Home           Inhalt           Suchen

Stuttgarter unikurier Nr. 87 April 2001
Stuttgarter Roboter bei der Weltmeisterschaft in Melbourne:
Grundlagenforschung auf dem Fußballplatz
 

Im Sommer des vergangenen Jahres fand in Melbourne die 4. Weltmeisterschaft für Fußballroboter statt. Mit dabei war das vor etwa zwei Jahren gegründete CoPS-Team (Cooperative Soccer Playing Robots Stuttgart) vom Lehrstuhl Bildverstehen von Prof. Paul Levi am Institut für Parallele und Verteilte Höchstleistungsrechner (IPVR). Doch wie im richtigen Spiel war das Glück nicht auf der Seite der Stuttgarter Kicker: Erst bescherte die Auslosung dem Team die stärksten Gegner, darunter der spätere Weltmeister Freiburg (sic), und dann gab es noch technische Probleme mit der zugekauften Hardware, so daß die CoPS als Gruppenfünfter der Vorrunde ausscheiden mußten. Doch nach dem Spiel ist vor dem Spiel; und die Erfahrungen aus dem Feldversuch in Australien haben bereits zu zahlreichen Verbesserungen geführt. Parallel zur WM fand in Melbourne ein internationaler Kongreß über künstliche Intelligenz statt, und inzwischen hat auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ein Schwerpunktprogramm mit Stuttgarter Beteiligung eingerichtet.

kleinbal.gif (902 Byte)
 

Besonders an der genauen Lokalisierung von Ball, Gegner, Tor und eigenem Standort feilen die Stuttgarter Informatiker noch. In Melbourne erkannten die CoPS den Ball noch mit einer Ungenauigkeit von 20 Zentimetern. Ziel sind hier fünf bis sechs Zentimeter, sagt Reinhard Lafrenz, der auch daran arbeitet, die Abstimmung des Bewegungsverhaltens der Spieler weiter zu verbessern. Dazu muß in einem Studienprojekt die Software neu geschrieben werden und der Laserscanner für die Lokalisierung überarbeitet werden. In Zukunft sollen zusätzliche Informationen über den eigenen Standort durch Einbeziehung von Fahrwinkel und Radgeschwindigkeit ermittelt werden.

Wissenschaftliche Relevanz?
Die Frage nach der wissenschaftlichen Relevanz der Forschung an Fußballrobotern beantwortet Prof. Levi zunächst mit einem feinen Lächeln. Zu oft hat er diese Frage schon von Kollegen oder Gutachtern gehört, allerdings vornehmlich in Deutschland. „Hoffentlich müssen wir diese Technologie nicht erst wieder aus den USA oder Japan reimportieren wie im Falle der Fax-Technik“, hofft Levi. Derzeit gebe es allerdings Anzeichen für ein Umdenken. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat gerade den Antrag auf Einrichtung eines Schwerpunktprogrammes „Kooperierende Teams mobiler Roboter in dynamischen Umgebungen“ befürwortet, ein gemeinsames Projekt der Universitäten Stuttgart, Tübingen, Berlin und dem GMD Forschungszentrum in Sankt Augustin. Prof. Dr. Thomas Christaller, der 1999 die Alcatel-SEL-Stiftungsprofessur an der Universität Stuttgart vertrat, ist Sprecher dieses neuen DFG-Schwerpunktprogrammes. Was die Fußballroboter zunächst auszeichnet, sagt Levi, sei das ausgeklügelte Zusammenspiel von Sensorik, Motorik und Rechenleistung. Und in diesem Falle sei die Rechenleistung, die bloße Schnelligkeit der Prozessoren, nur von nachgeordneter Bedeutung. Entscheidend dagegen sei zunächst das Bildverstehen, die Zuordnung der räumlichen Objekte zu einer Handlungsaufforderung. Denn Bildverstehen ist kein bloßes Bildersehen mit dem Kameraauge. Und dabei kommen handlungstheoretische Modelle ins Spiel, die zum Teil aus den Sozialwissenschaften adaptiert wurden. „Unser Vorbild ist die Auktion“, sagt Prof. Levi, „also das Verhalten der Subjekte auf dem Markt, wenn zwischen mehreren Gütern und Optionen eine Abwägung erfolgen muß, die zu einer Entscheidung führt.“ Dafür gebe es ein von dem Bamberger Psychologen Prof. Dr. Dietrich Dörner formalisiertes Modell. Aus Verstehen, Kooperieren und Handeln in wiederholter Folge soll dann die Lernfähigkeit der Maschinen entstehen. Die Entwicklung der kooperierenden Robo-Kicker ist eine Art Spielbein der Forscher auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz; mit dem Standbein stehen sie fest auf dem Boden außerhalb des Stadions. Gemeinsam mit DaimlerChrysler wurden schon Projekte im Verkehrsbereich durchgeführt. Als Messeroboter, zuletzt auf der Expo, sind schon Prototypen selbstfahrender Systeme eingesetzt worden, die sich in dynamischen Umgebungen selbständig umorientieren und anpassen können. Die Forschung auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz und der Entwicklung autonomer Agentensysteme könnte in der Zukunft noch vielfältiger eingesetzt werden, etwa bei der Übernahme gefährlicher Aufgaben im Katastrophenfall oder für Routine-Transportsysteme oder auch als Serviceroboter im sozialen Bereich. Bei diesen Projekten kommen Mobile Agenten Systeme zum Einsatz, im Falle der Stuttgarter Fußballroboter die sogenannte CoMRoS Architektur. Danach besteht jeder Roboter aus einer Menge von Elementar-Agenten, die jeweils für ein logisches Sensor-Aktor-Paar verantwortlich sind. Dazu gehören Ultraschallsensoren und Laserscanner, es gibt aber auch Agenten, die keinen unmittelbaren Zugriff auf die Hardware besitzen und Pilot- oder Navigationsaufgaben haben.

Bei dieser Aufgabenteilung erhält jeweils ein Agent nur die für ihn relevanten Daten und ist mit den anderen Agenten über Netzwerke verbunden. Entscheidungsnetzwerke verbinden die „Köpfe“ der Agenten, über Funk sind auch die Agenten der anderen Roboter eingebunden, und sorgen für die Verhandlungen über das weitere Vorgehen. Über Datenflußnetzwerke wird daraufhin die Hardware bestimmter Elementar-Agenten aktiviert. Allzuviel Zeit für weitere Tests bleibt nicht mehr. Im Juni diesen Jahres wird die Deutsche Meisterschaft in Paderborn stattfinden. Sie gilt als nationaler Benchmarktest für die Teilnahme an der Weltmeisterschaft im August in Seattle. Ausrichter der Weltmeisterschaften ist die RoboCup Federation, eine internationale Organisation von Wissenschaftlern an 150 Universitäten und Forschungseinrichtungen in 35 Ländern. Für 2006 planen die Freunde und Förderer des Roboter-Fußballs die WM nach Deutschland zu holen, zeitgleich zum realen Vorbild. /eng

KONTAKT
Institut für Parallele und Verteilte Höchstleistungsrechner, Prof. Dr. Paul Levi, Breitwiesenstraße 22, 70565 Stuttgart, Tel. 0711/7816-384, Fax 0711/7816-424 e-mail: robocup@informatik.uni-stuttgart.de

Die Ergebnistabellen und einige Impressionen der Weltmeisterschaft in Melbourne finden sich unter den URLs http://www.informatik.uni-stuttgart.de/ipvr/bv/projekte/cops/
http://www.robocup.org/
http://www.robocup2000.org/

Der Kommentar

Zugegeben: der Autor dieser Zeilen steht dem Fußball grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber; dem realen Kick und seiner Robotik-Variante. Aber während der selbstbetriebene Kick eher Entlastung und Befreiung bringt, zielt die elektronische Spielart der Hinwendung zur Arbeit - was aber heute in Deutschland noch wenig so gesehen wird. Der schweißende Roboter ist inzwischen als Kollege akzeptiert, weil er das Schwierige leichter macht, der kickende Roboter wird gerne belächelt, weil er das Leichte wieder schwierig macht. Freilich erscheint es immer ungelenk, solange die Marionetten und Maschinen ihre lebendigen Vorbilder noch nachahmen. Es braucht viel Zeit, bis sie ihre eigene Gestalt und Aufgabe gefunden haben. Wer sieht im Automobil noch die Kutsche oder in der Textverarbeitung den Setzkasten? Wenn die heutigen Robo-Kicker mal ausgereift sind, werden sie vielleicht dem Börsenbroker oder dem Manager den Job streitig machen, weil sie bei dem Versuch, das Runde in das Eckige zu bringen, gelernt haben, wie man schnell zielsichere Entscheidungen trifft und mit begrenztem Aufwand kooperative Handlungen umsetzen kann. Mit Sicherheit aber werden sie nicht gegen den VfB Stuttgart antreten - es sei denn, die lernen auch wieder, das Runde in das Eckige zu bringen. Bis dahin drücke ich den CoPS Stuttgart bei der kommenden Weltmeisterschaft die Daumen.

Ulrich Engler

 


last change: 27.04.01 / gh
Pressestelle der Universität Stuttgart

Home           Inhalt           Suchen