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Stuttgarter unikurier Nr. 87 April 2001
Kernfusion als nachhaltige Energiequelle:
Eine Kopie der Sonne?
 

Die Verschmelzung leichter Atomkerne ist mit großem Abstand der wichtigste Prozeß der Energiefreisetzung im Universum. Die Sonne und die meisten Sterne speisen ihre Energie aus der Fusion von vier Wasserstoffkernen zu einem Kern des Heliums, dessen Name vom Griechischen „helios“ (Sonne) abgeleitet ist. Die Kernverschmelzung setzt sehr viel Energie frei, ebenso die weiteren Fusionsprozesse, mit denen die schwereren Elemente in den Sternen entstehen. Die Natur hat damit einen Prozeß der Energiefreisetzung ausgewählt, der am sparsamsten mit der Materie umgeht. In der Tat ist mit der Kernfusion der geringste Stoffumsatz pro freigesetzter Energie verbunden. Er ist etwa zehn Millionen mal geringer als bei der Kohleverbrennung. Es ist deshalb naheliegend, diesen äußerst attraktiven Prozeß auch als Möglichkeit für die Energieversorgung der Menschen auf der Erde ins Auge zu fassen. Das Institut für Plasmaforschung der Universität Stuttgart beteiligt sich an den langfristigen und schwierigen, weltweiten Forschungen zur Realisierung der Kernfusion. Dies wird als Option für eine zukünftige sichere, umweltfreundliche und nachhaltige Energiequelle betrachtet.

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Allerdings fehlen auf unserem Planeten für die Fusion von gewöhnlichen Wasserstoffkernen sowohl die große Massenanziehung der Sonne, mit der die Reaktionspartner bei hoher Temperatur zusammengehalten werden, als auch die Geduld und Zeit für diese sehr langsam ablaufenden Prozesse. Es sind jedoch etwa achtzig weitere Fusionsreaktionen bekannt, von denen mehrere ungleich viel schneller ablaufen als die in der Sonne und die sich deshalb für eine Lösung unseres langfristigen Energieproblems anbieten. Dies ist in erster Linie die Reaktion zwischen den Wasserstoff-Isotopen Deuterium (D), dem „schweren“ Wasserstoff, und Tritium (T), dem „überschweren“ Wasserstoff, auf der die gegenwärtigen Fusionsreaktorkonzepte basieren. Das Deuterium steht in Form von schwerem Wasser (D2O) mit einem Anteil von 0,015 Prozent in den Weltmeeren als Ausgangsstoff für die Fusion in nahezu unerschöpflicher Fülle und mit gleichmäßiger geographischer Verteilung zur Verfügung. Hingegen kommt das Tritium in der Natur kaum vor, da der überschwere Wasserstoff mit einer Halbwertszeit von 12,35 Jahren zerfällt. Es kann jedoch mit den bei der Fusion entstehenden Neutronen aus Lithium „erbrütet“ werden. Auch die Lithium-Vorräte sind geographisch gleichmäßig verteilt und könnten den derzeitigen Weltenergiebedarf für 30 Millionen Jahre sichern.

Nachhaltige Energieversorgung ...
Damit empfiehlt sich die Kernfusion für eine langfristige, umweltfreundliche und nachhaltige Energieversorgung, da sie keine klimaschädlichen Treibhausgase emittiert, nur äußerst geringe, nicht-radioaktive Brennstofftransporte erfordert und auch keine radioaktiven Endprodukte entstehen. Das an den Fusionsreaktionen beteiligte radioaktive Tritium erfordert zwar sorgfältige Handhabung, wird jedoch im Fusionsreaktor selbst erzeugt und anschließend vollständig wieder verbraucht. Da auch bei der Kernfusion die Energie in Form von Neutronen freigesetzt wird, ist allerdings eine Aktivierung des Strukturmaterials, welches das Reaktionsvolumen eines Kernfusionsreaktors umschließt, unvermeidlich. Durch geeignete Materialauswahl für die erste Wand - wie z. B. martensitische Stähle oder Vanadium-Titan-Legierungen - wird es aber gelingen, diese Aktivierung nach der Reaktorbetriebszeit so schnell abklingen zu lassen, daß die Materialien nach einigen Jahrzehnten wiederverwendet werden können. Auch die Sicherheitseigenschaften des Fusionsreaktors sind hervorragend, da die mit dem System verknüpften Energien bei einer unkontrollierten Freisetzung nicht zur Zerstörung führen können und ihm damit inhärente Sicherheit verleihen. Im Gegensatz zum Spaltungsreaktor wird das Reaktionsmaterial (der „Brennstoff“) beim Fusionsreaktor nur in so kleinen Mengen kontinuierlich in das Plasmagefäß eingefüllt, wie es für den Betrieb der jeweils nächsten wenigen Minuten erforderlich ist.

... aber nicht leicht zu erreichen
Allerdings sind die Reaktionsbedingungen im Fusionsreaktor nicht leicht zu erreichen und aufrecht zu erhalten. Hierfür sind Temperaturen von etwa 150 Millionen Grad für die Reaktionspartner erforderlich, die sich dann im Plasmazustand befinden und in einen ringförmigen starken Magnetfeldkäfig, einen Torus vom Typ Stellarator oder Tokamak, eingeschlossen werden müssen, um ihre hohe Energie nicht an die den Plasmatorus umgebenden materiellen Wände zu verlieren. Die international eng koordinierten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zum Fusionsreaktor haben zu beeindruckenden Erfolgen geführt, die im Überschreiten der Temperaturen von 300 Millionen Grad und der Fusionsleistungen von 16 Megawatt bei den Experimenten des europäischen Gemeinschaftsprojekts JET (Joint European Torus) ihren sichtbaren Ausdruck gefunden haben. Der nächste Schritt wird der von Forschergruppen aus der ganzen Welt geplante Internationale Thermonukleare Experimental-Reaktor ITER sein, mit dem ein thermonuklear brennendes Plasma demonstriert werden soll. Die Bundesrepublik Deutschland nimmt bei der Fusionsforschung mit ihrer Entwicklungsgemeinschaft Kernfusion zwischen den Forschungszentren Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching und den Forschungszentren Karlsruhe und Jülich weltweit eine führende Rolle ein, in die das Institut für Plasmaforschung (IPF) der Universität Stuttgart vertraglich eng eingebunden ist. Das IPF trägt wesentlich zur Entwicklung der Mikrowellenheizung der toroidal eingeschlossenen Plasmen des Garchinger Stellarators W7 AS und des Divertor-Tokamaks ASDEX Upgrade bei und baut die Übertragungsleitung der 10 Megawatt intensiven Mikro-wellenheizung für den neuen Greifswalder Stellarator Wendelstein 7 X. Mit verschiedenen Diagnostikmethoden liefert es darüber hinaus auch grundlegende Beiträge zur Untersuchung der Plasmen - insbesondere über deren Wechselwirkung mit den Wandmaterialien, die für die künftigen Entwicklungen der Fusionsforschung, die noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen werden, eine zunehmend wichtige Rolle spielen.

KONTAKT
Prof. Dr. U. Schumacher, Institut für Plasmaforschung, Pfaffenwaldring 31, 70569 Stuttgart, e-mail: schumacher@ipf.uni-stuttgart.de

 


last change: 27.04.01 / gh
Pressestelle der Universität Stuttgart

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