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Stuttgarter unikurier Nr. 87 April 2001
Experimentelle Untersuchung und mathematische Modellierung von Verbrennungsprozessen:
Vom Zündfunken zum Kohlekraftwerk
 

Verbrennung ist die wohl älteste Technologie der Menschheit. Auch heute noch wird ein erheblicher Teil der Energieversorgung von fossilen Brennstoffen oder in zunehmendem Maße auch von Biomasse abgedeckt. Es werden erhebliche Anstrengungen unternommen, die Verbrennungsprozesse sowohl sehr effizient als auch mit einer minimalen Entstehung von umweltbelastenden Schadstoffen ablaufen zu lassen. Um die Schadstoffemissionen weiter zu reduzieren, muß der Verbrennungsprozeß von den physikalisch-chemischen Grundlagen, wie z. B. den Prozessen, die zur Stickoxidbildung führen, bis hin zur Konzeption großer Brennräume oder Gasturbinen noch genauer erforscht werden. Die am Zentrum für Energieforschung beteiligten Institute der Universität Stuttgart decken hierbei die volle Breite der Forschungsgebiete ab.

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Abb.1: Funkenzündung einer Methan-Luft Mischung
in einem turbulenten Strömungsfeld. Obere Reihe:
Eigenleuchten des Zündkerns und der sich
ausbreitenden Flamme für unterschiedliche
Zeitpunkte. Untere Reihe: Qualitatitve Aufnahmen
der OH Konzentration mit Hilfe laserinduzierter
Fluoreszenz (Lindenmaier et. al, 2000).

Ein großes Problem sowohl bei der experimentellen Untersuchung als auch bei der mathematischen Modellierung sind die stark unterschiedlichen Zeit-, Längen- und Geschwindigkeitsskalen der an der Verbrennung beteiligten Prozesse. Charakteristische Flammengeschwindigkeiten laminarer Flammen liegen bei einer Größenordnung von fünfzig Zentimeter pro Sekunde, während sich Schallwellen, die für Brennkammerschwingungen von Bedeutung sind, mit mehreren hundert Metern pro Sekunde ausbreiten. Die charakteristische Dicke einer Flammenzone beträgt nur etwa einen Millimeter, die gesamten Systemabmessungen von Feuerungen können dagegen leicht über einhundert Meter betragen. Die enorme Anzahl der Meßpunkte für das Experiment und die Anzahl der finiten Elemente für die numerische Simulation machen eine durchgehende Charakterisierung des Gesamtprozesses unmöglich. Aus diesem Grund werden hierarchische Ansätze verwendet, bei denen Informationen aus Detailexperimenten oder -Simulationen verwendet werden, um dann globale Modelle für das Gesamtsystem zu entwickeln.


Abb. 2: Links: Foto einer staukörperstabilisierten turbulenten Erdgasflamme
(Gruber, 2000). Das Bild in der Mitte zeigt das Ergebnis einer direkten
numerischen Simulation, wie die Struktur einer Flamme in einem sehr kleinen
räumlichen Bereich aussieht (hier 1.5 cm x 1.5 cm) (Tsai et al., 2000). Rechts:
Ergebnis einer Simulation einer staukörperstabilisierten turbulenten Flamme
mit Hilfe statistischer Methoden für die Chemie und die Turbulenz-Chemie
Wechselwirkung (Xiao et al, 1998, 2000).

Verbrennungsforschung an Detailproblemen
Die Untersuchung der Wechselwirkung zwischen turbulentem Strömungsfeld und chemischer Reaktionskinetik spielt eine zentrale Rolle der Forschungsaktivitäten am Institut für Technische Verbrennung (ITV). Hierzu sind experimentelle und theoretische Arbeiten an Detailproblemen notwendig, um globalere Modelle entwickeln zu können. Dies wird in der Abbildung unten links anschaulich: Man sieht den Zündprozess eines Methan-Luft Gemisches, dem mit Hilfe von Ventilatoren ein turbulentes Strömungsfeld aufgeprägt wurde. In der oberen Reihe ist das Eigenleuchten des Flammenkerns und der sich ausbreitenden Flammenfront zu sehen. Die untere Reihe zeigt den qualitativen Verlauf der OH Konzentration. Anfangs ist der Flammenkern noch sehr rund, die Oberfläche glatt, d.h. der Flammenkern ist noch nicht mit dem turbulenten Strömungsfeld in Wechselwirkung getreten. Mit der Zeit verwinkelt sich aber die Oberfläche und bildet eine unregelmäßige, durch das turbulente Strömungsfeld aufgeweitete Flammenfront. Der Zündprozeß selbst wird ausschließlich durch die chemische Reaktionskinetik bestimmt. Basierend auf den experimentellen Untersuchungen werden mit Hilfe detaillierter kinetischer Modelle, die mehrere tausend Elementarreaktionen umfassen, Reaktionsmechanismen in Simulationsprogramme implementiert, um Verbrennungsprozesse exakt beschreiben zu können. Da aber solche Mechanismen bei der Modellierung technischer Verbrennungssysteme zu einem nicht zu bewältigenden Rechenzeitaufwand führen, wurden Methoden entwickelt, die, ausgehend von den detaillierten Mechanismen, reduzierte, aber praktikable Kinetiken liefern. Dies führt zu einer enormen Reduktion der Dimension des Systems von Erhaltungsgleichungen. Die reduzierten Mechanismen beschreiben jedoch den Verbrennungsprozeß ebenso zuverlässig und lassen sich direkt in Programme zur Modellierung technischer Verbrennungssysteme implementieren. Ein verbleibendes Problem sind die stark unterschiedlichen Längenskalen. Da auch hier eine direkte numerische Simulation technischer Systeme aus Gründen des Rechenzeitaufwandes nicht möglich ist, müssen statistische Modelle eingesetzt werden, die eine Beschreibung der Turbulenz-Chemie Wechselwirkung erlauben. Kommerzielle Programmpakete und ihre meist übervereinfachten Verbrennungsmodelle führen oft zu qualitativ falschen Aussagen. Deshalb werden zuverlässige statistische Modelle in Verbindung mit zuverlässigen kinetischen Modellen eingesetzt werden. Als Beispiel für eine solche Flammensimulation mittels statistischer Modelle zeigt die Abbildung 2 das mittlere Strömungsfeld einer staukörperstabilisierten Flamme. Hier bildet sich über dem sogenannten Staukörper, der den äußeren Luftstrom und den Brennstoffstrom in der Mitte trennt, eine Rezirkulationszone der Strömung aus, auf der sich die Flamme über dem Brennerkopf stabilisieren läßt.

Vom Detail zum Gesamtsystem
Die aus den Grundlagenuntersuchungen resultierenden mathematischen Modelle werden zur Beschreibung von Verbrennungsvorgängen in den verschiedensten industriellen Anlagen herangezogen. Am Institut für Verfahrenstechnik und Dampfkesselwesen der Universität Stuttgart (IVD) wurde hierfür seit mehreren Jahren das dreidimensionale Feuerraumsimulationsprogramm AIOLOS entwickelt, das sowohl die Simulation von dezentralen Klein- und Haushaltsfeuerungen, von Industrie- und Heizkraftwerken als auch von Müllverbrennungsanlagen und Großkraftwerken erlaubt. AIOLOS liefert die Verteilung der Zustandsgrößen im Feuerraum, d.h. Geschwindigkeits-, Temperatur- und Konzentrationsfelder mit hoher räumlicher und, bei Bedarf und entsprechenden vor-handenen Rechenzeitressourcen, auch zeitlicher Auflösung. Die Vorteile gegenüber experimentellen Methoden liegen im reduzierten Kosten- und Zeitaufwand, der Reproduzierbarkeit von Randbedingungen sowie der Möglichkeit, einen vertieften Einblick in komplex zusammenhängende physikalische Phänomene zu erhalten. Die simulationsgestützte Feuerraumgestaltung und -optimierung ermöglicht die Untersuchung der Auswirkungen verschiedener Parameter, wie Brennstoffzusammensetzung, Feuerraumkonfiguration, Verschmutzungs- und Korrosionswahrscheinlichkeit und Brennergestaltung auf die wichtigsten Zielgrößen wie Temperaturverlauf, Schadstoffentstehung und Ausbrandverhalten. (Vgl. hierzu auch Uni-Kurier Nr. 79, Juni 1998, S. 49 und Uni-Kurier Nr. 86, 2/2000, S. 33).

Die zugrunde liegenden physikalischen Modelle und numerischen Methoden können am Beispiel einer Kohlenstaubfeuerung gezeigt werden (Abbildung links). Als wichtigste, von einer Modellformulierung zu erfassende Teilprozesse können die turbulente Gas- und Feststoffströmung, die thermische Zersetzung (Pyrolyse) der Kohle, die chemischen Reaktionen der freigesetzten flüchtigen Bestandteile, der Abbrand der zurück bleibenden Kokspartikel und die vor allem von der Strahlung dominierte Wärmeübertragung identifiziert werden. Das Gesamtmodell kann dementsprechend unterteilt werden in das Strömungsmodell, das Reaktionsmodell und in das Wärmeübertragungsmodell. Bei der Modellbildung einer Feststoffverbrennung ergibt sich die Notwendigkeit, das Verhalten der aus Rauchgas und Partikeln bestehenden Zweiphasenströmung zu beschreiben. Hierfür wird in AIOLOS für die meisten Anwendungsfälle eine Kontinuumsapproximation verwendet. Zur Beschreibung der chemischen Reaktionen der Kohlestaubverbrennung wird ein kinetisches Reaktionsmodell mit einer geringen Zahl an Globalreaktionen verwendet. Eine detaillierte Beschreibung des komplexen Ablaufes der Reaktionen bei der Kohleverbrennung ist aufgrund der teilweise noch unverstandenen Phänomenologie, aber auch wegen der Rechenzeitintensivität solcher Detailreaktionsmodelle derzeit für Großkraftwerksanwendungen noch nicht realisierbar. Der Abbrand des nach der Entgasung der Kohle verbleibenden Kokses trägt zu etwa 90 Prozent zur gesamten Reaktionszeit bei und stellt damit den bei weitem langsamsten Reaktionsschritt bei der Umsetzung der Kohle im Feuerraum dar. Als drittes physikalisches Hauptphänomen ist der in Kohlestaubfeuerungen dominierende Mechanismus der Energieübertragung zwischen Flamme und Feuerraumwänden durch thermische Strahlung durch ein geeignetes Modell zu beschreiben. Im Unterschied zur Wärmeleitung stehen bei der Wärmestrahlung alle Volumenelemente nicht nur mit den unmittelbaren Nachbarn, sondern mit allen anderen Elementen und mit den Wandelementen im Austausch. Für die Lösung der hieraus entstehenden Intensitätsbilanzgleichung wird das zur Gruppe der differentiellen Methoden zählende „Discrete Ordinates“ Verfahren als derzeit bester Kompromiß zwischen Rechenzeitbedarf und Vorhersagegenauigkeit eingesetzt.

Berechnungen erfordern Höchstleistungsrechner
Bei der Simulation von Großkraftwerkskesseln stellen die Abmessungen sowie der zunehmend komplexer werdende Aufbau der Brenner hohe Ansprüche an die Flexibilität des Verfahrens. Bei der Entwicklung des Simulationsprogramms wurde deshalb sehr auf die erforderliche Rechenzeit und den Speicherplatzbedarf geachtet. Es konnten bereits Antwortzeiten von wenigen Tagen auf Arbeitsplatzrechnern bei der Simulation kohlegefeuerter Kraftwerke erreicht werden. Mit den am Höchstleistungsrechenzentrum an der Universität Stuttgart vorhandenen Supercomputern kann die Rechenzeit durch Vektorisierung und Parallelisierung des Programmcodes entscheidend weiter reduziert werden, so daß das Programm als Ingenieurwerkzeug in der Praxis eingesetzt werden kann. Erst der Einsatz von Höchstleistungsrechnern ermöglicht die Erschließung neuer, fortschrittlicher Anwendungsfelder in der Kraftwerkssimulation. So wurden beispielsweise mit dem am Rechenzentrum in Stuttgart eingesetzten parallelen Vektorrechner NEC SX-4/32 instationäre Berechnungen von Laständerungsvorgängen an einem Kessel durchgeführt, der im Vollastbetrieb eine elektrische Leistung von 750 Megawatt liefert. Der Kessel ist 76 Meter hoch bei einem Durchmesser von 18 Metern. Es wurde ein Lastwechsel von Voll- auf Teillast untersucht, wobei im Verlauf der Lastreduktion die Brennstoffzuteilung auf der untersten Brennerebene vollständig zurückgefahren wurde. Die obige Abbildung zeigt die berechnete Temperaturverteilung während des Lastwechsels. Aufgrund der Strahlbrenner, die tangential auf einen imaginären Kreis gerichtet sind, bildet sich im Inneren des Brennraums ein Flammenwirbel aus. Es ist ersichtlich, daß die gute Durchmischung zu einer gleichmäßigen Temperaturverteilung für alle in gleichem Abstand von der Achse des Flammenwirbels entfernt liegenden Positionen in der dargestellten horizontalen Schnittebene führt. Die Simulation zeigte, daß die Lastreduktion einen Temperaturabfall in der untersten Brennerebene bewirkt, wobei die Temperaturspitzen den Eindruck erzeugen, daß der Flammenwirbel aufreißt.

KONTAKT
Prof. Dr. Ulrich Maas, Dr. Dietmar Schmidt, Institut für Technische Verbrennung, Tel: 0711 / 6855634, Fax 0711/ 685-5653, e-mail: office@itv.uni-stuttgart.de http://www.uni-stuttgart.de/itv
Prof. Dr. Klaus R.G. Hein, PD Dr. Uwe Schnell, Institut für Verfahrenstechnik und Dampfkesselwesen, Tel: 0711/685-3487, Fax 0711/6853491, e-mail: ivd@ivd.uni-stuttgart.de, http://www.ivd.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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