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Stuttgarter unikurier Nr. 92 Dezember 2003
Internationales Zentrum für Kultur- und Technikforschung eingeweiht:
Liaison mit Blick über den Tellerrand
Der italienische Maler Leonardo da Vinci wusste es schon vor 500 Jahren: Kultur und Technik gehören zusammen. Das neue Internationale Zentrum für Kultur- und Technikforschung (IZKT) der Universität Stuttgart rückt diese Synthese jetzt noch stärker in den Mittelpunkt. Das neue Zentrum - hervorgegangen aus dem 1995 gegründeten Zentrum für Kulturwissenschaften und Kulturtheorie - wurde am 6. Mai 2003 bei einer Festveranstaltung einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt. Den Festvortrag hielt Prof. Jürgen Mittelstraß von der Uni Konstanz über das Wesen einer "Leonardo-Welt".
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Stilisierte Tänzerinnen, von HighTech-Stoffen umhüllt: eine Präsentation intelligenter Textilien führte am Festabend direkt hinein in die Zielsetzung des Zentrums, das von der Philosophisch-Historischen Fakultät, der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie der Fakultät Architektur und Stadtplanung der Uni gemeinsam getragen wird. "Wir wollen Schnittstellen lokalisieren zwischen den Kultur-, Natur- und Ingenieurwissenschaften und Potenziale für interdisziplinäre Forschungsarbeiten sondieren", beschrieb es der geschäftsführende Direktor des IZKT, Prof. Georg Maag in seiner Begrüßungsansprache. Das Zentrum will den Dialog zwischen den Wissenschaftskulturen "managen" und den Wissenstransfer in die Öffentlichkeit stärken.

Damit knüpft das IZKT an die Tradition des 1995 von Prof. Gerhard Schröder gegründeten Zentrums für Kulturwissenschaften und Kulturtheorie an. Der Ansatz des IZKT greift jedoch weiter: Es will sich den kulturellen Herausforderungen stellen, die sich aus der rasanten technologischen Entwicklung, der weltweiten Globalisierung und den radikalen Brüchen im System der Wissenskultur ergeben. "Diese Prozesse werfen Fragen auf, die in fachspezifischer Perspektive alleine nicht beantwortet werden können", sagte Maag.

Dabei geht es nicht um die Bewertung von Technik oder die Abschätzung ihrer Folgen. Vielmehr soll erforscht werden, in welcher Weise der Mensch in "Maschinerien zur Herstellung von Zukunft" (François Jacob) verwickelt ist und welche Bedeutung dies für das kulturelle Selbstverständnis einer Gesellschaft hat. Auf dem Forschungsplan der nächsten drei Jahre stehen Themen wie "Die Transformation des Raums", Formen, Verfahren und Funktionen neuer Materialien oder auch philosophische Ansätze wie die Reihe "Das Mögliche und das Unmögliche".

Neues Fellowship-Programm
Um den Austausch zwischen Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen zu fördern, wird ein Fellowship-Programm aufgebaut. Zum Auftakt stellte im Wintersemester 2002/03 der Germanist Friedrich A. Kittler Überlegungen zu Schrift, Ton und Mathematik vor. Ihm folgten im Sommersemester der Wirtschaftsinformatiker Helmut Krcmar und der Verwaltungswissenschaftler Klaus Lenk, beides ausgewiesene Experten in Sachen e-Government1).

Das Zentrum ist international ausgerichtet. Mit der Integration des Gastprofessoren-Programms "Deutsch-französische Wechselwirkungen" der DVA-Stiftung in das IZKT wurde ein Arbeitsschwerpunkt Frankreich geschaffen. Studienschwerpunkte zu Italien und Amerika sollen folgen.

"Die Uni Stuttgart hat ein weiteres Zentrum, das über den Tellerrand hinaus schaut", würdigte Rektor Prof. Dieter Fritsch das IZKT. Es unterstütze die Anstrengungen der Uni um den Bestandserhalt kompetenter Geisteswissenschaften in einem technologieorientierten Umfeld.

Der Stuttgarter Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Schuster unterstrich in einem Grußwort das besondere Profil, das nicht nur die Uni selbst, sondern auch die Stadt Stuttgart durch das neue Zentrum erhalten. Und der französische Generalkonsul in Stuttgart, Françis Etienne2), ergänzte: "Durch das IZKT wird die Uni Stuttgart im Europa der Zukunft eine herausragende Rolle spielen."

Wesen der "Leonardo-Welt"
Wie schwierig die Synthese von Kultur und Technik schon immer war, beleuchtete der Festvortrag von Prof. Jürgen Mittelstraß, der an der Uni Konstanz den Lehrstuhl für Philosophie und Wissenschaftstheorie innehat. Schon mit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert meldeten sich Wissenschafts- und Technikkritik zu Wort. Erfindungen wie die erste Eisenbahn, das Automobil oder der elektrische Strom weckten Ängste, die heute vielfach kurios anmuten. Dennoch durchdringen Wissenschaft und Technik längst alle Strukturen und Lebensformen. "Der sich auf wissenschaftliches und technisches Können stützende wirtschaftende, bauende, verwaltende und zerstörende Verstand war schon immer da", beschrieb Mittelstraß das Wesen einer solchen "Leonardo-Welt": "Es ist eine Welt, in der sich der Mensch beständig in seinen eigenen Werken begegnet, eine Welt, die immer mehr zu einem Artefakt, zu einer Erfindung wird, zerbrechlich wie die Natur, aber immer weniger selbst Natur." Der Fortschritt entfaltet sich in einer solchen Welt im steten Dilemma zwischen notwendiger Entwicklung und unvermeidlichen Technikfolgen. Gerade in Deutschland führe dies zu "eigentümlichen Lähmungserscheinungen", die in Ängsten vor dem Wertewandel und letztendlich in einer Modernisierungskrise zum Ausdruck kommen. Eine Alternative zur Leonardo-Welt gibt es für Mittelstraß dennoch nicht: "Wir werden in Zukunft den ganzen Menschen brauchen, das kluge, vernünftige, sich im Denken und durch das Denken orientierende Wesen, das forschende, Wissenschaft treibende Wesen und das bauende, technische Wesen. Und wir werden eine Kultur brauchen, in der auch eine Technikkultur ihren Platz hat."

Andrea Mayer-Grenu

KONTAKT
Internationales Zentrum für Kultur- und Technikforschung,
Keplerstr. 11, 70174 Stuttgart,
Tel. 0711/121-2589,
Fax 0711/121-2813,
e-mail: info@izkt.uni-stuttgart.de sowie
www.uni-stuttgart.de/izkt


1) Über das Fellowship-Programm im Sommersemester berichten wir unter der Überschrift "Politik und Verwaltung in der Informationsgesellschaft" in der Rubrik "Veranstaltungen" in dieser Ausgabe.

2) Die Nachfolge von Françis Etienne als französischer Generalkonsul in Stuttgart hat im Oktober 2003 Dr. Henri Reynaud angetreten.

 


llast change: 17.12.03 / hj
Pressestelle der Universität Stuttgart

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