Neuere deutsche Literaturwissenschaft

Auf diesen Seiten finden Sie alle Informationen zu den Abteilungen NDL I und NDL II sowie den germanistischen Studiengängen.

Die Abteilungen der Neueren Deutschen Literaturwissenschaft sind Teile des Instituts für Literaturwissenschaft. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter decken in Forschung und Lehre die deutschsprachige Literatur von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart sowie ihre Verbindungen zu anderen Literaturen ab. Wir bauen auf regionale und internationale Vernetzungen: Gemeinsame Veranstaltungen mit dem Literaturhaus Stuttgart, Exkursionen zum Deutschen Literaturarchiv Marbach, ein reger Austausch mit unseren Erasmus-Partnern in Europa und Germanistische Institutspartnerschaften mit Ouagadougou (Burkina Faso) und Peking (China) etwa bereichern unsere Lehre und Forschung. Zugleich suchen wir die interdisziplinäre Diskussion, ob in Lehrveranstaltungen, gemeinsamen Studiengängen mit anderen Geisteswissenschaften (MA Wissenskulturen) oder der Informationstechnik (MA Digital Humanities) und Forschung (SRC Text Studies).

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Nachruf auf Heinz Schlaffer († 31.10.2023)

Vor einigen Jahrzehnten, in den 70er, 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts, wählte man in unserem Fach den Studienort noch nach den dort lehrenden Professoren aus. Man identifizierte sich mit ihren Schriften und schätzte ihren individuellen Zugang zur Literatur. Das waren die Jahre, in denen Heinz Schlaffer die Universität Stuttgart zu einem Mekka für Germanistikstudenten aus ganz Deutschland machte. Seine Vorlesungen über die Theorie der Lyrik, über ‚Faust‘ und über das 19. Jahrhundert waren brechend voll, während Schlaffer, eine elegant-lässige Erscheinung, eineinhalb Stunden frei und ohne Skript druckreif sprach.  Was die Studentengenerationen dieser Jahre an ihm beeindruckte, war seine vom Russischen Formalismus geprägte, präzise und streng logische Analyse von Problemen der Literatur. Schlaffers Scharfsinn war berauschend und inspirierend, sein Ideenreichtum und seine Freiheit im Denken faszinierten seine Zuhörer. Auch in seinen Schriften ist Schlaffers Darstellungsweise einzigartig: eine klare, verständliche und zugleich schöne Prosa ohne den schwafelnden Fachjargon. In seinen Seminaren und in der Betreuung von studentischen Arbeiten förderte er Meinungsstärke und Thesenfreudigkeit, unterstützte originelle und mutige Positionen, auch gegen den Tenor der germanistischen Sekundärliteratur. Selbständige, kühne Argumentationen in studentischen Arbeiten konnten ihn begeistern.

Im Fach war Heinz Schlaffer ein bewunderter Einzelgänger, der sich dessen Trends und Volten nie angepasst hat. In Habitus und skeptischem Wissenschaftsverständnis ähnelte er französischen Intellektuellen; er verkörperte den gesellschaftlichen Umbruch der späten 60er Jahre und stach von der biederen Germanistik der Nachkriegszeit ab. In seiner Habilitationsschrift ‚Musa iocosa. Gattungsgeschichte und Gattungspoetik der erotischen Dichtung in Deutschland‘ (1971) behandelte er ein bis dahin immer noch tabuisiertes Thema. Den Zustand unseres Fachs betrachtete er zunehmend mit Skepsis und Distanz. Als die Universitätsleitung einmal von allen Professoren die Angabe ihrer Arbeits- und Forschungsgebiete abfragte und die Kollegen fleißig ihre oft hochspeziellen wissenschaftlichen Schwerpunkte auflisteten, meldete Heinz Schlaffer als einzigen Eintrag: ‚Literatur‘. Dabei bevorzugte auch er bestimmte literarische Felder. Von der überragenden Qualität der Literatur der Goethezeit war er überzeugt. So stellt er es auch in seiner ‚Kurzen Geschichte der deutschen Literatur‘ (2002) dar, einem Buch, um das in den Feuilletons monatelang heftig gestritten wurde. Schlaffer kürzt darin diejenige deutsche Literaturgeschichte, die eingehender Beschäftigung wert sei, auf zwei kurze (weltliterarisch relevante) Epochen: die deutsche Klassik zwischen 1770 und 1820 und die Klassische Moderne nach 1900. Viele Germanistenkollegen fühlten sich durch diese Publikation provoziert; sie sahen ihre Spezialgebiete ignoriert und fürchteten die Kürzung von Forschungsmitteln für ihre Projekte. Erwähnt werden muss auch Schlaffers Buch ‚Geistersprache‘ (2012), in dem er – überaus erhellend – Zweck und Mittel der Lyrik aus dem spirituellen Ritual, der archaischen Anrufung der Götter herleitet.

Heinz Schlaffer war nicht nur ein Ästhet und ein von großen Kunstwerken aller Sparten affizierter Interpret – er war einer derjenigen Menschen, für die Kunst tatsächlich lebensnotwendig ist, weil sie von ihr in einen Zustand höherer Lebensintensität versetzt werden. Er kleidete sich stets in schmale Anzüge – im Winter in diversen Schattierungen von grau, im Sommer weiß – und verachtete die damals bei Männern in Führungspositionen noch obligatorischen Krawatten. Wie zum Protest trug er den Kragen seiner weißen Hemden immer weit geöffnet. Oberflächliches und Kommerzielles waren ihm zuwider; Parties und Smalltalk hasste er. Bürgerliche Umgangsformen lehnte er ab und pflegte einen ganz den Künsten gewidmeten Lebensstil. In der Universität hatte er hohe Autorität; sein Urteil in der Fakultät und in den Kommissionen hatte entscheidendes Gewicht. Manchen galt er als unnahbar und kühl, was aber nicht zutraf. Tatsächlich beobachtete er die Menschen um ihn herum sehr genau und besaß großes Einfühlungsvermögen. Im Institut für Literaturwissenschaft und in der Abteilung für Neuere deutsche Literatur sorgte er 30 Jahre lang für ein ruhiges, harmonisches, ganz auf die beruflichen Aufgaben konzentriertes Zusammenarbeiten ohne Klatsch und Intrigen. Für sich selbst nahm er keine Privilegien in Anspruch; wie alle anderen Dozenten der Abteilung unterrichtete auch er die Erstsemester, korrigierte die Hausarbeiten aus seinen Seminaren eigenhändig und gab den Mitarbeitern seines Lehrstuhls Freiheit für ihre eigenen Forschungen. Dass er – so steht es in diesen Tagen in den Nachrufen der großen Zeitungen – einer der bedeutendsten Germanisten seiner Zeit war, spielte für ihn im Berufsalltag keine Rolle.

Barbara Potthast

Dieses Bild zeigt Katja Klumpp

Katja Klumpp

 

Sekretariat NDL I und NDL II

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