle von Kirche und Staat erlaubten Grenzen. Der "Fall Vischer" geriet zum Politikum weit über die Landesgrenzen hinaus. Um den Frieden wiederherzustellen, entzog man ihm für zwei Jahre die Lehrerlaubnis. In dieser Zwangpause nahm er seine ambitionierten Werke zur Ästhetik in Angriff.