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Stuttgarter unikurier Nr. 87 April 2001
Rekonstruktion der Klimageschichte Hochtibets:
Aus den Hölzern alter Tempel gelesen
 

Die Ausprägung des jährlichen Holzzuwachses von Bäumen wird wesentlich von den herrschenden Witterungsbedingungen während der Vegetationsperiode bestimmt. In den Jahresringen langlebiger Bäume und historischer Hölzer sind daher Informationen über das Klima der Vergangenheit enthalten. Besonders aussagekräftig sind dabei Bäume, die nahe der Kälte- oder Trockengrenze der Baumverbreitung wuchsen, da sich in ihnen der prägende Einfluß der Klimas auf das Wachstum besonders klar manifestiert. Wissenschaftler der Universität Stuttgart haben sich zu den Tempeln auf dem „Dach der Welt“ in Tibet aufgemacht, um aus den Hölzern der alten Tempel Rückschlüsse auf die Klimageschichte zu ziehen.

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Im Sommer 1999 konnten Wissenschaftler vom Institut für Geographie der Universität Stuttgart Hölzer von ca. 50 historischen Tempeln, Klöstern und Adelshäusern in Lhasa, der Hauptstadt Tibets, sammeln. Die Gebäude stammen aus verschiedenen Bauperioden vom 7. bis zum 20. Jahrhundert. Mit Hilfe von 1000 Jahre alten lebenden Wacholdern aus der Umgebung von Lhasa und der Einbeziehung der historischen Hölzer hoffen die Forscher, eine 2000-jährige Wacholderchronologie für das südliche Tibet zu erstellen, die Auskunft über die Variabilität des Sommermonsuns während verschiedener Klimaphasen, etwa während des sogenannten „mittelalterlichen Klimaoptimums“ (10. bis 12. Jahrhundert) oder der „Kleinen Eiszeit“ (15. bis 19. Jahrhundert), geben soll. Diese Erkenntnisse sollen dann in Klimamodelle eingehen, die versuchen, die Reaktion des Monsunsystems auf anthropogene Klimaveränderungen in der Zukunft zu prognostizieren. Das Hochland von Tibet spielt aufgrund seiner Lage in subtropischen Breiten eine zentrale Rolle für die Entstehung und Dynamik des südasiatischen Monsunsystems, in dessen Wirkungsbereich mehr als eine Milliarde Menschen leben: Die enorme sommerliche Einstrahlung führt zur Entstehung eines Hitzetiefs über dem tibetischen Hochland, das subtropische, feuchte Luftmassen über dem indischen Ozean „ansaugt“. Das Aufsteigen dieser Luftmassen über Land führt zum Indischen Sommermonsun, der selbst in Tibet noch 70 bis 80 Prozent der jährlichen Niederschläge in den Monaten Juli bis September liefert. Die alpine Waldgrenze verläuft in Tibet in über 4600 Meter Meereshöhe - die höchste Lage einer geschlossenen Waldgrenze der Erde. Fichten (Picea balfouriana) aus diesen Höhenlagen reagieren sehr sensitiv auf die Temperaturverhältnisse während der Sommermonate, so daß die Holzdichte dieser Bäume zur Rekonstruktion der Sommertemperaturen herangezogen werden kann. Die Grafik zeigt die Kalibration der Holzdichte bei den Hochlagenfichten mit rezenten Klimadaten und die Rekonstruktion der Sommertemperaturen (August-September) für die letzten 400 Jahre. Es werden mehrere Phasen unterdurchschnittlicher Temperaturen in den Jahrhunderten deutlich (1640 -1650, um 1700, 1810 -1820, um 1840, um 1860 und zu Beginn des 20. Jahrhunderts), die mit Phasen unterduchschnittlicher Temperaturen in anderen Regionen der Nordhemisphäre korrespondieren. Charakteristisch für bewaldete Südlagen in Tibet ist das Vorkommen baumförmiger Wacholderarten, die über 1300 Jahre alt werden können. Sie kommen nicht nur in alpinen Waldgrenzlagen vor, sondern auch im Übergangsbereich zwischen dem Waldland und den tibetischen Hochlandsteppen, die für das Waldwachstum zu trocken sind. Das Wachstum dieser Bäume reagiert empfindlich auf Trockenstreß, so daß sich diese Baumgrenzstandorte zur Rekonstruktion der Feuchtigkeitsverhältnisse während der Wuchsperiode eignen und damit Aussagen über die Aktivität des Sommermonsuns in der Vergangenheit liefern.

KONTAKT
Dr. Achim Bräuning, Institut für Geographie, Azenbergstr. 12 Tel. 0711/1211406, Fax 0711/1211472 e-mail:achim.braeuning@geographie.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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